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Ursula Nonnemacher spricht zum Entwurf zur Änderung des Polizeigesetzes

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- Es gilt das gesprochene Wort !

Anrede!

Die Maßnahmen der automatischen Kennzeichenfahndung und der Ortung von Mobiltelefonen wurden 2006 von SPD und CDU eingeführt. Dies wurde damals mit Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität begründet. Dabei wurde auf die dringende Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person abgestellt.

Nun frage ich mich: wofür wurden die Maßnahmen letztendlich eingesetzt? Die Evaluation des Max-Planck-Institutes gibt Auskunft:

Die Handy-Ortung sei ausschließlich bei Suizidabsichten, Unfall- oder Gewaltsituationen eingesetzt worden. So wünschenswert diese Einsätze sein mögen – den o.g. Gesetzeszielen (Bekämpfung des internationalen Terrorismus und organisierte Kriminalität) entsprechen sie nicht.

Bei der automatischen Kennzeichenfahndung hätte die Abwehr von Gefahren für Leib oder Leben eines Menschen nur eine nachrangige Rolle gespielt – sie war in nur 5 % der Fälle der unmittelbare Anlass der Maßnahme. Auch das Spektrum schwerer Straftaten erscheint sehr begrenzt – Fahndungen im Zusammenhang mit Tötungsdelikten waren ebenso auf Einzelfälle beschränkt wie Betäubungsmittel- und andere Delikte. Die automatische Kennzeichenfahndung wird quasi nur zur Fahndung von gestohlenen Autos (zu 93%) benutzt! Dies ist zweifellos ein wichtiger Bereich, bei dem die Polizei eingreifen sollte. Allerdings ist dieser Bereich der Strafverfolgung zuzuordnen – dafür brauchen wir keine Befugnis im Polizeigesetz!

Dies alles bringt mich auf die generelle Frage, ob wir diese polizeilichen Maßnahmen überhaupt benötigen. Bereits 2006 wurde in der Anhörung die Notwendigkeit bezweifelt - ich darf die Landesdatenschutzbeauftragte Frau Hartge zitieren: „Zum anderen ist mir aufgefallen, dass sich in der Begründung zu dem Gesetzentwurf zumindest für mich keine überzeugenden, stichhaltigen Gründe für eine so herausragende Kriminalität in Brandenburg finden lassen, die es rechtfertigen, tief greifende Eingriffe, präventive Eingriffe in diesem Bereich gesetzlich zu regeln." Konsequenterweise empfiehlt sie, auf die automatische Kennzeichenfahndung völlig zu verzichten.

Auch in der Anhörung zur Verlängerung der Maßnahmen 2008 erhielt sie ihre Kritik aufrecht: „Ob und inwieweit solche Befugnisse zur Gefahrenabwehr in Brandenburg tatsächlich erforderlich sind, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden."

Unterstützt wurde sie damals von einem anderen Sachverständigen (Prof. Arzt), der klare Zweifel an den Regelungen äußerte und empfahl, sie komplett zu streichen. Auch Prof. Battis stellte klar, dass der Staat diese Maßnahmen einführen könne, aber nicht einführen müsse.

Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund bitte ich sie zu überlegen, wofür wir diese Maßnahmen benötigen! Womit können wir solch weitreichende Eingriffe in die Grundrechte der Bürger (bei der automatischen Kennzeichenfahndung zum Großteil unbescholtener!) rechtfertigen? Mittlerweile wird die automatische Kennzeichenfahndung fast täglich eingesetzt! Ist dies bei einer Trefferquote von 2,62% gerechtfertigt?

Einige Bundesländer haben die automatische Kennzeichenfahndung abgeschafft (Bremen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz), einige hatten sie nie (Berlin, NRW, Sachsen) und das Saarland wird sie demnächst streichen. Diese Länder scheinen auch gut ohne auszukommen! Insofern würde ich gerne statt der Erhebungspraxis und den Anwendungsproblemen evaluieren lassen, ob diese Maßnahmen geeignet, erforderlich und angemessen sind!

Denn wenn man solche Maßnahmen anbietet, besteht leider auch immer eine Missbrauchsgefahr. Und wenn man sich die Regelungen in § 33b mit seinen zehn (bzw. neu elf) Absätzen, in denen es von Querverweisen und Verweisen auf § 33a mit seinen neun Absätzen nur so wimmelt, ansieht, frage ich mich, welcher Bürger und welcher Polizist dabei noch durchsieht.

Auch das Innenministerium scheint nicht immer den Überblick zu haben – so mussten im Oktober Angaben zur Anwendung der Maßnahmen berichtigt werden – im April war berichtet worden, dass im Jahr 2010 die Polizei keine Telekommunikationsüberwachungs- bzw. -aufzeichnungsmaßnahme durchgeführt habe, später wurden daraus vier Einzelmaßnahmen. Dies spricht natürlich auch Bände, wenn es um die Überprüfungsmöglichkeit durch den Landtag geht...

Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang auch noch einen Blick zu unseren sächsischen Nachbarn: Dort hat in diesem Jahr ein Vorfall namens „handy-gate" Furore gemacht – dabei sammelten sächsische Ermittlungsbehörden im Zusammenhang mit einer Demonstration mehr als eine Million Datensätze von Handynutzern; die Presse mutmaßte, dass offenbar ganz Dresden überwacht worden sei. Der dortige Datenschutzbeauftragte prüfte und kam zu dem Ergebnis, dass die Maßnahmen z.T. weit über das Ziel hinausgeschossen seien, eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit sei nicht erkennbar gewesen. Daraus ziehe ich den Schluss: wenn sich eine Befugnis praktisch leicht anwenden lässt, besteht immer die Gefahr, dass sie zu häufig, nämlich in Überdehnung der gesetzlichen Voraussetzungen angewandt wird. Darüber hinaus weckt eine Befugnis früher oder später immer Begehrlichkeiten, sie zu anderen Zwecken zu nutzen.

Sie sehen, ich habe trotz positiver Evaluierung große Bauchschmerzen was diese polizeilichen Maßnahmen angeht. Das Auffinden von hilflosen Vermissten mittels Handy-Ortung ist sicherlich sinnvoll, aber für die Bekämpfung von internationalem Terrorismus und organisierter Kriminalität erscheinen mir diese eingriffsintensiven Maßnahmen nicht notwendig zu sein. Der Überweisung in den Innenausschuss stimmen wir gerne zu – ich hoffe auf eine angeregte Diskussion!