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Bürgerforum übt scharfe Kritik am Vorgehen der Polizei bei der Anti-Nazi-Demonstration in Neuruppin

Über 100 TeilnehmerInnen der Demonstration des Bündnises „Neuruppin bleibt bunt“ - unter ihnen der Vorsitzende der bündnisgrünen Landtagsfraktion, Axel Vogel – fanden in einem Bürgerforum zusammen und tauschten sich über ihre Erlebnisse am 24. September aus. Axel Vogel kritisiert das Vorgehen der Polizei bei der Anti-Nazi Demonstration am 24.09.2011 in Neuruppin scharf. Nach der unverhältnismäßigen Räumung einer Versammlung von Demonstranten gegen den Naziaufmarsch wurden diese von der Polizei eingekesselt und teils stundenlang festgehalten.

Artikel „Furcht vor Panik war präsent“ von Georg-Stefan Russew und Judith Melzer-Voigt im Neuruppiner Anzeiger am 29.9.2011

NEURUPPIN Mittlerweile sind sechs Tage nach dem umstrittenen Polizeieinsatz im Rahmen einer Anti-Nazi- Demonstration ins Land gezogen. Die Gemüter scheinen sich zwar ein wenig beruhigt zu haben, jedoch sind noch immer Angst, Verstörung und Entsetzen deutlich zu spüren.

Gestern Abend fanden sich mehr als 100 Teilnehmer der Gegendemonstration vom Bündnis „Neuruppin bleibt bunt“ in der Aula des Evangelischen Gymnasiums an der Neuruppiner Regattastraße zusammen, um ihre zum Teil tiefen Wunden zu lecken. Überschrieben war die Zusammenkunft als Bürgerforum. Der Redebedarf, um das Erlebte überhaupt verarbeiten zu können, war immens. Unter Anleitung von Jonas Frykman vom Aktionsbündnis Brandenburg wurde diskutiert.

Frykman ließ nach einer kurzen Einleitung das Mikrofon kreisen. Als zusätzliche Orientierungshilfe dienten große Flipcharts, wo der Polizeikessel – das war der einheitliche Sprachgebrauch der Polizeimaßnahme - in der Friedrich-Engels-/Ecke Poststraße eingezeichnet war.

Schnell schilderten die Augenzeugen, dass die Polizei kurzen Prozess habe machen wollen. Kaum hätten sich die Gegendemonstranten auf die Engelsstraße gesetzt, seien diese sofort eingekesselt worden. Ein Schüler des Evangelischen Gymnasiums berichtete davon, dass ein Beamter sofort den Knüppel gezogen habe. Die Neuruppinerin Marianne Stärke sagte, dass im Kessel ältere Menschen waren, Jugendliche, Familien und Kinder. „Dennoch sind wir friedliche Demonstranten eingesperrt worden. So etwas darf nie wieder passieren. Das war so schrecklich“, so Stärke.

Viele hätten den Eindruck gewonnen, dass die Polizei es auf die Eskalation angelegt und die Einkesselung von vornherein geplant hatte. „Es war entsetzlich“, sagte Juso Paul Schulz. Eine andere Augenzeugin beschrieb gestern Abend die Situation in der Poststraße als Katastrophe. „Die Menschen waren so eingesperrt, dass es fast zur Massenpanik gekommen wäre“.

Im Innenausschuss des Landtages war der umstrittene Polizeieinsatz in Neuruppin gestern ebenfalls Thema. Innenminister Dietmar Woidke (SPD) bekräftigte dort erneut, dass es offene Fragen zu dem Einsatz gebe, die geklärt werden müssten.

Artikel „Verloren zwischen Nicht-Zuständigen“ von Judith Melzer-Voigt im Ruppiner Anzeiger am 29.9.2011

NEURUPPIN Betroffene Gesichter, fassungslose Blicke und immer wieder ein Kopfschütteln – die Teilnehmer des Bürgerforums zu den Ereignissen des 24. Septembers waren gestern erschüttert und teilweise auch verärgert.

Mehrere Teilnehmer der Demonstration kamen zu Wort, nachdem Jonas Frykman vom Aktionsbündnis Brandenburg in kurzen Worten erklärt hatte, warum kein Vertreter der Polizei beim Bürgerforum anwesend war: „Unser Ziel ist heute nicht die große Bewertung der Ereignisse, sondern jeder soll sagen können, was er erlebt hat.“ Polizisten seien verpflichtet, Straftaten zu melden, wenn sie von ihnen erfahren - die Chance, dass einige Forumsteilnehmer von Erlebnissen berichten, die eventuell eine Strafanzeige nach sich ziehen würden, sei nicht unwahrscheinlich. Brandenburgs Polizeipräsident Arne Feuring habe zwar angekündigt, am Forum teilnehmen zu wollen, doch angesichts dieser Punkte solle erst einmal eine Diskussion unter den Betroffenen erreicht werden.

Damit rannte Frykman offene Türen ein. Zuerst ergriff der Linken-Landtagsabgeordnete Dieter Groß das Mikrofon. Er forderte eine schnelle, rasche und objektive Aufklärung der Ereignisse des 24. Septembers. „Auch aus Respekt vor den Betroffenen.“ Immer wieder kam dabei zum Ausdruck, dass niemand so recht wusste, wer eigentlich für die Einsatzleitung und für die Aktionen der Polizei zuständig war. Das bestätigte Dieter Groß, aber auch Neuruppins Bürgermeister Jens-Peter Golde (Pro Ruppin). Auch Axel Vogel, der für die Grünen-Fraktion im Landtag sitzt, hatte das beobachtet. Der Mann, der sich ihm als Ansprechpartner präsentiert hatte, war plötzlich verschwunden.

Ein Teilnehmer des Forums konnte bestätigen, dass die Polizei vorhatte, einen Kessel in der Poststraße zu schaffen. „Ich habe einen Polizisten gefragt, ob etwa ein Hamburger Kessel geschaffen werden soll“, erinnerte sich der Demo-Teilnehmer. „Er hat mir geantwortet: Nein, wir machen einen Neuruppiner Kessel“. Juso Paul Schulz jedoch warnte davor, alle Polizisten, die an dem Einsatz beteiligt gewesen sind, zu kriminalisieren: „Es war die Einsatzleitung, die nicht gestimmt hat.“

Pfarrerin Christiane Schulz, die im Kommunikationsteam war, kritisierte die Entscheidung der Polizei, die Demonstranten in die Poststraße zu drängen, scharf: "Wir mit unseren Ortskenntnissen haben die Polizisten darauf aufmerksam gemacht, dass die Poststraße die ungünstigste Variante ist." Gehört habe aber niemand darauf. „Das Deeskalationsteam war nicht am Deeskalieren“, so Schulz. „Es war inkompetent.“ Der häufigste Satz, den sie zudem an diesem Tag gehört hatte, war: „Ich bin nicht zuständig.“ Auch die Route der Nazi-Demonstration wurde kritisiert: „Es hat mehr Möglichkeiten gegeben, die Rechten durch die Stadt zu führen, als direkt an uns vorbei“, warf eine Frau der Polizei vor, die in der Poststraße eingesperrt war: „Aber nein, wir sollten gedemütigt werden.“

Weitere Informationen:

>>> Fotostrecke: „Zeugnisse der Polizeigewalt“

>>> Pressemitteilung von Axel Vogel vom 24.9.2011

>>> Pressemitteilung des Aktionsbündnisses Neuruppin bleibt bunt

Dringliche Anfrage von Axel Vogel: "Regelwerk zum Umgang mit Sitzblockaden"

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterfallen auch Sitzblockaden der Versammlungsfreiheit und sind somit grundsätzlich zu schützen (aktuell: Urteil vom 7.3.2011, Az: 1 BvR 388/05). Ob eine Blockadeaktion dennoch im Einzelfall eine Nötigung darstellt ist demnach von den äußeren Umständen abhängig. Hierzu zählt zum Beispiel die Frage ob ein blockierter Zug auf andere Straßen hätte ausweichen können.

In Neuruppin ist die Polizei am Samstag gegen Demonstranten vorgegangen, die einem Aufzug von Rechtsextremen mittels einer angemeldeten spontanen Sitzblockade begegnen wollten.

Die Polizei hat die Sitzblockade wenige Minuten nach ihrem Beginn mit Fahrzeugen umstellt und die Versammlung damit abgeriegelt. Kurz danach begann die Polizei bereits die Sitzblockade aufzulösen und Gegendemonstranten wie auf der Kreuzung befindliche Zuschauer in die Poststraße zu verbringen. Dort wurden sie bis zu vier Stunden festgehalten, einer Leibesvisitation unterzogen, fotografiert und die Personalien aufgenommen.

Als Begründung wurde seitens der Polizei angeführt, dass es eine Straftat sei, den Aufzug der Rechtsextremisten auf der angemeldeten Route zu behindern. Da ein Aufeinanderprallen der beiden Versammlungen durch eine Routenänderung als milderes Mittel unproblematisch hätte vermieden werden können, stellt sich die Frage warum dies nicht geschah. Insbesondere stellt sich aber die Frage inwieweit in Brandenburg ein Regelwerk bzw. eine Handreichung zur Abgrenzung von zulässigen und unzulässigen Blockaden existiert.

Daher frage ich die Landesregierung:

Welche grundsätzlichen Vorgaben an Polizeikräfte zum Umgang mit Sitzblockaden gibt es und wurden diese Anweisungen bei dem o.g. Einsatz im Einklang mit der aktuellen Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes umgesetzt?