- Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede!
Am 23. Juni hat das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ seinen zwanzigsten Geburtstag gefeiert. Es ist von der Landesregierung unter Ministerpräsident Manfred Stolpe beschlossen worden, um auf die seit 1991 wütende massive Welle rechter Gewalt gegen Asylbewerber*innen, Ausländer, politische Andersdenkende und sozial Ausgegrenzte zu reagieren, für die die Orte Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen zum traurigen Sinnbild geworden sind. Mindestens 18 Menschen – u.a. Andrzej Fratczak, Amadeu Antonio Kiowa und Marinus Schöbel sind infolge dieser mörderischen rechten Gewalt gestorben, andere – wie Steve Erenhi oder Noel Martin tragen zeitlebens an den Folgen der Übergriffe. Das „Tolerante Brandenburg“ reagierte nicht nur auf die Tatsache, dass Brandenburg einen traurigen Spitzenplatz auf der Rangliste rechtsextremer und fremdenfeindlich motivierter Straftaten in der Bundesrepublik einnahm, sondern es räumte auch mit der Fehleinschätzung auf, dass es sich dabei nur um ein vorübergehende Jugendphänomen und quasi einen Kollateralschaden eines schwierigen Transformationsprozesses der Wendejahre mit Verunsicherung, Autoritätsverlust, Massenarbeitslosigkeit und einem „ordnungspolitischen Vakuum“ handeln würde. Die schmerzhafte Erkenntnis, dass es ein großes fremdenfeindliches, rassistisches und rechtsradikales Potential inmitten der Brandenburgischen Gesellschaft gab, ermöglichte erst die Entwicklung von wirksamen Strategien.
Fast zeitgleich zum 20jährigen Jubiläum hat der NSU-Untersuchungsausschuss Mitte Juni mit Carsten Sczcepanski und Uwe Menzel zwei exponierte Gestalten der rechtsextremen Szene vernommen, deren Aktivitäten sie Ende der neunziger Jahre nahe an das untergetauchte Skinheadtrio führte, dass als Kern des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrundes“ über zehn Jahre die Bundesrepublik mit rechtsterroristischen Morden überziehen sollte. Die Aufarbeitung der Geschehnisse ist noch lange nicht abgeschlossen, das anhaltende Wirken von Teilen der Szene bedrückend.
Trotz des Vorbildcharakters und der großen Erfolge des Beratungsnetzwerkes „Tolerantes Brandenburg“ und seiner Kooperationspartner dürfen wir uns keinen Illusionen hingeben: die Akzeptanz von fremdenfeindlichen und rassistischen Vorurteilen in der Brandenburgischen Bevölkerung steigt wieder an und lässt bedenkliche Parallelen zur Atmosphäre in den 90iger Jahren erkennen. Dies wird flankiert von der Tatsache, dass es 2016 mit 1390 vom Verfassungsschutz registrierten Rechtsextremisten einen Höchststand seit dem Jahr 2000 gab und auch die Zahl der rechtsextremistischen Gewaltstraftaten seit 2014 ein langes nicht gekanntes Niveau erreichte.
Diese „Boosterung“ rechter fremdenfeindlicher und rassistischer Positionen durch die stark gestiegene Zahl von Flüchtlingen seit 2015 weist aber einige Besonderheiten auf: sie sind bis weit in bürgerliche Lager hinein salonfähig geworden und die Trennlinie zwischen offen rechtsextremistischen und nicht extremistischen Protesten verschwimmt. Ein User auf Twitter hat dies treffend ausgedrückt: „Meine heile Welt der 90iger war, dass Nazis noch wie Nazis aussahen und nicht wie Bundestagsabgeordnete.“
Durch die zahlreichen bewusst inszenierten Tabubrüche von Politikern der AfD wie Alexander Gauland, Björn Höcke, Beatrix von Storch und Andre Poggenburg sind menschenverachtende und den Nationalsozialismus verharmlosende Einstellungen wieder diskursfähig geworden unter dem Label: “Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“. Die mangelnde oder fehlende Abgrenzung von rechtsextremistischen Positionen oder Rechtsextremisten beobachten wir nicht nur bei der AfD, die Extremisten gerne mal als Mitarbeiter beschäftigen, sondern auch bei vermeintlich bürgerlichen Protestbewegungen wie „Zukunft Heimat“, die ihnen regelmäßig eine Bühne bieten.
Neu gegenüber den 90iger sind auch die Möglichkeiten des Internets mit Hassbotschaften über social media und dem Verbreiten von Falschmeldungen bei gleichzeitigem Rückgang der Reichweite traditioneller Medien.
Nicht verkannt werden dürfen die Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus und einen neuen Antisemitismus, der unter Geflüchteten durchaus verbreitet ist. Es ist deshalb sehr zu begrüßen, dass sich die bewährten Netzwerkstrukturen auch dieser Phänomene annehmen.
Der Ausbau von demokratischen und zivilgesellschaftlichen Strukturen hat in Brandenburg in den Jahren seit der Wende große Fortschritte gemacht. Sie erwiesen sich auch als tragfähig, als 2015 staatliche und kommunale Einrichtungen bei der Versorgung von vielen Geflüchteten auf ehrenamtliche Hilfe angewiesen waren. Von der Arbeit dieser Tausenden von Menschen und den erzielten Erfolgen hört man wenig, weil in unserer Medienwelt nicht der kontinuierliche Fortschritt, sondern das verabscheuungswürdige Verbrechen und der Skandal Nachrichtenwert hat. Damit wir auch in Zukunft unseren Verfassungsauftrag – nämlich das friedliche Miteinander der Menschen zu garantieren und der Verbreitung von rassistischem Gedankengut entgegenzuwirken – genügen können, brauchen wir eine starke Zivilgesellschaft und eine klare Haltung von Staat und Politik, damit rote Linien nicht überschritten werden.