Zum Inhalt springen

Hinweis: Diese Website wird nicht mehr aktualisiert und dient als Archiv. Weitere Informationen →

Land hat Kommunen bei Stasi-Überprüfungen hängen gelassen

Das Land Brandenburg hat durch eine verfehlte Aufarbeitungspolitik die Kommunen, die es besser machen wollten, im Stich gelassen. Das ist eine der zentralen Feststellungen eines Gutachtens, das in der letzten Sitzung der Aufarbeitungs-Enquete am 23. März vorgestellt wurde.

Potsdam, 27. März 2012. Das Land Brandenburg hat durch eine verfehlte Aufarbeitungspolitik die Kommunen, die es besser machen wollten, im Stich gelassen. Das ist eine der zentralen Feststellungen eines Gutachtens, das am vergangenen Freitag in der Aufarbeitungs-Enquete vorgestellt wurde. Für die Prignitz kommt der Autor Sebastian Stude zu dem Ergebnis, dass dort im Gegensatz zur Landesebene im Kreis bzw. in den größeren Städten regelmäßig Überprüfungen hinsichtlich einer Stasi-Mitarbeit erfolgten. Ein Blick in die Statistik zeigt jedoch, dass die Region damit eher untypisch ist. Denn erst seit der Landtag auf bündnisgrüne Initiative sich selbst wieder einen Stasi-Check verordnet hat, gibt es eine deutliche Zunahme von Überprüfungsverfahren in den Kommunen.

In der Prignitz jedoch dürften auch die regelmäßigen Überprüfungen dazu geführt haben, dass heute die Zahl ehemaliger MfS-Mitarbeiter in den Kommunalvertretungen und an der Verwaltungsspitze vergleichsweise gering ist. Noch zu Beginn der 90er Jahre, nach den ersten freien Kommunalwahlen, war das allerdings ganz anders. Der Anteil ehemaliger Stasi-Zuträger lag in den Kreistagen von Perleberg und Pritzwalk damals bei bis zu sieben Prozent. Das ist in etwa der gleiche Anteil, der sich heute im Brandenburger Landtag findet – auch deswegen, weil es dort in der Vergangenheit keine transparenten Überprüfungen gab.

Dass sich die kommunalen Mandatsträger in Bezug auf ihre Vergangenheit ehrlich machen mussten, war allerdings nicht selbstverständlich – und blieb nicht ohne Widerstände. Das Land habe die Kommunen im Stich gelassen, es sei bei dem Thema in keiner Weise seiner Vorbildfunktion gerecht geworden. Diese Kritik wurde vor Ort immer wieder geäußert. Nicht selten blieb daher unklar, wie mit den Ergebnissen der jeweiligen Stasi-Überprüfung umzugehen sei. In aller Regel wurden die Ergebnisse hinter verschlossenen Türen diskutiert, gegebenenfalls gab es eine Empfehlung zur Mandatsniederlegung. Falls Betroffene dem nicht Folge leisteten, passierte: Nichts. Der Umgang mit den Prüfergebnissen und die fehlende Transparenz bei den Prüfverfahren wurde durch den Enquete-Gutachter denn auch deutlich kritisiert. Im Ergebnis zeigte sich insbesondere die PDS/Linkspartei unbeeindruckt von etwaigen Stasi-Verstrickungen. Immer wieder wurden ehemalige Stasi-Funktionäre bei Wahlen aufgestellt, wenn Fälle öffentlich wurden, dann verschanzte sich die Partei mit einer „Wagenburgmentalität", so Stude. Dass dies nicht allein für die Alt-Kader in der Partei gilt, zeigt der durch den Gutachter angeführte Fall des Landtagsabgeordneten Thomas Domres (>>> Nachzulesen auf den Seiten 125 bis 127 des Gutachtens).

Die kritischen Ausführungen zum Umgang der Linken mit dem Stasi-Thema sind für die Enquete nicht neu. Schon vor Monaten hatte der Gutachter Manfred Kruczek für Potsdams Linkspartei einen „Korpsgeist" konstatiert. Nach Einschätzung des bündnisgrünen Enquete-Mitglieds Sabine Niels habe sich bei der Linken offensichtlich eine Verdrängungsstrategie „habitualisiert".

Als die Presse zum Ende der Sitzung schon längst den Raum verlassen hatte, wurde es noch einmal spannend. Der Kommission lag ein Antrag von Helmut Müller-Enbergs und Sabine Niels vor. Ihr Ziel: in einem Gutachten solle die Anerkennungs- und Übernahmepraxis der Rechtsanwälte im Land Brandenburg genauer untersucht werden. In der zurückliegenden Enquetesitzung hatte der Historiker und Journalist Christian Booß in einer Anhörung mehrere haarsträubende Beispiele dafür genannt, wie aus alten Kadern im Handumdrehen freie Rechtsanwälte wurden. Die Enquetekommission zeigte sich schwer beeindruckt. Der ehemalige Justizminister Bräutigam sprach von „erheblichen Defiziten" bei der Anerkennung von Rechtsanwälten und regte ein Gutachten an, in dem die aufgeworfenen Fragen vertieft untersucht werden. Mit dieser Meinung stand Bräutigam nicht alleine. Doch als es nun in der Enquete zum Schwur kam, stand plötzlich die rot-rote Betonwand wieder. Mit Regierungsmehrheit wurde die Initiative für eine vertiefte Betrachtung des sensiblen Personalthemas abgelehnt. So einfach ist das mit der Aufarbeitung, wenn es konkret wird. Der Wissenschaftler Helmut Müller-Enbergs kritisierte die dahinter liegende Einstellung: „Die Enquete kneift wieder einmal."

>>> alle Gutachten der Enquetekommission 5/1