Die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Brandenburger Landtag hat heute einen Gesetzentwurf vorgestellt, mit dem die Ungleichbehandlung verschiedener Gruppen von Neusiedlererben beendet werden soll. Um Rechtsfrieden herzustellen, sollen alle Neusiedler bzw. ihre Erben im Gegensatz zur bisherigen Praxis – unabhängig davon, ob sie zu einem rechtlich vorgegebenen Stichtag in der Landwirtschaft gearbeitet haben oder nicht - ihre früheren Bodenreformflächen zurück erhalten. Möglich geworden ist der Gesetzentwurf durch einen Staatsvertrag zwischen Brandenburg und dem Bund vom April 2013.
Der Umgang mit Bodenreformeigentum ist der wohl mit am heftigsten kritisierte Bereich bei der Neugestaltung der Eigentumsverhältnisse in den neuen Ländern nach 1989. Nicht nur Betroffene, die ihr sicher geglaubtes Eigentum abtreten mussten, sondern auch zahlreiche Juristen halten die Abwicklung der Bodenreform für missglückt.
Brandenburg war und ist aufgrund seiner Landwirtschaftsstruktur und seiner Größe von diesen Fragen besonders stark betroffen. Das Vertrauen in den Rechtsstaat ist bei vielen früheren Eigentümern von Bodenreformflächen stark beschädigt worden. Zahlreiche Betroffene machen sich für Korrekturen der damaligen Landwirtschaftspolitik stark, andere liegen noch immer im Rechtsstreit mit dem Land oder leiden unter den Folgen der damaligen Verfahrenspraxis.
Im Zuge der Bodenreform in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) nach Kriegsende (insb. 1945) hatten in der Provinz bzw. im Land Brandenburg ca. 50.000 landlose Bauern und Landarbeiter sowie „Umsiedler“ Bodenreformflächen erhalten; gegen Geld- oder Naturalienzahlung bzw. durch Aufnahme von Krediten. Die (Zwangs-)Kollektivierungspolitik, die im Jahr 1960 kulminierte, zielte später darauf ab, dass diese Neubauern ihre Flächen nunmehr in die neugegründeten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften einbringen mussten. Die Bodenreformflächen blieben allerdings Eigentum der Einbringer, deren Verfügungsgewalt jedoch stark eingeschränkt war.
Mit dem am 06. März 1990 von der Volkskammer unter Hans Modrow verabschiedeten Gesetz über die Rechte der Eigentümer aus der Bodenreform sind sämtliche in der DDR gebräuchlichen Eigentumsbeschränkungen aufgehoben worden. Bodenreformeigentum – vom Garten bis zu den üblichen, bis zu 10 Hektar großen Flächen – ist damit in Privateigentum („Volleigentum“) überführt worden. Dadurch galt der Eigentumstransformationsprozess den meisten als abgeschlossen.
Mit dem sogenannten 2. Vermögensrechtsänderungsgesetz erfolgte 1992 jedoch eine jähe Kehrtwende. In der Enquetekommission Aufarbeitung, die sich ausführlich mit der Problematik befasste, herrschte unter den Fachjuristen Einigkeit: das Gesetz in der vorliegenden Form verkannte nicht nur die DDR-Rechtslage, sondern stellte im Ergebnis ein „gigantisches Enteignungsgesetz“ (Prof. Dr. Beate Grün, EK 5/1, 21.09.2012) dar. Es fußte auf der später durch den Bundesgerichtshof korrigierten Annahme, dass Bodenreformeigentum in der DDR nicht vererbbar gewesen sei.
Die Vorschriften des Gesetzes haben den einzelnen Ländern und damit auch dem Land Brandenburg einen Anspruch gegeben, die Übereignung von Bodenreformeigentum zu verlangen. Mit einer Ausnahme: Eine sogenannte „Zuteilungsfähigkeit“ – in der Praxis vielmehr das Recht der Erben, ihre Liegenschaft behalten zu dürfen – war gebunden an eine zehnjährige Berufstätigkeit in Land-, Forst- oder Nahrungsgüterwirtschaft oder eine entsprechende Berufstätigkeit an einem vorgegebenen Stichtag.
Das Land Brandenburg hat die 1992 eröffneten Möglichkeiten zur Einziehung von Bodenreformeigentum in besonders intensiver Weise genutzt. Der Bundesgerichtshof bescheinigte dem Land 2007 „Sittenwidrigkeit“ bei der Einziehung von Bodenreformeigentum („Bodenreformaffäre“). Die Rüge des BGH betraf all die Fälle, in denen sich das Land als gesetzlicher Vertreter von unbekannten Eigentümern einsetzen lies, die Grundstücke auf sich übertrug und dabei die Interessen der Vertretenen nicht berücksichtigte. Aber auch unabhängig von dieser Praxis war Brandenburg Spitzenreiter, wenn es um die sogenannte „Auflassung“ von Bodenreformflächen ging. Nach Angaben der Bundesregierung von 2004 handelt es sich in Brandenburg um ca. 34.000 Hektar, weit mehr als in allen anderen Ländern. In Thüringen mussten nur 1662 Hektar an den Fiskus übertragen bzw. „aufgelassen“ werden. Bis zum Jahr 2004 hatte Brandenburg die Auflassung bzw. die Herausgabe des Verkaufserlöses in ca. 1.590 Verfahren vor den Gerichten erfolgreich durchgesetzt. Das waren 39,3 Prozent (!) aller erfolgreichen Verfahren in den neuen Ländern. Das Land Brandenburg hat die Kann-Bestimmung zur Bodenreformabwicklung mithin härter und konsequenter gegen die Besitzer von Bodenreformflächen zur Anwendung gebracht als jedes andere ostdeutsche Bundesland.
Die damalige Verfahrenspraxis prägt noch heute die heimische Landwirtschaft, da sie nicht zuletzt einen möglichen Aufbruch in eine stärker bäuerlich ausgerichtete Landwirtschaft mit Neu- und Wiedereinrichtern behinderte.
Mehr noch: Bis zum heutigen Tage belasten Rechtsstreitigkeiten nicht nur Betroffene, sondern auch das Klima im ländlichen Raum. So kam es – nicht zuletzt, weil die Rechtsprechung selbst ihre Kriterien für „Zuteilungsfähigkeit“ im Laufe der Zeit änderte – immer wieder zu Abgrenzungsproblemen, zum Beispiel bei den Fragen, wann und ob jemand in der Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft gearbeitet hat, welche Rolle die Mitgliedschaft in einer LPG spielen soll u.a.m.
In Brandenburg entstehen in der Folge der Bodenreformaffäre zudem noch weitere „hausgemachte“ Ungerechtigkeiten. So darf beispielsweise aufgrund des BGH-Urteils von 2007 derjenige, der sich heute als bisher unbekannter Erbe meldet, Bodenreformeigentum behalten; diejenigen, die bis zum Stichtag 03. Oktober 2000 ihre Flächen gemeldet haben oder ausfindig gemacht wurden, durften das hingegen nur, wenn sie nachweisen konnten, in der Land-, Forst- oder Nahrungsgüterwirtschaft gearbeitet zu haben. Nach Angaben der Landesregierung umfasst die erste Fallgruppe („anonyme Erben“) 10.208 Grundstücke; in ca. 7.550 Fällen hatte sich das Land „sittenwidrig“ ins Grundbuch eingetragen. In 6.500 Fällen wurden Auflassungsansprüche gegen bekannte Neusiedlererben durchgesetzt.
Als hochproblematisch erweist sich jedoch zuallererst die Tatsache, dass die teilweise Abwicklung der Bodenreform den Rechtsfrieden im ländlichen Raum bis zum heutigen Tag empfindlich gestört hat. Zur Erinnerung: Neusiedler mussten im Zuge der Bodenreform für ihr Land mit Geld oder Naturalien bezahlen bzw. Kredite aufnehmen. Im Gegenzug erhielten sie (vererbbare) Bodenreformflächen. Alle dafür in der DDR einschlägigen Verfügungsbeschränkungen wurden im Zuge des Modrow-Gesetzes 1990 aufgehoben. Jegliche Rückführungsmöglichkeit in einen staatlichen Bodenfonds galt als ausgeschlossen. Viele Eigentümer haben im Vertrauen auf diese Rechtsposition nach 1990 ihr Land veräußert oder planten mit diesem Land ihre Zukunft.
Mit dem 2. Vermögensrechtsänderungsgesetz von 1992 und abhängig von der Umsetzungspraxis in den Ländern standen viele dann plötzlich vor dem Nichts. Mehr noch: im Vertrauen auf ihre Eigentümerposition wurde häufig der Rechtsweg beschritten; am Ergebnis änderte dies in der Regel nichts, bis auf die zusätzliche finanzielle Last durch entsprechende Verfahrenskosten.
Das Bodenreformwiedergutmachungsgesetz
Im Interesse der Rechtsstaatlichkeit und des Rechtsfriedens ist eine vollständige Rückabwicklung der Abwicklung der Bodenreform notwendig – und möglich: Im Gesetz zum Staatsvertrag über die abschließende Aufteilung des Finanzvermögens gemäß Art. 22 des Einigungsvertrages zwischen dem Bund, den neuen Ländern und dem Land Berlin, das am 05. April 2013 in Kraft trat, ist festgelegt worden, dass das dem Landesfiskus zufallende Bodenreformvermögen endgültig im Landeseigentum verbleibt. Damit ist ein jahrzehntelanger Schwebezustand beendet; bisher hat das Land die Flächen lediglich verwaltet. Das Land hat nunmehr die Möglichkeit, selbst über den Umgang mit den Flächen zu entscheiden.
Der vorliegende Entwurf für ein Bodenreformwiedergutmachungsgesetz sieht die Rückführung von Bodenreformgrundstücken an die Neusiedlererben vor. Voraussetzung ist, dass diese Grundstücke im Anwendungsbereich der Bodenreformabwicklungsbestimmungen der §§ 11-16 Art. 233 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) vom Land Brandenburg in Anspruch genommen wurden. Wenn dies nicht möglich ist, ist eine entsprechende Entschädigung zu zahlen. Eventuell entstandene Verfahrenskosten sind den nach unserem Gesetzentwurf Anspruchsberechtigten zu erstatten.
Durch die Rückgabe der Flächen muss zudem die Brandenburgische Boden Gesellschaft für Grundstücksverwaltung und -verwertung mbH (BBG) nicht länger als Geschäftsbesorger für deren Verwaltung beauftragt werden; die dadurch derzeit anfallenden Kosten entfallen.