- Es gilt das gesprochene Wort !
Anrede!
Es war ein gewaltiger Paukenschlag, als Arbeitsministerin Ursula von der Leyen am 2. September via „Bild am Sonntag“ ihre „Renten-Schock-Tabelle“ unters Volk brachte und damit drastisch vor Augen führte, was man schon lange hätte wissen können, aber nicht gerne wahrhaben wollte: das Armutsrisiko zukünftiger Rentnergenerationen ist erheblich und selbst langjährigen Durchschnittsverdienern droht eine Rente auf Sozialhilfeniveau.
Nach den Berechnungen des Arbeitsministeriums erwartet bei Renteneintritt ab 2030 selbst jene Arbeitnehmern eine Rente auf Grundsicherungsniveau von derzeit 688 Euro im Monat, die über 35 Jahre Vollzeit gearbeitet und 2500 Euro brutto im Monat verdient haben. Diese 2500 Euro Bruttolohn monatlich entsprechen übrigens einem Stundenlohn von 14, 20 Euro – dies sei schon einmal im Vorgriff auf die morgige Mindestlohndebatte angeführt. Selbst bei 40 Jahren Beitragszahlung bedarf es eines durchgehenden Durchschnittseinkommens von 2200 Euro, um einen Rentenanspruch in Höhe der Grundsicherung zu erwerben. Gegen die Modellrechnung der Arbeitsministerin ist viel eingewandt worden: dass die Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors in die Rentenformel 2004 nicht automatisch zu einer Absenkung des Rentenniveaus auf 43% im Jahre 2030 führen müsse, dass Einkommenssteigerung und die Erhöhung des Renteneintrittsalters nicht ausreichend berücksichtigt seien. Nicht berücksichtigt werden aber auch Inflation oder mögliche Finanzkrisen, die sich aggravierend auswirken könnten. Nein, wenn man sich die Entwicklung des Rentenniveaus seit 1992 und die Auswirkungen der Arbeitsmarktpolitik mit einer Tendenz zur „Prekarisierung“ von Arbeitsverhältnissen anschaut, dann haben die Berechnungen aus dem Haus von der Leyen bei allen Unsicherheiten schon einen erschreckend hohen Realitätsgehalt.
Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes haben 2010 36% der Beschäftigten in Deutschland weniger als 2500 Euro im Monat verdient. Bundesweit, wohlgemerkt! Schauen wir nach Brandenburg, so sieht das Bild noch viel düsterer aus. Andreas Kaczynski, der Sprecher der Landesarmutskonferenz, hat es klar auf den Punkt gebracht: „Wer verdient hier schon 2500 Euro im Monat?“
Tatsächlich betrug der durchschnittliche Bruttolohn bei allen Beschäftigten in Brandenburg im Jahr 2011 2467 Euro. Durchschnittslöhne von über 2500 Euro monatlich werden bei uns nur in acht von achtzehn Branchen gezahlt. Schaut man sich das Lohnniveau von Frauen an, die besonders häufig im Niedriglohnsektor beschäftigt sind, so erzielen sie nur in vier der achtzehn Branchen ein derartiges Einkommen.
Damit ist klar, dass die berechtigte Angst vor Altersarmut nicht mehr als Randproblem von Langzeitarbeitslosen abgetan werden kann, sondern mitten in der Gesellschaft angekommen ist. Die anschauliche Größe von 2500 Euro brutto betrifft viele Beschäftigte des Einzelhandels, Erzieherinnen, das Gaststättengewerbe, medizinische Berufe wie Alten- und Krankenpflegerinnen, Arzthelferinnen, Physiotherapeutinnen, aber auch handwerkliche Berufe wie Bäcker, Maler und Dachdecker. Wenn aber schon für einen relevanten Anteil von Normalverdienern mit langjährigen Erwerbbiographien die Zukunftsaussichten nicht gerade rosig erscheinen, wie sieht es dann bei den Benachteiligten aus? Wer verfügt heutzutage und in absehbarer Zukunft noch über sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse von 35, 40, ja 45 Jahren Dauer?
Brandenburg hat, wie alles ostdeutschen Länder, neben den grundsätzlich sinkenden Anwartschaften für Neurentner in der GRV mit folgenden Problemen zu kämpfen:
wendebedingt stark gebrochen Erwerbsbiographien undlangdauernde Zeiten von Arbeitslosigkeit
sinkende Bedeutung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse
starker Ausbau des Niedriglohnsektors
starke Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse wie Minijobs, Teilzeitarbeit und Leiharbeit
wesentlich geringere Vermögensbildung als in Westdeutschland und damit kaum Zusatzeinkünfte
nur geringe und selektive Inanspruchnahme von privater Altersvorsorge
War bis vor wenigen Jahren die finanzielle Situation der älteren Bevölkerung in Brandenburg noch relativ gut und die Inanspruchnahme der Grundsicherung im Alter gering – nachzulesen im Lebenslagenbericht von 2008 – so ist in den nächsten Jahren und insbesondere in Projektion auf die Jahre jenseits 2030 mit einer drastischen Zunahme von Altersarmut zu rechnen. Halb Brandenburg ein Fall fürs Sozialamt?
Was also tun? Im September 2012 haben plötzlich Rentenkonzepte Hochkonjunktur. Die Arbeitsministerin tourt mit ihrer Zuschussrente durch die Republik, die SPD hält eine Solidarrente in gleicher Höhe dagegen, die Grünen haben eine steuerfinanzierte Garantierente im Angebot und die LINKE seit dem 19.9. ihre solidarische Mindestrente und die FDP setzt wie üblich auf Besitzstandswahrung. Sosehr Ursula von der Leyen anzurechnen ist, dass sie mit bestechender Dramaturgie das wirklich drängende Problem Altersarmut auf die Agenda gehoben hat, so sehr ist ihre Zuschussrente weiße Salbe. Ihre sehr langen Mitglied- und Beitragszeiten in der GRV und der Zwang zur Privatvorsorge bauen zu hohe Hürden auf und schließen alle diejenigen, die besonders von Altersarmut betroffen sein werden, von vorneherein aus.
Die Rentendebatte, die sobald nicht beendet sein dürfte und alle vorgelegten und noch vorzulegenden Rentenkonzepte kommen um eine bittere Erkenntnis nicht herum: das Kardinalproblem für die zu erwartende Altersarmut ist die von einer rot-grünen Bundesregierung beschlossene Absenkung des Sicherungsniveaus der Rente vor Steuern auf c.a. 43 Prozent bis zum Jahr 2030. Die damals gehegte Vorstellung, die durch Absenkung des Rentenniveaus gerissene Versorgungslücke durch private Vorsorge schließen zu können hat inzwischen Ernüchterung Platz gemacht. So alt kann selbst in Deutschland kaum einer werden, als dass diverse Riesterprodukte einen rentierlichen Ertrag abwerfen. Die Teilprivatisierung der Altersvorsorge läuft leider eher auf eine staatliche Subventionierung der Versicherungswirtschaft denn auf eine verlässliche Absicherung der Bevölkerung hinaus. Gerade in Zeiten internationaler Finanzmarktkrisen ist das Setzen auf kapitalgedeckte Sicherungssysteme hochproblematisch. Dies trifft im übrigen auch auf die von Herrn Gabriel propagierte „Betreibsrente Plus“ zu. Auch die dritte Säule der betrieblichen Altersvorsorge könnte sich als Chimäre erweisen. Schon heute haben betriebliche Pensionskassen erhebliche Schwierigkeiten, die zugesagten Renditen zu erwirtschaften. Über die Problematik hochspekulativer Anlagen (Stichwort Cayman-Inseln) haben wir in diesem Haus ja schon öfter debattiert.
Vor allem aber bleibt die Erkenntnis, dass ohne ein ausreichendes Rentenniveau auch höhere Löhne oder die Abschaffung prekärer Arbeitsverhältnisse keine guten, armutsfesten Renten generieren werden. Wenn ein Stundenlohn von 14,20 Euro nach 35 Jahren zu einer Rente auf Grundsicherungsniveau führt, dann kann in einer im globalen Wettbewerb stehenden Wirtschaft kaum ein flächendeckender Mindestlohn durchgesetzt werden, der allein die Rentenproblematik löst. Dies stellt momentan die SPD vor eine Zerreißprobe: gibt sie der Forderung ihres linken Parteiflügels nach, das Rentenniveau auf den augenblicklichen 51% zu fixieren, so desavouiert sie zwei Drittel ihrer Troika. Eine unschöne Situation!
Aber Spott ist nicht angebracht, denn jede politische Kraft wird sich dem Problem stellen müssen: spricht man sich gegen die weitere Absenkung des Rentenniveaus aus, so steigen die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung weit über die bis 2030 vorgesehenen 22% hinaus. Die Crux, dass immer schmaler werdende Jahrgänge an Beschäftigten immer breiter werdende Jahrgänge an Rentnern zu versorgen haben, lässt sich auf viele Jahrzehnte nicht aus der Welt schaffen. Da aber im Sinne der Generationengerechtigkeit die Jüngeren nicht doppelt und dreifach belastet werden können, werden sich diese Fragen im bestehenden System der GRV nicht allein lösen lassen. Die Prävention von Altersarmut ist Aufgabe der ganzen Gesellschaft!
Ob dies durch eine steuerfinanzierte Grundrente, immer höhere Zuschüsse aus Steuermitteln an die gesetzliche Rentenversicherung oder durch eine sukzessive Weiterentwicklung des System zu einer Bürgerversicherung erfolgt – wie wir Grünen das vorschlagen – unsere Gesellschaft wird nicht an einer Umverteilungsdebatte vorbeikommen. Denn egal, ob Gutverdiener, Selbständige, Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden ( bei höheren Beitragsbemessungsgrenzen und einer definierten Maximalrente) oder es zu spürbaren Steuererhöhungen kommt:
es ist in Deutschland überfällig, dass privater Reichtum stärker an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben beteiligt wird.
Zeitgleich mit der Rentendebatte kursiert der Entwurf zum Vierten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, ein Bericht, der es in sich hat. Die Schere zwischen arm und reich geht in unserem Land immer weiter auseinander. Während die Staatsverschuldung die Zwei- Billionen Grenze überschritten hat – ausgelagerte Schattenhaushalte und die Zeitbombe der Pensionslasten noch gar nicht mitgerechnet – hat sich trotz Finanzkrise das Vermögen der privaten Haushalte in den letzten zehn Jahre mehr als verdoppelt. Von 4,6 auf 10 Billionen Euro. Und dieses private Nettovermögen konzentriert sich immer stärker auf die vermögensstärksten Haushalte. Während für die Sozialleistungen des verarmenden Staates immer weniger Mittel zur Verfügung stehen. Dieses immer stärkere Auseinanderdriften der Gesellschaft sollte alle demokratischen Kräfte mit größter Besorgnis erfüllen. Die Bundesrepublik Deutschland ist kein „failing state“, in dem reiche Oligarchien neben verarmenden Massen existieren. Der Sozialstaat muss seiner Ausgleichfunktion wieder gerecht werden.