Die Enquete-Kommission „Aufarbeitung“ hat Beachtliches geleistet
Gastbeitrag von Axel Vogel in den Potsdamer Neuesten Nachrichten
Der Juni 2011 ist unbeständig, weithin geprägt von Wolken und Gewittern. Auch die Stimmung im Potsdamer Landtag ist geladen. Die SPD wirft Gutachtern der Enquetekommission „Aufarbeitung“ „eine politisch motivierte Abrechnung“ vor. „Wüste Polemik“, kontert die Opposition. Was war passiert?
Die Gutachter stellten der Stasi-Überprüfung in Landesregierung und Parlament in den frühen 1990er-Jahren ein miserables Zeugnis aus. Damals wurde geschlampt, Maßstäbe nicht eingehalten, in den Behörden auffällig nachsichtig vorgegangen. Die Kommission „steht vor einer Zerreißprobe“, schrieben die PNN, doch seither ist ihre Stimmungskurve stetig nach oben gegangen.
Die Sicht auf die Enquetekommission zur „Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg“ hat sich seit damals gedreht. Die Anfeindungen sind passé, der Umgang der Mitglieder untereinander ist professionell. In knapp zwei Wochen legt die Kommission nun ihren Abschlussbericht vor. Schon jetzt ist klar: Trotz mancher Geburtswehe und skeptischen Kommentars hat sie Beachtliches geleistet.
Sie hat bewiesen, dass der „Blick zurück nach vorn“ kein Selbstzweck ist, sondern dass es trotz unterschiedlicher Auffassungen möglich ist, Politik auf den Prüfstand zu stellen und – wo nötig – Konsequenzen zu ziehen. Sie hat eine gesellschaftliche Debatte in den Landtag geholt, um die vor allem SPD und LINKE gerne einen Bogen machen wollten. Sie hat Menschen eine Stimme gegeben, die sich in Brandenburg zu oft nicht ernst genommen fühlten mit ihrer Biografie, ihren Sorgen und Anliegen: Frauen und Männer, denen in der DDR Unrecht widerfuhr und die sich beim Versuch der Rehabilitierung in den Fallstricken der Bürokratie wiederfanden.
Mit der von der bündnisgrünen Fraktion angestoßenen und zusammen mit der CDU und der FDP eingesetzten Kommission gab es erstmals ein öffentliches Forum für Themen, die bisher ausgeblendet wurden. Ein Forum, in dem fundiert und zunehmend unaufgeregt darüber gesprochen wurde, wie wir mit dem DDR-Erbe in Brandenburg umgehen wollen. Die breite Aufmerksamkeit zeigte, wie aktuell diese Frage noch immer ist. Oft mussten die Beratungen per Video übertragen werden, weil die Sitzplätze nicht reichten.
Kein Wunder: 20 Jahre lang war die herausfordernde Diskussion, wie wir es mit unserer jüngsten Vergangenheit halten, unerwünscht. Noch 2009 ätzte Matthias Platzeck, dass sie nicht zu den Problemen des Landes zähle. Frei nach dem Motto: Geschichte und was wir aus ihr lernen: kein Redebedarf.
Doch Deckel drauf und zu, das konnte auf Dauer nicht gut gehen. Das erkannte später auch Platzeck. Bereits im Folgejahr begrüßte er die Einsetzung der Kommission, weil sie „uns die Gelegenheit gibt, aus gemachter Erfahrung für die Zukunft zu lernen“. Mehr noch: „Es war ein Fehler, dass wir den Prozess der Vergangenheitsaufarbeitung nach der Auseinandersetzung um Manfred Stolpes Stasi-Kontakte nicht mehr energisch fortgesetzt haben.“
Ein Lernprozess hatte begonnen, besser spät als nie! In kleinen Schritten hat unser Land in dieser Legislaturperiode Anschluss gefunden, auch wenn die Beharrungskräfte in Teilen der LINKEN anfangs groß waren und die SPD oft ziemlich verloren wirkte. Mit der mittlerweile eingeführten Abgeordnetenüberprüfung – in anderen Ost-Ländern längst Routine – gewinnen wir Transparenz. Mit der Wahl der Aufarbeitungsbeauftragten haben wir ein schweres Defizit beseitigt – die Zahl der Bürgeranfragen an Ulrike Poppe spricht Bände. Weitere Maßnahmen und Korrekturen wurden eingeleitet, die Rehabilitierungsbehörde personell verstärkt, die Gedenkstätte Lindenstraße erhält erstmals eine verlässliche Finanzierung. Der Landessportbund erklärt, DDR-Dopingopfer besser unterstützen zu wollen.
Und was noch nicht ist, kann werden: Auf dem Tisch der Landesregierung liegen bald 24 prall gefüllte Seiten mit Handlungsempfehlungen. So soll es einen Härtefallfonds für politisch Verfolgte geben, Betroffene sollen in den Rehabilitierungs- und Anerkennungsverfahren bessergestellt und stärker in die Gedenkkultur einbezogen werden. Vernachlässigte Erinnerungsorte wie das Zuchthaus Brandenburg-Görden oder das ehemalige Militärgefängnis Schwedt sollen weiterentwickelt werden. Die demokratische Bildungsarbeit an den Schulen soll verbessert werden.
Alle zwei Jahre soll es zukünftig einen „Brandenburg-Monitor“ geben, eine Umfrage zu politischen und gesellschaftlichen Einstellungen: Warum ist beispielsweise das Vertrauen in die Institutionen bei uns so niedrig? Wie können Politik und Gesellschaft gegensteuern? Die Ergebnisse sollen im Parlament diskutiert werden.
Auch an vielen anderen Stellen wird es konkret: Missglückte LPG-Umwandlungen, bei denen Bauern um ihre Genossenschaftsanteile geprellt wurden, sollen auf den Prüfstand. Vom Land enteignete „Neusiedlererben“ sollen wo möglich wieder in ihre Eigentümerrechte gesetzt werden. Und nicht zuletzt: Die Kommission empfiehlt eine nachhaltige Agrarförderpolitik, die Wertschöpfung in der Region lässt und nicht bei den Großinvestoren, die gerade reihenweise ehemalige LPG-Betriebe aufkaufen.
Ende gut, alles gut!? Nein. Noch handelt es sich um Empfehlungen. Dass die meisten von ihnen einvernehmlich beschlossen wurden, ist ein starkes Signal der Abgeordneten und Wissenschaftler in der Kommission: Es geht um die Sache und nicht um Schaufensterpolitik. Jede Landesregierung wird gut beraten sein, dieses Votum ernst zu nehmen.
Der Autor ist Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag Brandenburg und Mitglied der Enquetekommission.
Zu deren Arbeit will die Grünen-Fraktion am heutigen Dienstagabend ab 18 Uhr im Landtag Bilanz ziehen. Mit dabei: Marianne Birthler, Stephan Hilsberg, Ulrike Poppe und Dr. Manfred Görtemaker.