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Rede im Landtag: Identitätsfeststellungen bei Grenzübertritt

- Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Abgeordnete, liebe Gäste,

im Kern fordert die AfD mit diesem Antrag, jeden Ausländer bei Grenzübertritt zu kontrollieren. Dafür gäbe es zwei Möglichkeiten. Und um es vorwegzunehmen: sie sind beide rechtswidrig.

Entweder wollen sie tatsächlich nur Ausländer*innen kontrollieren, nicht aber deutsche Staatsbürger*innen. Wie soll die Polizei das machen? Per Hautfarbe? Haarfarbe? Das nennt man racial profiling und es ist gerichtlich untersagt. Mal davon abgesehen, dass die Polizei bei vermeintlich „deutsch“ aussehenden Franzosen oder aber bei deutschen Staatsbürger*innen mit dunkler Hautfarbe ernsthafte Umsetzungsprobleme hätte.

Zweite Möglichkeit: Man kontrolliert alle. Und da sie ja keine temporären Kontrollen meinen, wären wir also bei der kompletten Wiedereinführung von Grenzkontrollen, ergo: bei der Abschaffung des Schengen-Kodex. Denn dieser schließt unbefristete Grenzkontrollen aus.

Und wo wir gerade beim Schengen-Kodex sind: Nicht nur dieser AfD-Antrag würde ihn verletzen, sondern auch die aktuellen stationären Grenzkontrollen tun es. Seit Oktober 2023 wird nunmehr an allen deutschen Grenzen außer im Westen kontrolliert. Dabei hatte der EuGH erst 2022 die Rechtswidrigkeit der Kontrollen zwischen Österreich und Slowenien festgestellt. Anstatt das aber ernst zu nehmen, hören wir eine Erfolgsmeldung nach der anderen. Diese endlich mal zu entzaubern, ist dringend notwendig. Wenn illegale Einreisen in der Grenzregion angeblich sinken, gleichzeitig aber Asylanträge bundesweit steigen, dann haut da irgendetwas nicht hin. Die Asylanträge gingen im Oktober und November hoch, also nach Einführung der Kontrollen. Erst im Dezember sanken sie – ein Witterungs- und Feiertagseffekt – um dann aber schon im Januar wieder zu steigen. Die Einreisen finden also statt, nur auf anderen Wegen, über die grüne Grenze und vor allem über die vielen kleinen Übergänge, die nicht durchgängig besetzt sind: Guben, Wellmitz, Coschen, Küstrin, Schwedt, Hohenwutzen… Glaubt hier ernsthaft jemand, das Migrationsgeschehen ändert sich substanziell, wenn nur drei Grenzübergänge 24/7 besetzt sind – nämlich Frankfurt Autobahn, Frankfurt Stadtbrücke und Forst Autobahn? Die Kontrollen sind nichts als teure Symbolpolitik, lediglich die Statistik wird kreativer.

Nehmen wir die Aufgriffe von über 500 Schleusern. Seit 16. Oktober ist jeder Schleuseraufgriff auf einmal ein Erfolg der stationären Kontrollen. Bis zum 15. Oktober war er ein Erfolg der Schleierfahndung. Es wird so getan, als hätten wir früher keine Schleuser aufgegriffen. Mehr noch: Die Zahlen geben den Aufgriffsort gar nicht her: War es denn an der Grenze? Oder doch im Stadtgebiet, im Hinterland? Und wer ist eigentlich alles Schleuser? Ja, skrupellose Kriminelle, die Menschen in Transporter pferchen, müssen gefasst und bestraft werden – und das werden sie auch. Aber auch jeder, der einen Menschen ohne Aufenthaltstitel zu Fuß oder im PKW über die Grenze begleitet, zählt als Schleuser. Auch der geflüchtete Vater, der seine Familie aus einer polnischen Unterkunft abholt.

An der Stelle sei noch mal daran erinnert, dass gemäß UN-Menschenrechtskonvention jeder Mensch das Recht hat, einen Asylantrag zu stellen, auch wenn er illegal einreist. Deswegen legt die Genfer Flüchtlingskonvention auch fest, dass illegale Einreise nicht bestraft wird, wenn ein Asylgesuch vorliegt. Daher wird auch jede*r Asylsuchende von der Polizei in die Erstaufnahmeeinrichtung gebracht, wo der Antrag gestellt werden kann. Böse Zungen behaupten ja, dass die Grenzkontrollen zu einer Art Fahrservice der Polizei geführt haben.

Und dann ist da noch der sogenannte Beifang. Warum gehen die Erfolgsmeldungen zu gefassten Straftätern auf einmal hoch? Nun ja, weil gerade eine unglaubliche Anzahl von Polizist*innen an der Grenze ist. Natürlich bedeutet mehr Polizei mehr Aufgriffe – und sei es eben wegen illegaler Böller. Alles lässt sich für den Erfolg der Grenzkontrollen mit einrechnen.

Polizist*innen fehlen nun aber an Flughäfen, Bahnhöfen, bei Großveranstaltungen, in Niedersachsen und NRW. Sie arbeiten wochenlang getrennt von ihren Familien.

Und das alles für rechtswidrige Kontrollen. Warum rechtswidrig? Das zeigen die kürzlich öffentlich gewordenen Notifikationen der Bundesinnenministerin an die EU. Sie erfüllen die Anforderungen des Schengen-Kodex´ nicht, nämlich dass Grenzkontrollen gut begründet, verhältnismäßig und immer nur ultima ratio sein müssen.

Während der Kodex Migrationsbewegungen allein als Grund für Kontrollen ausschließt, werden genau diese aber als Grund angeführt. Die Innenministerin legt nicht dar, worin die „ernsthafte Bedrohung der inneren Sicherheit und Ordnung“ bestehe. Sie nimmt auch keine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor. Weder Auswirkungen auf Wirtschaft, Verkehr, Bildung oder Gesundheit werden berücksichtigt, noch werden Landes- oder Bundesregierung, geschweige denn die Parlamente beteiligt.

Die Ministerin legt auch nicht dar, welche milderen Maßnahmen sie vorher ergriffen hat, keine ultima ratio also. Es ist zu befürchten, dass die Kontrollen für die kommenden Wahlkämpfe bleiben müssen, schlimmstenfalls jahrelang. Am 15. April enden jedoch die zulässigen 6 Monate. Darüber hinaus dürfte nur verlängert werden, wenn ein völlig neuer Grund vorliegt. Ministerin Faeser hat bereits bis Juni verlängert. Einen Schengen-konformen Grund bleibt sie schuldig. Wir lehnen diesen Antrag so wie auch jede andere Form rechtswidriger Grenzkontrollen ab.

Weiterführende Informationen

Rede zu: Antrag "Zwingende Identitätsfeststellungen bei Grenzübertritt von Ausländern nach Deutschland sowie bei Asylantragstellern, ukrainischen Kriegsflüchtlingen und sonstigen Migranten" (TOP 12 der 102. Plenarsitzung)