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Fraktion stellt Gutachten zum Umgang mit kommunalen Schulden vor und fordert Frühwarnsystem und Entschuldungsfonds

Über 80 Prozent der brandenburgischen Kommunen sind nach Angaben des statistischen Landesamtes verschuldet. 2012 betrugen deren Außenstände über zwei Milliarden Euro. Das Problem droht sich zudem zu verschärfen: Eine Projektionsberechnung der künftigen kommunalen Finanzausstattung in Brandenburg kommt zu dem Ergebnis, dass die Finanzausgleichsmasse im Jahr 2020 insbesondere wegen des Wegfalls der Solidarpakt-Mittel um 14% gegenüber 2012 sinken und 367 von 419 Gemeinden geringere Schlüsselzuweisungen erhalten werden.

Aufgrund der zahlreichen offenen Fragen zur kommunalen Verschuldung – auch im Rahmen einer Verwaltungs- und Kommunalreform – hat die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Brandenburger Landtag hierzu ein Gutachten in Auftrag gegeben. Dieses liegt nun vor.

Ziel des Gutachtens von Prof. Lars Holtkamp und Dipl.-Pol. Thomas Bathge von der FernUniversität Hagen sollte es sein, der Landtagsfraktion Empfehlungen zu geben, wie sie sich in der Frage des Umgangs mit Schulden der kommunalen Ebene vor dem Hintergrund einer angestrebten und von der Enquetekommission „Kommunal- und Landesverwaltung – bürgernah, effektiv und zukunftsfest – Brandenburg 2020“ skizzierten Reform der Kommunal- und Landesverwaltung positionieren kann. Dies gilt insbesondere für die Frage der Sanierung hoch verschuldeter und gegebenenfalls zu fusionierender bzw. einzukreisender Städte und Gemeinden.

In die Studie fließen unter anderem Daten des von der deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts „Ursachen kommunaler Haushaltsdefizite“ ein, bei dem in allen Bundesländern zweieinhalb Jahre lang die kommunale Haushaltslage untersucht wurde. Dieses Projekt ist ein Gemeinschaftsantrag von Prof. Dr. Lars Holtkamp (FernUniversität Hagen), Prof. Dr. Jörg Bogumil (Ruhr-Universität Bochum), Prof Dr. Martin Junkernheinrich (Universität Kaiserslautern) und Prof. Dr. Uwe Wagschal (Universität Freiburg) und damit sicherlich eines der bisher größten Forschungsprojekte zu Kommunalfinanzen in Deutschland.

Ausgewertet wurde unter anderem die Erfahrungen mit Starthilfen und mögliche Konsolidierungseffekte im Rahmen von Gebietsreformen sowie Erfahrungen mit Entschuldungsfonds und Sanktionen der Haushaltsaufsicht insbesondere in den alten Bundesländern.

Bundesweit sind die Kassenkredite, mit denen die Kommunen kurzfristig ihre Liquidität sicherstellen, seit dem Jahr 2000 von 6,9 Mrd. auf 48,3 Milliarden Euro angestiegen. Im Bundesdurchschnitt beträgt der Kassenkreditstand pro EinwohnerIn durchschnittlich 625 Euro. Brandenburg hat mit einem Kassenkreditstand von 313 Euro pro EinwohnerIn zwar ein unterdurchschnittliches Verschuldungsniveau, dennoch ist die Situation einiger Kommunen sehr kritisch. Insbesondere die kreisfreien Städte Cottbus, Brandenburg (Havel) und Frankfurt (Oder) mit Kassenkreditständen von 2236 Euro pro EinwohnerIn (CB), 2103 (BRB) bzw. 1549 (FFO) sowie die Städte Eisenhüttenstadt und Forst (Lausitz) mit Kassenkreditständen von 2102 bzw. 1647 Euro pro EinwohnerIn werden ohne Hilfe kaum in der Lage sein, ihre Schulden abzubauen. Ihnen droht die Vergeblichkeitsfalle.

Schlussfolgerungen der Gutachter:

Haushaltskonsolidierung geht nicht ohne Entscheidungen zu Steuer- und Gebührenerhöhungen oder Abstrichen beim Leistungsangebot einer Kommune, aber auch das Land selbst kann und muss auf verschiedenen Ebenen aktiv handeln und auch selbst Geld in die Hand nehmen, heißt es von den Gutachtern. Sie schlagen vier Instrumente vor:

  1. Eine Anschubfinanzierung im Rahmen einer möglichen Gebietsreform. Dafür schlagen die Gutachter einen Betrag von 8-10 Mio. Euro für jeden neuen Landkreis sowie Landeshilfen für ehem. Kreisstädte und kreisfreie Städte, die ihren Status verlieren, vor.
  2. Einen Entschuldungsfonds. Dafür werden 480 Mio. Euro aus Landesmitteln mit einer Laufzeit über vier Jahre veranschlagt, wobei die pflichtig teilnehmenden Kommunen einen eigenen Konsolidierungsbeitrag von 70 Euro pro Einwohner im Jahr erbringen müssen.
  3. Ein öffentliches Frühwarnsystem zur Bewertung der kommunalen Haushaltslage: Dieses soll einen transparenten Vergleich von Haushaltsdaten und damit auch eine Bewertung der kommunalen Haushaltslage ermöglichen. Nach Ansicht der Gutachter muss auch die Haushaltsaufsicht bessere Eingriffsmöglichkeiten bekommen, wenn sich abzeichnet, dass ein kommunaler Haushalt in dauerhafte Defizite abrutscht.
  4. Weiterhin wird auch ein „Bürgerhaushalt“ empfohlen, der auf Maßnahmen zur Verbesserung der Haushaltssituation und auf die Einbeziehung der BürgerInnen vor Ort fokussiert.

„Zwar hat sich die Entwicklung der kommunalen Schulden in Brandenburg im Vergleich zu den Vorjahren etwas verbessert; so liegen beispielsweise die Kassenkredite unter dem Bundesdurchschnitt. Dennoch ist die Lage ernst. Im Vergleich zu Sachsen ist die durchschnittliche kommunale Verschuldung in Brandenburg deutlich höher. Besonders eng ist es bei den kreisfreien Städten Cottbus, Brandenburg und Frankfurt (Oder) sowie einigen berlinfernen Gemeinden und Kreisen“, sagte die kommunalpolitische Sprecherin der Fraktion URSULA NONNEMACHER. „ Die Landesregierung muss endlich tragfähige Vorschläge unterbreiten, um die Kommunen von ihrer Schuldenlast zu befreien.

Die inzwischen abgeschlossene Enquetekommission „Kommunal- und Landesverwaltung“, in der URSULA NONNEMACHER Mitglied war, habe in dem ihr zur Verfügung stehenden Zeitraum entscheidende Fragen der kommunalen Finanzierung nicht abschließend beantwortet. „Der Landesregierung wurden zwar Empfehlungen gegeben, doch seither war nichts von ihr zu hören. Im Gegenteil: Mit Herannahmen des Wahlkampfs gewinnt man den Eindruck, dass die großen Akteure – SPD, Linke und CDU – allesamt abgetaucht sind.“

„Um Eskalationen zu verhindern, die einzelnen Kommunen keinen Weg mehr aus der Schuldenspirale lassen, muss das Land zusammen mit der „kommunalen Familie“ schnell handeln und sich auch selbst finanziell stärker engagieren“, sagte URSULA NONNEMACHER „Wir brauchen starke und finanziell leistungs- und handlungsfähige Kommunen.“

„Eine gut arbeitende Kommunalaufsicht hätte es niemals zulassen dürfen, dass sich die Schuldenlast in Frankfurt (Oder), Cottbus, Brandenburg (Havel), Forst und Eisenhüttenstadt dermaßen anhäuft“, sagte der Vorsitzende und finanzpolitische Sprecher der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, AXEL VOGEL. „Ich halte es für zulässig einen Entschuldungsfonds aus den Steuermehreinnahmen und Rücklagen des Landes zu bedienen. Zwar handelt es sich um kommunale Schulden, aber die hier eingesetzten Mittel würden unmittelbar zur Schuldentilgung verwandt.“

Um die Landesregierung hier zu mehr Engagement aufzufordern, hat die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für die kommende Landtagssitzung einen Antrag zum Abbau der kommunalen Schulden eingebracht. Darin fordert sie die Landesregierung auf, in Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden Vorschläge für eine Lösung der kommunalen Haushaltsprobleme sowie für eine nachhaltigere Strukturierung des Kommunalfinanzsystems zu entwickeln und dem nächsten Landtag vorzulegen.

„Unser Gutachten hat hierzu bedenkenswerte Vorschläge gemacht. Die Landesregierung täte gut daran, diese mit aufzunehmen“, sagte URSULA NONNEMACHER.

Zum Herunterladen

>> Gutachten zum Umgang mit kommunalen Schulden (pdf-Datei)