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„Ein Blick zurück nach vorn": Axel Vogel spricht an der Viadrina zur Aufarbeitung der Aufarbeitung

Vortrag Axel Vogel, MdL,
„Ein Blick zurück nach vorn - zur Aufarbeitung der Aufarbeitung"
4. Mai 2011, 16.00 Uhr ct
Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder

>>> Der Vortrag als pdf

Anrede,

Seit dem Ende der 1.Legislaturperiode des Brandenburger Landtages hat die Aufarbeitung der DDR-Diktatur und deren Folgen um Brandenburg einen großen Bogen gemacht. Das sichtbarste Zeichen dafür war, dass es bei uns keinen Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur gab. Während in allen anderen neuen Ländern eine Anlaufstelle für Diktaturopfer und Interessierte geschaffen wurde, wurde ein solches Ansinnen in Brandenburg zwei Jahrzehnte lang abgelehnt. Das hat fatale Folgen gehabt: Betroffene konnten sich nicht oder nur mit Schwierigkeiten beraten lassen, eine öffentliche Diskussion über den Umgang mit unserer Geschichte gab es kaum. Roland Jahn, der neue Chef der Stasiunterlagenbehörde, meinte vor drei Wochen, dass Brandenburg im Vergleich zu anderen Ost-Ländern einige Jahre verschlafen hat.

Wieso war das so? Wer sich mit Politik auseinandersetzt, der weiß, wie prägend einzelne Köpfe sein können. Und in Brandenburg hießen die lange Manfred Stolpe, Peter-Michael Diestel oder Heinz Vietze. Egal welche Koalition die hiesige SPD anführte: mit besonderem Aufarbeitungs-Verve hat sich kaum jemand hervorgetan. Nicht einmal die bürgerbewegte Bündnis 90-Fraktion im 1. Landtag hatte eine blütenweiße Weste: Zwar war Marianne Birthler aus Protest gegen den Umgang Stolpes mit seiner Vergangenheit zurückgetreten, die damaligen B90-Abgeordneten Nooke (heute CDU) und Platzeck (heute SPD) wollten diesen Schritt aber nicht mitgehen und hielten noch lange an der Koalition fest, bis schließlich auch Günther Nooke die durch das Verhalten Stolpes entstandene Situation als unhaltbar einschätzte und das Koalitionsende herbeiführte.

Übersehen werden darf auch nicht, dass an der Wiege der neugegründeten Parteien wie auch der in CDU und FDP aufgegangenen Blockparteien die Stasi stand. Auf Republikebene stehen hier die Namen Ibrahim Böhme (SPD), Wolfgang Schnur (DA) stellvertretend für viele. Dass diese Funktionäre kein Interesse an einen zu intensiven Blick auf die Vergangenheit hatten liegt auf der Hand. Auch fast 20 % der damaligen Brandenburger Landtagsabgeordneten wirkten zuvor mehr oder weniger engagiert für das MfS, schön verteilt auf alle Fraktionen. So wurden auch in der ersten Bündnis 90-Landtagsfraktion Anfang der 90er zwei ehemalige Stasi-Spitzel enttarnt. Im Unterschied zu den IMs der anderen Fraktionen schieden die beiden allerdings aus dem Parlament aus.

Es hat damals nicht lange gedauert, bis Brandenburg bundesweit als „kleine DDR" verhöhnt wurde. Für Stolpe war das kein Problem. Im Gegenteil: mit einigem Erfolg versuchte er sogar, das Ganze positiv zu wenden. "Wir tragen das Etikett der ,kleinen DDR' stolz", so hieß das dann. Rückblickend sagt Manfred Stolpe: „Die Aufarbeitung sollte nicht unterdrückt werden, war aber nicht Aufgabe Nummer eins".

Nun wird gesagt, dass es in diesen Jahren natürlich andere Prioritäten gab, böse formuliert: Cargolifter, Chipfabriken und Lausitzring, oder positiv ausgedrückt: Wirtschaftliche Entwicklung und Arbeitsplätze. Ich mache das ausdrücklich nicht und will ein großes Fragezeichen setzen. Ein bisschen zu einfach ist es nämlich schon, Aufarbeitung gegen andere Politikfelder auszuspielen. Denn es geht beides: Das eine tun und das andere nicht lassen. In anderen Ländern hat das auch funktioniert, und niemand wird behaupten, dass die Aufarbeitungsvorreiter Thüringen und Sachsen weniger Erfolg beim Aufbau Ost hatten als Brandenburg.

Historiker wie Helmut Müller-Enbergs von der BstU sprachen lange Zeit von einem „Schweigekartell" hierzulande. Man muss es gar nicht so drastisch formulieren, aber es ist schlicht eine Tatsache, dass, wer den Übergang von DDR zu BRD aufarbeiten will, in Brandenburg heute besonders vermintes Gelände betritt. Denn egal wo der Blick hin fällt: Die vergessene Auseinandersetzung mit der Diktatur wird überall deutlich. In den Schulen gibt es bei vielen Schülerinnen und Schülern ein großes Loch, wenn sie zum Thema DDR befragt werden – auch wenn hier erste Besserungen in Sicht sind. Und immer wieder neue Stasi-Enthüllungen sind auch eine Folge davon, dass die Minen in Brandenburg nie richtig gesucht wurden.

Der rot-rote Koalitionsvertrag war 2009 noch nicht richtig unterschrieben, da kamen immer neue Stasi-Fälle in der Linksfraktion zum Vorschein. Wie dieses „Stasi-Biotop" entstehen konnte liegt auf der Hand: Seit der ersten Legislaturperiode hatte es in Brandenburg keine Überprüfung der Abgeordneten mehr gegeben und Änderungen waren auch nicht zu erwarten gewesen.

Auch die Stasi-Fälle in Polizei und Justiz sprechen eine deutliche Sprache. Sie kennen alle die Zeitungsmeldungen der letzten Wochen. Die Frage hier ist, ob wir es uns leisten können, dass immer haarsträubendere Geschichten das Vertrauen in Polizei und Rechtsprechung beschädigen. Damit will ich dezidiert nicht den Journalismus infrage stellen, der hier seiner kritischen Kontrollpflicht zurecht nachkommt. Infragestellen müssen wir aber die Verfahren, die zugelassen haben, dass ein ehemaliger hauptamtlicher Mitarbeiter des MfS und Untersuchungsführer für politisch Inhaftierte später Leiter der Polizeiwache in Brandenburgs zweitgrößter Stadt werden konnte. Infragestellen müssen wir aber auch die heutige Fassung des Stasiunterlagengesetzes, das zwar Medien und Wissenschaftlern umfassenden Zugang zu den Täterakten ermöglicht, nicht aber dem Dienstherren, der den Pressemeldungen dadurch mitunter hilflos gegenübersteht.

So wie in Westdeutschland die mangelhafte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Nachkriegszeit eine Generation später durch die „68er" dann umso heftiger eingefordert wurde, so kommen auch im Brandenburg unserer Tage die unaufgearbeiteten Konflikte und Defizite immer deutlicher zum Vorschein, die bislang von einer Politik des Verdrängens ausgeblendet wurden.

Und dabei geht es nicht nur um das Thema „Stasi", auch wenn im Land Brandenburg oder vielmehr in den Bezirken, die dieses Land heute bilden, die DDR-weit höchste Dichte an Stasi-IM ihr Unwesen trieb. Denn das will ich auch deutlich machen, dass mir das viel zu eng gedacht ist, Aufarbeitung auf das Thema Stasi zu reduzieren. Die Stasi war Schild und Schwert einer autoritären Partei, die keine unkontrollierten Abweichungen zulassen wollte. Sie war, um ein schon von anderen benutztes Bild zu nehmen, eher der Boxhandschuh als der Boxer. Und deswegen wird in der Enquetekommission, auf die ich später noch zu sprechen komme, auch diskutiert werden, welchen Weg die alte Nomenklatura in Brandenburg genommen hat. Der nun öffentlich diskutierte Fall der Richterin in Neuruppin ist wohl auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass 55% der alten DDR-Richter nahtlos ihre Karriere in Brandenburg fortgesetzt haben. In Berlin wurden dagegen nur 11% der Richter übernommen.

Dabei darf es aber nicht allein um Zahlen gehen, sondern notwendig ist natürlich immer auch ein differenzierter Blick. Es gab Einpeitscher und Gemäßigte „in der Partei"; es gab schlimme Denunzianten und es gab Menschen, die zur Zusammenarbeit mit der Stasi erpresst wurden. Auf diesen genauen Blick darf der Rechtsstaat nicht verzichten, sonst wird er unglaubwürdig.

Und doch legen solche Zahlen nahe, dass in Brandenburg andere Kriterien als in den anderen neuen Bundesländern zugrunde gelegt wurden (wenn es überhaupt (stringente) Kriterien gab), anhand derer die Verstrickung von ehemaligen Systemträgern bewertet wurde.

Vor diesem Hintergrund, dass es in Brandenburg nie eine breite öffentliche Debatte zur jüngsten Vergangenheit gab, dass zudem Menschen, die in der DDR ausgegrenzt wurden, nur selten ernsthaft gehört wurden, hat sich hier manches anders entwickelt als in den übrigen neuen Ländern. Ein paar kleine Beispiele: die Zahl der Anträge auf Akteneinsicht bei der Stasiunterlagenbehörde ist bei uns bedeutend niedriger als in allen anderen neuen Ländern. Wo keine Diskussion stattfindet und kaum Beratung angeboten wird, da brauchte es schon ein gerütteltes Maß an Konsequenz, um hier selbst aktiv zu werden. Weil Opfer keine Stimme – zumindest keine beachtete Stimme – hatten, ist lange nicht zur Sprache gekommen, dass bei den Wiedergutmachungsanstrengungen für erlittenes Unrecht Einiges im Argen liegt.

Und die Verhältnisse im kommunalen Raum unterscheiden sich wenig von der Landesebene. In Brandenburg an der Havel wollte die SPD, nicht die Linkspartei, einen stasibelasteten OB-Kandidaten aufstellen. In Bad Belzig kam es vor einem Monat zum Eklat im Stadtrat, als die Fraktionsvorsitzende der Linken einen Antrag auf Überprüfung der Stadtverordneten mit den Worten ablehnte: „Sie haben anscheinend ein Problem damit, dass hier ehemalige Stasi-Leute unter uns sind ... Aber Sie haben offensichtlich kein Problem damit, dass hier eventuell Mitarbeiter vom Bundesnachrichtendienst und dem Verfassungsschutz unter uns sind." Schließlich beschäftige auch der BND informelle Mitarbeiter und bringe Menschen in Schwierigkeiten. Ich lasse das unkommentiert.

In Strausberg erinnert die Peter-Göring-Straße an einen in der DDR zum Helden stilisierten Mauerschützen. Solcherlei makabre Würdigung gab es vielerorts in der DDR, heute ist Strausberg hoffentlich singulär. Und bleibt es auch: erst vor ein paar Wochen ist ein neuer Versuch zur Umbenennung gescheitert, weil es dafür im Gemeinderat keine Mehrheit gab ...

In der aufgeheizten Stimmung, die während der Stasi-Enthüllungen zu Beginn dieser Legislaturperiode herrschte, rief Ministerpräsident Platzeck zur Versöhnung auf. Das klingt gut. Wer wünschte sich das nicht!? Doch was er vergessen hat beim Thema Versöhnung: Vor dem Händereichen muss das Bekenntnis zur eigenen Vergangenheit stehen. Oder wie es Marianne Birthler sagt: „Vor dem Verzeihen kommt die Wahrheit." Es ist an den Tätern, Ihre Fehler zu erkennen und zu bekennen und den ersten Schritt auf die Opfer zuzugehen. Versöhnung lässt sich nicht verordnen, auch nicht durch den brandenburgischen Ministerpräsidenten. Versöhnung ist ein persönlicher Prozess zwischen Menschen, nicht zwischen Institutionen. In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung unterschied der Potsdamer Historiker Martin Sabrow zwischen der Aufarbeitung mit ihrem Lernpotenzial der Erinnerns auf der einen Seite, und dem Versöhnungspotenzial des Vergessens auf der anderen. Aus meiner Sicht eine vortreffliche Differenzierung auch für unsere Debatte.

Lassen Sie mich noch einen Punkt zur Diskussion in Brandenburg hinzufügen. Da taucht immer wieder ein semantischer Trick auf, den ich für sehr schwerwiegend halte. Erst im vergangenen Jahr diktierte unser Ministerpräsident dem SPIEGEL, dass „wir uns unsere Geschichte nicht kaputt machen lassen." Ich halte diese Argumentation für fatal, denn es setzt die kritische Auseinandersetzung mit der DDR-Diktatur gleich mit einer Kritik am Leben, das ein DDR-Bürger persönlich geführt hat. Doch das sind zwei Paar Schuhe. Wer die DDR-Diktatur beklagt, greift doch noch lange nicht die persönliche Biografie eines Menschen an. Niemand will das private Glück denunzieren, wenn er sich kritisch mit der DDR auseinandersetzt. Diese Vermengung muss aufhören!

Anrede,

Ich habe Ihnen einige Hintergründe genannt, warum das Thema Aufarbeitung in Brandenburg so virulent ist. Was bedeutet das für die Enquetekommission „Aufarbeitung" bedeutet. Aus meiner Sicht muss die Kommission dort ansetzen, worum es bei Vergangenheitsaufarbeitung und in unserer Erinnerungskultur im Kern geht. Um, wie es der Politikwissenschaftler Helmut König definiert, ...

„...die Frage, wie neu etablierte Demokratien mit den strukturellen, personellen und mentalen Hinterlassenschaften ihrer Vorgängerstaaten umgehen und wie sie in ihrer Selbstdefinition und in ihrer politischen Kultur zu ihrer jeweiligen belastenden Geschichte stehen." (Helmut König)

Die Enquetekommission mit dem etwas schwierigen Namen „Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg" soll Antworten auf diese Frage finden.

Dass es diese Enquetekommission gibt, ist freilich nicht selbstverständlich. Ende 2009 hatte ich für unsere damals noch junge Fraktion eine solche Kommission angeregt, auch vor dem Hintergrund immer neuer Stasi-Enthüllungen. Ein Vorschlag, der den Ministerpräsidenten zu dem abwertend gemeinten Zwischenruf „Das sind die Probleme dieses Landes" veranlasste. Fünf Monate später wurde die Kommission eingesetzt, nachdem CDU und FDP die Einsetzung mit unterstützten. Notwendig für die Bildung einer Enquete ist ein Drittel der Stimmen im Landtag, im Bundestag reicht sogar ein Viertel.

Dass die Regierungskoalition sich nicht darauf verständigen konnte, diesen Antrag mit zu unterstützen, hat in der Folge für Diskussionen gesorgt. Schließlich gab es dann aber doch einen weiteren Antrag von rot-rot, der den Untersuchungsauftrag der Enquete beträchtlich erweiterte.

Ob die Kritiker recht behalten, die in der Erweiterung eine Überfrachtung oder taktisches Kalkül sehen, wird sich zeigen.

Doch wie arbeitet eigentlich eine Enquete, was unterscheidet die Enquete von anderen Gremien eines Parlaments?

Es geht um „umfangreiche Sachverhalte, die für Entscheidungen des Landtags wesentlich sind". Damit ist klargestellt, dass die Kommission Aufarbeitung nicht als Selbstzweck betreibt. Mit der Arbeit der Enquete ist der Anspruch verbunden, Entscheidungen für die Zukunft wissenschaftlich fundiert vorzubereiten. Ein „Blick zurück nach vorn", so habe ich aus diesem Grund auch meinen Vortrag genannt. Wenn es um die Aufarbeitung unserer jüngeren Geschichte geht, dann haben wir gerade bei uns in Brandenburg nämlich das Problem, dass manche Themen überkommentiert, aber untererforscht sind.

Doch zurück zur konkreten Enquete. Im Juni letzten Jahres hat sich die Kommission zu ihrer konstituierenden Sitzung getroffen. Sie zählt 15 ständige Mitglieder, sieben davon sind Abgeordnete. Das ist eine der Besonderheiten von Enquetekommissionen: hier arbeiten Abgeordnete mit voll stimmberechtigten nichtparlamentarischen Mitgliedern zusammen. Wissenschaftler, die von den jeweiligen Fraktionen benannt werden. Von unserer Fraktion beispielsweise der Historiker Helmut Müller-Enbergs, der beruflich bei der Stasi-Unterlagenbehörde arbeitet.

In den ersten Sitzungen musste die Kommission zuerst festlegen, in welcher Weise der anspruchsvolle Einsetzungsauftrag umgesetzt, also operationalisiert werden soll. Aus meiner Sicht ist das gut gelungen, indem sieben Themenfelder herausgearbeitet wurden, die jetzt systematisch bearbeitet werden. Jedes dieser Felder wird von mindestens zwei Kommissionsmitgliedern – einem Parlamentarier und einem wissenschaftlichen Mitglied - „bearbeitet". Wir haben dafür ein Verfahren gewählt, nachdem in der Regel ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete mit einem Wissenschaftler zusammenarbeitet, der nicht durch die eigene Fraktion benannt worden ist. Die Befürchtung, dass die Wissenschaftler durch ihre Benennung einer Art informellem Fraktionszwang unterliegen, hat sich inzwischen als unbegründet herausgestellt. In den handelnden Personen ist sichergestellt, dass das Erkenntnisinteresse vor dem Parteiinteresse steht.

Wie sehen jetzt diese sieben Themenfelder aus?

1. Geschichtsbild und allgemeine Aufarbeitung

Berichterstatter:
Prof. Dr. Klaus Schroeder
Abg. Thomas Günther

2. Wiedergutmachung und nachhaltige Würdigung der Opfer des SED-Regimes

Berichterstatter:
Ulrike Poppe
Abg. Susanne Melior

3. Personalpolitik - zwischen Kontinuität und Elitenaustausch

Berichterstatter:
Prof. Dr. Helmut Müller-Enbergs
Abg. Peer Jürgens

4. Bildung - Lehrer, Lernende und Lehren

Berichterstatter:
Prof. Dr. Jochen Franzke
Abg. Linda Teuteberg

5. Umgang mit Eigentum im Transformationsprozess in Brandenburg

Berichterstatter:
Dr. Reinhard Stolze
Abg. Axel Vogel

6. Medienlandschaft und Meinungsvielfalt

Berichterstatter:
Dr. Jörg Kürschner
Abg. Dieter Dombrowski

7. Charakter, Verlauf und Ergebnisse des Transformationsprozesses in Brandenburg

Berichterstatter:
Prof. Dr. Wolfgang Merkel
Prof. Dr. Richard Schröder
Abg. Kerstin Kaiser
Abg. Dieter Dombrowski

Die Berichterstatter erarbeiten für jedes Themenfeld Arbeitspapiere. Dort unterbreiten sie Vorschläge, wie die konkrete Fragestellung bearbeitet wird. Den Rahmen bilden dabei natürlich die Einsetzungsbeschlüsse, doch festzulegen ist trotzdem einiges: der Umfang, den einzelne Aspekte erhalten; die Struktur, nach der einzelne Felder untersucht werden, und schließlich die nicht unwichtige Frage, wer überhaupt die aufgelisteten Fragen beantwortet. In der Regel werden dafür Gutachten „nach außen" vergeben: an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die auf dem in Frage stehenden Gebiet Expertise vorweisen können. Deren Studien werden in der Kommission vorgestellt und diskutiert. Darüber hinaus finden Anhörungen statt, bei denen Zeitzeugen oder anderweitig Betroffene ihre Sicht der Dinge darstellen können. So ergibt sich ein möglichst rundes Bild.

Sie sehen, es ist eine Menge an Vorarbeit zu leisten, doch seit Ende 2010 ist diese Phase der Kommissionsarbeit zu Ende. In diesem Jahr ist bereits ein Themenblock ausführlich erörtert worden. Sie haben es sicher auch der Presse entnommen: Die Gutachten und Anhörungen zu „Wiedergutmachung und Würdigung von Opfern des SED-Regimes" haben nicht nur für neue Erkenntnisse, sondern auch für einigen Wirbel gesorgt. Auch Herr Weberling hat zu diesem Thema ja eine Expertise vorgelegt. Im Ergebnis herrscht übrigens weitgehend Einigkeit: Es gibt erkennbar schwerwiegende Defizite. Teilweise liegen diese darin begründet, dass es 20 Jahre lang in Brandenburg keine Stasi- oder Aufarbeitungsbeauftragte gegeben hat. Verfolgte und Benachteiligte des SED-Regimes beklagen sich aber auch noch über viele andere Dinge, wenn es um ihre Rehabilitierung geht: über bürokratische Hürden, über mangelndes Einfühlungsvermögen der Sachbearbeiter, über eine mangelnde öffentliche Würdigung ihrer Schicksale. In Brandenburg, das hat die Landespolitik jetzt schwarz auf weiß, ist im Gegensatz zu anderen ostdeutschen Ländern nie mehr getan worden als zwingend gesetzlich vorgeschrieben ist.

Die Enquete hat schon jetzt das Verdienst, solche Defizite überhaupt erst einmal ans Tageslicht gebracht zu haben. Doch was erhoffe ich mir sonst noch von der Enquete? Ich will Ihnen zum Abschluss Ilko-Sascha Kowalcuk zitieren. Kowalczuk ist einer der renommiertesten DDR-Forscher und er hat die beiden früheren Enquetekommissionen des Bundestages zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte auf ihre Wirkung hin untersucht.

Einige seiner Ergebnisse will ich kurz zusammenfassen:

Mit den Enquetekommissionen hat das Parlament aus seiner Sicht illustriert, dass Aufarbeitung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und nicht mit der Arbeit der Stasiunterlagenbehörde aufhört. Die Kommissionen haben ein Forum geschaffen, in dem zum ersten Mal Raum für eine fundierte Befassung mit dem Thema war und durch den eine breite Öffentlichkeit Zugang zum Thema erhielt. So sei ein Lernprozess sowohl für das Parlament als auch für Medien und Gesellschaft in Gang gesetzt worden. Außerdem konnten sich die Opfer der Diktatur Gehör verschaffen, die Bedeutung von Opposition und Widerstand ist erstmals in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Aufarbeitungsinitiativen wurden gewürdigt – und mit der „Stiftung Aufarbeitung" gibt es auch ein direktes Ergebnis der Enquetearbeit. Diese Stiftung ist heute kaum mehr wegzudenken. Nicht zuletzt hat die Bundestagsenquete auch einen Schub für die sogenannten „Gedenkstätten mit einer doppelten Vergangenheit" mit sich gebracht. Und schließlich gibt es 33 Ergebnisbände, die die Arbeit der Enquete wiedergeben, und damit einen kaum zu überschätzenden Fundus für Wissenschaft und interessierte Öffentlichkeit.

Nun lassen sich Bundes- und Landesebene nicht 1:1 vergleichen. Doch ich bin optimistisch, dass wir schon jetzt den Defiziten im Land ein wenig auf die Pelle gerückt sind. Das Thema Aufarbeitung gewinnt an Bedeutung, die Überarbeitung der Rahmenlehrpläne zum Thema DDR-Geschichte, die Ankündigung von Innenminister Woidke, beim Personal genauer hinzuschauen, das hat vielleicht auch damit zu tun, dass das Verdrängen schwerer geworden ist.

Wenn es uns gelingt, in der Enquete durch den Blick zurück gute Ideen für die Zukunft entwickeln, dann können wir auf den „Brandenburger Weg" einmal stolz sein. Die Enquetekommission ist eine große Chance für das Land und ich lade Sie herzlich nach Potsdam ein, sich vor Ort ein Bild zu machen. Die Kommissionssitzungen sind öffentlich und es lohnt sich.

Vielen Dank.