- Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede!
Während Mitte der 90er Jahre die Zahl der Flüchtlinge und Asylsuchenden in Brandenburg bei etwa 32.000 jährlich lag, sank sie auf einen Tiefstand von 570 im Jahr 2007. Infolgedessen wurden viele Unterkünfte geschlossen und Betreuungsangebote abgebaut. Seither steigen die Zahlen wieder moderat an: auf 1.500 Flüchtlinge in 2009, 1.700 in 2012 und dieses Jahr werden 3.300 bis 3.600 Menschen erwartet. Kamen die Flüchtlinge in den 90iger Jahren vorwiegend aus den Krisengebieten im ehemaligen Jugoslawien, aus Bosnien und der Herzegowina, so haben sich die Gegenden, die von Bürgerkrieg und anhaltenden gewaltsamen Auseinandersetzungen betroffen sind gewandelt: Syrien, Nordafrika, Afghanistan, Tschetschenien stehen obenan. Nicht vergessen werden sollte, dass die überwiegende Menge an Flüchtlingen Zuflucht in den unmittelbaren Nachbarländern sucht. Durch den Bürgerkrieg in Syrien ist die Zahl der Flüchtlinge allein auf über zwei Millionen angewachsen, die im Süden der Türkei, in Jordanien und im Libanon in riesigen Lagern mehr schlecht als recht leben. Im Libanon, einem Land mit 4,2 Millionen Einwohnern, wird die Zahl der syrischen Flüchtlinge auf 500.000 bis 1.000.000 geschätzt. Die Aufnahme von 5.000 syrischen Flüchtlingen in Deutschland mutet dagegen äußerst bescheiden an. Auch die maximal 3.600 Flüchtlinge, die dieses Jahr in Brandenburg mit seinen knapp 2,5 Millionen Einwohnern erwartet werden, stellen zwar eine Herausforderung, aber eine beherrschbare Herausforderung dar. Die geschilderten Relationen machen klar, dass Panikvisionen, das Land werde von Flüchtlingsströmen überflutet oder „Das Boot ist voll"-Parolen jeglicher rationalen Grundlage entbehren.
Der Landtag hat nach ausführlichen Diskussionen seit April 2011 am 7. Juni vergangenen Jahres den Beschluss „Verbesserung der Lebenssituation von Flüchtlingen und Asylbewerberinnen und Asylbewerbern im Land Brandenburg" gefasst. Darin wird nicht nur die Überarbeitung des Landesintegrationskonzeptes von 2005 erbeten, sondern auch ein gemeinsam mit den Landkreisen und kreisfreien Städten zu erarbeitende Unterbringungskonzept. Das Landesintegrationskonzept wird uns ja im Frühjahr 2014 zugehen, das Unterbringungskonzept scheiterte im Sommer und wurde in die nächste Legislaturperiode verschoben. Trotz dieser eher ernüchternden Bilanz muss nochmals betont werden, dass der Landtagsbeschluss sehr positive Elemente enthielt und einen Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik hätte einleiten können: Vorrang von Wohnungsunterbringung insbesondere für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge, Schutz der Privatsphäre, Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Leben, Begrenzung der Wohndauer in Gemeinschaftsunterkünften, Zugang zu qualifiziertem Deutschunterricht, verbesserte psychosoziale und medizinische Versorgung und einiges mehr. Dieser erfreuliche Ansatz und dieser Perspektivwechsel kollidierte nun mit den deutlich anziehenden Flüchtlingszahlen: der Überbelegung der ZAHB in Eisenhüttenstadt mit bis zu 750 Flüchtlingen, dem großen Druck auf die Kreise, ihre Kapazitäten auszuweiten und mehr Flüchtlinge aufzunehmen als noch zu Jahresbeginn angedacht. Plötzlich stand Quantität im Vordergrund, während der Landtagsbeschluss eine verbesserte Qualität bei Unterbringung und Betreuung im Auge hatte.
Die Probleme der Kommunen bei der raschen Schaffung neuer Unterkünfte sind selbstverständlich gar nicht zu übersehen. Trotzdem sollten wir immer im Auge haben, dass wir uns von alten unwürdigen und integrationsfeindlichen Konzepten verabschieden wollten: die große Sammelunterkunft am Waldessrand abseits jeglicher Anbindung an öffentlichen Nahverkehr und soziale Infrastruktur darf auch unter erschwerten Bedingungen keine Renaissance erfahren! Meine Fraktion begrüßt es sehr, dass mit den jetzt zusätzlichen 5 Millionen Euro für die Kommunen, die im Nachtragshaushalt beschlossen werden sollen, auch konnexitätsrelevante Qualitätsaspekte wieder betrachtet werden können und die Diskussion zum Unterbringungskonzept neue Fahrt aufnehmen könnte.
Ermutigende Beispiele gibt es durchaus, dass Unterbringung in Wohnungen gut angenommen wird oder überschaubare Gemeinschaftsunterkünfte entstehen, die keine Integrationsbarrieren darstellen. Sicher ist momentan ein gewisser Pragmatismus gefragt, die Ausrichtung an den Empfehlungen des Landtagsbeschlusses sollte aber nicht aus dem Blick geraten. Wichtig bei der Unterbringung von Flüchtlingen ist, dass die Anwohnerinnen und Anwohner möglichst frühzeitig eingebunden und Bedenken und Sorgen äußern können. Die Asylbewerberinnen brauchen eine nicht nur kurzfristige Betreuung und die Anwohner benötigen verlässliche AnsprechpartnerInnen, an die sie sich bei Problemen wenden können. Dann können sich durchaus erfreuliche Partnerschaften entwickeln, bei denen die Flüchtlinge nicht als Bedrohung, sondern als Menschen mit einem oftmals tragischen Einzelschicksal und als kulturelle Bereicherung erlebt werden.
Leider erleben wir zur Zeit aber auch viel Unerfreuliches!
Im Sommer gingen die Bilder der Proteste gegen das Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf durch die Presse, die einem zum Teil beklemmend an Szenen aus den frühen 90iger Jahren erinnerten, von denen wir glaubten, sie würden endgültig der Vergangenheit angehören. Mit dumpfen Sprüchen wie „Heute tolerant – morgen fremd im eigenen Land", „gegen Sozialbetrug und ungehemmte Zuwanderung" und „Nein zum Heim" wird gegen Flüchtlinge und AsylbewerberInnen Stimmung gemacht. Dabei werden gezielt die sozialen Netzwerke eingesetzt und zur Mobilisierung benutzt. Facebookseiten mit „Nein zum Heim" sind bei den Protesten in Berlin Hellersdorf entstanden und werden jetzt an allen möglichen anderen Standorten kopiert. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes sind an der Erstellung und Verbreitung der Seiten Rechtsextremisten und NPD-Gliederungen beteiligt. In der Anonymität des Netzes wird die Urheberschaft aber gerne vermeintlich unabhängigen Bürgerinitiativen und Interessengemeinschaften zugeschrieben. Von Brandanschlägen gegen geplante Heime wie in Beelitz-Heilstätten und Premnitz, der Organisation von Mahnwachen bis zu Stimmungsmache und Protesten reicht das Spektrum an Aktivitäten. Die am Boden liegende NPD und andere rechtsextreme Gruppierungen versuchen gezielt die Unterbringung von Flüchtlingen als zentrales Mobilisierungsthema zu spielen. Ob in Pätz oder Niemegk, Gransee oder Bad Belzig, Friesack oder Zepernick – jeder Standort für Flüchtlingsunterkünfte wird von der Rechten nach immer gleichem Strickmuster zur Stimmungsmache genutzt. Wir haben 2014 drei Wahlen vor uns und das Format ist beliebig kopierbar.
Bisher halten sich die Erfolge dieser Strategie glücklicherweise in engen Grenzen. Brandenburg hat mit seinem Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg" mit vielen Kooperationspartnern in den Netzwerken gegenüber den frühen neunziger Jahren große Fortschritte gemacht. Breite ausländerfeindliche Stimmungen sind nicht zu verzeichnen und in den meisten Kommunen existieren belastbare zivilgesellschaftliche Strukturen. Auch wenn offen rechtsextreme Parteien und Gruppieren momentan keine Erfolge verbuchen können, so besteht doch kein Grund zur Bagatellisierung. Ausländerfeindliche und latent rassistische Einstellungen sind bis in die Mitte unserer Gesellschaft verbreitet. Und es wäre auch eine unzulässige Vereinfachung, hinter jedem Bürgerprotest nur den Lautsprecherwagen der NPD zu vermuten. Die Ablehnung von Flüchtlingen ist oft anschlussfähig an Themen wie Sicherheit und Ordnung, Angst vor ansteigender Kriminalität, Belästigung von Frauen oder den Ärger über staatliche Transfers. Auch bei den Protesten gilt es sorgfältig zu differenzieren, nicht jeden besorgten Bürger sollte man sofort in die rechte Ecke stellen. Dem berühmten Satz: „Ich habe ja nichts gegen Flüchtlinge, aber ..." ist am besten mit Aufklärung, Widerlegung von Falschmeldungen und kontinuierlicher Beratung zu begegnen. Am allerbesten ist es aber, direkte Kontakte zu fördern, damit Menschen andere Menschen als Individuen kennen lernen und begreifen können.
Zu den Herausforderungen an Land und Kommunen zählt es auch, dass unter den Asylsuchenden mittlerweile sehr viele Familien mit Kindern sind. Gerade der Spracherwerb bei Kindern und ihre Integration in Kitas und Schulen ist von enormer Wichtigkeit. Hier müssen von Anfang an die Weichen richtig gestellt werden. Gerade bei der Aufnahme von Familien mit Kindern zeigt sich, dass darin auch eine Chance liegt. Wir jammern viel über Bevölkerungsprognosen, die uns ein Absinken der Geburtenraten unter 10.000 Kinder pro Jahr prophezeien, über Schulschließungen, Arbeits- und Fachkräftemangel, Abwanderung und die „Vergreisung" der Gesellschaft (ich finde diesen Begriff übrigens unerträglich!). Wieso fällt es dann so schwer, Menschen die zu uns kommen und die in einem hohen Maße ja mit einem Bleiberecht werden rechnen können, willkommen zu heißen, weil sie uns auch helfen können, dieses Land zukunftsfähig zu gestalten. Und wie für jedes Kind muss auch für das Flüchtlingskind gelten: wir wollen kein Kind zurücklassen!
Im November 1685 wurde das sogenannte Toleranzedikt von Potsdam erlassen. Friedrich-Wilhelm von Brandenburg hat damals 20.000 Religionsflüchtlingen, den französischen Hugenotten Aufnahme gewährt. Bezogen auf die damaligen Bevölkerungszahlen war das eine ganze Menge. Die Stadt Berlin (damals noch brandenburgisch!) soll allein einen Einwohnerzuwachs um ein Drittel erfahren haben. Die Ansiedlung der Flüchtlinge wurde gefördert und sie haben zum wirtschaftlichen und geistigen Aufschwung nicht unerheblich beigetragen. Vielleicht sollten wir solch positive Aspekte unserer Geschichte mehr in den Vordergrund stellen.