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Immer tiefer im Abseits: Die Versuche der SPD, die Enquetekommission Aufarbeitung zu beschädigen, hören nicht auf

Wenn im Fußball jemand ins Abseits läuft, dann wird abgepfiffen. Ein Abseitstor ist regelwidrig.
Solche Klarheit hätte sich manch einer am vergangenen Freitag gewünscht. Die Enquetekommission Aufarbeitung tagte, doch vor der Fachdiskussion stand ein grobes Foulspiel im Mittelpunkt, das jedoch ungeahndet bleiben sollte.

In den letzten Monaten gab es aus den Reihen der Regierungskoalition, insbesondere von Seiten der SPD, immer wieder Störfeuer gegen Aufarbeitung im Allgemeinen und die Enquetekommission im Besonderen. Um in der Fußballsprache zu bleiben: die taktischen Foulspiele rissen nicht ab. Das aktuellste Beispiel lieferte der SPD-Abgeordnete Thomas Günther. Er hatte ein Gutachten, für dessen Betreuung und Abnahme er zuständig zeichnerte, das aber nicht abgenommen war, einigen ausgewählten Journalisten zugespielt und es ihnen gegenüber verrissen. Besonders fatal: außer Günther lag die Expertise den meisten weiteren Kommissionsmitgliedern noch nicht einmal vor.
Ein klarer Verstoß gegen die Verhaltensregeln, die sich die Kommission erst vor kurzem gegeben hatte. Und mit Sicherheit kein Beitrag zu der so dringend notwendigen konstruktiven Kommissionsarbeit. Dementsprechend deutlich war dann auch die Kritik in der zurückliegenden Kommissionssitzung. Unisono wurde der Konfrontationskurs des Sozialdemokraten gegeißelt. Selbst der von der SPD benannte Wissenschaftler Richard Schröder verlangte eine Entschuldigung. Die unterblieb, genauso wie die Gelbe Karte, die die Kommissionsvorsitzende ihrem Parteikollegen hätte zeigen müssen. Der SPD-Korpsgeist scheint immer noch stärker als der Wunsch nach einem kollegialen Umgang in der Enquetekommission.

Die rot-roten Risse, die in dieser Diskussion deutlich wurden, wurden im Verlauf der Kommissionssitzung dann jedoch wieder mit Koalitionsräson notdürftig zugekittet. Schließlich galt es, einen Antrag der Opposition zu verhindern. Den Hintergrund des Antrags bildet eine Umfrage zu DDR-Bild und Aufarbeitung in Brandenburg, die durch die Kommission in Auftrag gegeben werden soll. Eine solche Umfrage wurde wiederholt von Axel Vogel und Linke-Fraktionschefin Kerstin Kaiser gefordert. Beide hatten immer wieder betont, dass ohne empirische Daten manche Diskussion im luftleeren Raum stattfinden würde. Schon im Frühjahr gab es Konsens, dass eine solche Umfrage sinnvoll sei. Eine erste Fassung wurde von Prof. Klaus Schroeder in Zusammenarbeit mit dem Umfrageinstitut forsa entwickelt, jedoch in einer Vorabrunde, an der unter anderem Sabine Niels für die bündnisgrüne Landtagsfraktion teilnahm, auf Intervention von SPD-Generalsekretär Klaus Ness in wesentlichen Teilen geändert. Die SPD beharrte auf zwei von ihr favorisierten Fragen, während die Opposition mit Unterstützung der Diktaturbeauftragten Ulrike Poppe eine Streichung bzw. Änderung dieser Fragen forderte.

Was nach einer Belanglosigkeit klingt, hat es in Wirklichkeit in sich. Denn die zwei strittigen Fragen sind hoch suggestiv und es liegt nahe, dass Regierungsvertreter mit den erwartbaren Antworten ihren Kampf um geschichtspolitische Deutungshoheit fortsetzen wollen. So wird in einem Fall gefragt, inwieweit „Personen, die mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet haben, in der Demokratie eine zweite Chance erhalten sollten“. Eine Frage, die selbstverständlich bejaht werden muss. Genauso ließe sich fragen, ob Straffällige in einer Demokratie eine zweite Chance haben sollten. Natürlich sollen sie! Aber – um es zugespitzt zu formulieren – niemand wünscht sich deswegen jemanden, der wegen Gewaltdelikten im Gefängnis saß, ausgerechnet als Lehrer. Die Frage nach der „zweiten Chance“ dürfte mithin weniger einem Erkenntnisinteresse dienen als einer sozialdemokratischen Pseudo-Argumentationslinie, die der Komplexität von Schuld und Verantwortung in der DDR nicht gerecht wird. Und: de facto hatten doch praktisch alle in den letzten 20 Jahren eine solche „zweite Chance“.

Eine weitere von der Koalition politisch motivierte Frage widmet sich der Übernahme von Stasi-Belasteten in den Öffentlichen Dienst. Seit Monaten wird kontrovers diskutiert, inwieweit schwer Stasi-Belastete auf herausgehobenen öffentlichen Führungspositionen arbeiten sollten. Das Thema ist politisch hoch umstritten. Die von der Koalition nun mit Regierungsmehrheit in die Umfrage hineinformulierte Frage blendet das jedoch aus und fragt, ob Menschen, die für die Stasi tätig waren, grundsätzlich eine Tätigkeit im Öffentlichen Dienst aufnehmen dürften. Es wird keine Unterscheidung getroffen, ob jemand als Hausmeister oder Polizeidirektor arbeitet. Es ist naheliegend und nachvollziehbar, dass viele Befragte die einschlägige Frage bejahen werden und dass eben diese Zustimmung bewusst falsch als Absegnung des bisherigen Regierungskurses interpretiert werden soll.

In der Debatte über die beiden Fragen wurde am Freitag schnell deutlich, dass Rot-Rot nicht gewillt ist, über diese Einwände zu diskutieren, sondern den Fragebogen mit Regierungsmehrheit durchpeitscht.

Nach so viel Kontroverse gab es zum Ende der Sitzung dann aber doch noch Einvernehmen. Prof. Rainer Schröder von der HU Berlin präsentierte ein von allen Seiten anerkanntes Gutachten, dass sich dem großen Thema Eigentum widmete: Wie wurde in der DDR enteignetes Eigentum zurückerstattet? Wann gab es Entschädigungen und wo hatten Betroffene das Nachsehen? Schröders Fazit: der Großteil der Materie wird durch Bundesgesetze geregelt, die Länder sind nur mit der Umsetzung der Regelungen betraut. Und dabei ist es in Brandenburg ähnlich gelaufen wie andernorts. Zwar sind hierzulande besonders viele Eigentumsfragen verhandelt worden, doch die Bearbeitungsquoten und -modalitäten unterscheiden sich nicht grundlegend von anderen Bundesländern. Kein Rüffel für die Regierungspolitik der letzten 20 Jahre und dementsprechend salbungsvoll lobten die Vertreter von SPD und Linke die Untersuchung. Es bleibt zu hoffen, dass die noch ausstehenden Expertisen, die sich den Eigentumsverhältnissen in der Brandenburger Landwirtschaft widmen, auf ähnlich offene Ohren stoßen. Hier ist bekanntermaßen in Brandenburg einiges anders gelaufen...