- Es gilt das gesprochene Wort ! -
Anrede!
Die EU Kommission hat letzte Woche ihren Bericht über den einwohnerstärksten Mitgliedsstaat Deutschland vorgelegt. Der Bundesrepublik wird darin mangelnder Reformeifer attestiert. Neben dem gemessen an der Produktivität zu geringen Lohnniveau nimmt die Kommission mal wieder die unzureichenden Investitionen in Bildung und Forschung, die Defizite des Bildungssystem gerade in Hinblick auf benachteiligte Bevölkerungsgruppen und die zu geringe Erwerbquote von Frauen aufs Korn. Der Deutschland Bericht geht benennt klar die unzureichenden Kinderbetreuungs-möglichkeiten, die unbefriedigenden Fortschritte bei den Kita-Plätzen und bezeichnet das geplante Betreuungsgeld als „nicht hilfreich". Als kritisch wird ebenfalls das Ehegattensplitting erwähnt.
Der Befund der EU-Kommission ist nicht überraschend, die Probleme seit vielen Jahren bekannt: es geht um Bildungsdefizite und vertane Chancen für unsere Kinder, es geht um die immer noch mangelnde Gleichstellung von Frauen und Männern, die schlechte Vereinbarkeit von Kindern und Beruf und um das krampfhafte Festhalten an überlebten Familien- und Rollenklischees. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt seit Jahren der Familienbericht der Bundesregierung. Der letzte Bericht stellt dem Elterngeld gute Noten aus und belegt erneut die negativen Wirkungen des Ehegattensplittings. Von der OECD schließlich haben wir vorgerechnet bekommen, dass Investitionen in kindliche Betreuung und Bildung Kinderarmut wirksam bekämpft.
Die Mahnungen aus Brüssel treffen in Deutschland auf die Hochphase der Betreuungsgelddebatte. Mitte letzter Woche hat Kristina Schröder nach unaufhörlichem Trommelfeuer aus Bayern ihren Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld und parallel ein 10-Punkte Programm zum forcierten Ausbau der U-3 Betreuung vorgelegt. Damit sind zwei Projekte wieder zusammen, die eine gemeinsame Wurzel haben. Die CSU hatte sich 2007 beim sogenannten „Krippengipfel" ihre Zustimmung für einen Rechtsanspruch auf Betreuung für 1-3jährige und den Ausbau der Plätze für 35% der Altersgruppe nur durch das Versprechen auf ein Betreuungsgeld für zu Hause betreute Kinder abtrotzen lassen. Beide Vorhaben drohen für die Bundesregierung zu einem Waterloo zu werden. Das Betreuungsgeld stößt in der Bundesrepublik vom Sozialdienst katholischer Frauen bis zu Unternehmerverbänden, von den Gewerkschaften bis zum Deutschen Kinderschutzbund auf eine derart breite Front an Ablehnung, dass die Hoffnung von Seehofer, damit politisch punkten zu können, zweifelhaft erscheint. Auch in Bayern stehen die Uhren nicht still und ob sich mit dem unversöhnlichen Kampf für die Herdprämie 2013 Landtagswahlen gewinnen lassen, ist mit einem dicken Fragezeichen zu versehen. Richtig schlimm ist, dass wider besseres Wissen politischer Trotz ausagiert wird: das Betreuungsgeld – schon 2006 in Thüringen eingeführt – wurde nämlich von der Wirtschaftsproffesorin Gathmann für das Institut zur Zukunft der Arbeit schon evaluiert. Das zu erwartende niederschmetternde Ergebnis lautet: es wirkt nachteilig auf die frühkindliche Entwicklung und senkt die Frauenerwerbsquote.
Das nächste Desaster droht beim Ausbau der Betreuungsplätze. Von dem avisierten Versorgungsgrad sind wir noch meilenweit entfernt. Die Zahl der bis zum 1.8.2013 noch zu schaffenden Plätze wird mit 130.000 bis 200.000 angegeben Außerdem befürchten Experten, dass die Nachfrage nach Plätzen eher unterschätzt wurde. Metropolen wie München oder Stuttgart rechnen mit einem Bedarf von 50-60% aller Kinder dieser Altersgruppe. Von den schätzungsweise fehlenden 15.000 Erzieherinnen will ich gar nicht reden! Wenn man bedenkt, dass 2011 bundesweit nur 45000 neue Plätze geschaffen wurden, dann ist klar, dass die Ziele mit Sicherheit nicht erreicht werden können. Erst recht nicht mit Frau Schröders mickrigem Progrämmchen: durch Pusten lässt sich kein Containerschiff bewegen!
In dieser desolaten Situation soll nun das Betreuungsgeld schon zum 1.1.2013, also 7 Monate vor Inkrafttreten des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz eingeführt werden. Die Mitte 2013 –pünktlich zur Bundestagswahl – zu erwartende Klagewelle soll damit abgepuffert werden. Dadurch wird es ganz eindeutig zur Kitafernhalteprämie, zum Trostpflaster für die nicht vorhandenen Kitaplätze. Statt alle Ressourcen in einen gebündelten Kraftakt zum Krippenausbau und zur Qualifizierung von Fachkräften zu stecken, verplempern wir 1-2 Milliarden jährlich, um Kinder von Bildung fernzuhalten und Frauen eine eigenständige Existenzsicherung zu erschweren. Und wieder trifft es die Ärmsten, für die 100 oder 150 Euro mehr in der Haushaltskasse viel bedeuten. Das ist nicht nur ein Armutszeugnis, das ist ein sozial- und bildungspolitisches Schadstoffprogramm!