Von Marion Kaufmann
Der Klimawandel kam schneller als gedacht. Nach nur einem Jahr im Amt, meint Ulrike Poppe ihn bereits wahrnehmen zu können. Das gesellschaftliche Interesse an der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit sei gewachsen, zog Brandenburgs Stasi-Beauftragte gestern ihre erste Bilanz. Am 17. Dezember 2009 war die frühere DDR-Bürgerrechtlerin vom Landtag einstimmig zur „Beauftragten zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur“ gewählt worden. 20 Jahre nach der Wende hatte Brandenburg als letztes ostdeutsches Bundesland diesen Posten installiert.
Es habe ein „aufgestautes Unbehagen“ im Land mit einem Aufarbeitungsdefizit gegeben, welches das Vertrauen in die Politik beschädigt habe, so Poppe. Dieses Defizit soll die 57-Jährige beheben. Messen lässt sich der von ihr beobachtete Klimawandel dabei schwer. Zahlen belegen aber, dass viele Opfer des DDR-Regimes Hilfe in Poppes Büro in der Potsdamer Innenstadt suchen. Rund 700 Bürger haben bislang um Unterstützung in Rehabilitierungs- und Entschädigungsverfahren und bei der Aufarbeitung psychosozialer Folgen des erfahrenen Unrechts gebeten. An 31 Orten im Land waren Poppe und ihre derzeit fünf Mitarbeiter seit März aktiv. Auch Täter finden hin und wieder den Weg zur Beratung. Wie viele genau, ist nicht erfasst.
Nach Angaben der Berliner Stasi-Unterlagenbehörde hatten 2008 rund 100 Personen in Brandenburg – vor allem Angehörige kommunaler Parlamente – Überprüfung auf hauptamtliche oder inoffizielle Stasi-Mitarbeit beantragt. Bis Ende Mai dieses Jahres waren es bereits 1200. Der Umgang kommunaler Parlamente mit dem Thema ist laut Poppe aber sehr unterschiedlich. In Grünheide (Oder-Spree) etwa habe sich eine absolute Mehrheit gegen eine Überprüfung der Abgeordneten ausgesprochen.
„Gescannt“ werden mittlerweile die Mitglieder des Landtags. Die Enquete-Kommission beschäftigt sich mit der Nachwendezeit, nachdem kurz nach dem Antritt von Rot-Rot 2009 Stasi-Fälle in der Linksfraktion für Aufruhr gesorgt hatten. Derzeit sichte sie die Unterlagen, höre Betroffene und Zeugen, sagte Poppe, die das Expertengremium zur Stasi-Überprüfung innerhalb der Kommission leitet. Anschließend gehe ein Bericht an den Landtag. Rot-Rot sei insgesamt ein Thema, das im Land diskutiert werde. Bei manchen Opfern sei eine „Verbitterung“ zu spüren, dass nun politisch Leute über sie bestimmten, die schon früher das Sagen hatten. „Und dann gibt es enttäuschte SPD-Mitglieder, die Platzeck diese Koalition nicht verzeihen“, sagte Poppe.
„Der Deckel war und ist fester drauf in Brandenburg“, beschreibt sie allgemein den Umgang mit DDR-Vergangenheit im Land. Aber der Deckel habe sich stückweise gehoben. Und: „Wir sind dabei, ihn weiter zu heben.“ Rund 627 000 Euro hat Poppe 2011 dafür zur Verfügung. Einer der Schwerpunkte soll dabei die Erforschung der Bedingungen in DDR-Kinderheimen sein.