Ein Plädoyer für die Wertschätzung der Parteien und wider die Sprachlosigkeit
Natürlich diskutieren wir hier politisch, Frau von Halem, nur nicht parteipolitisch“, wurde mir kürzlich von der Vorsitzenden eines der wichtigsten Beteiligungsgremien im Land Brandenburg vorgehalten, in dem ich aufgrund meiner politischen Funktion zwar als Zuhörerin, aber nicht als Diskutantin zugelassen bin.
Das ist leider kein Einzelfall. Manche Interessenvertretungen auf Landesebene, Dachorganisationen verschiedener Vereine und Verbände und auch Bürgerinitiativen wollen bewusst nichts mit Parteien zu tun haben. Doch ich habe den Unterschied zwischen „politisch“ und „parteipolitisch“ nie verstanden.
In meiner früheren jahrelangen Tätigkeit als Landesgeschäftsführerin der bündnisgrünen Partei besuchte ich immer wieder sich neu formierende Bürgerinitiativen, um deren Anliegen zu unterstützen. Oft schwappte mir eine Welle des Unwillens entgegen: „Wir sind engagierte Bürgerinnen und Bürger, Parteien wollen wir nicht haben.“ Ich fühlte mich beschämt. Wird mir hier abgesprochen, das Anliegen einer Interessenvertretung mit lauterer Absicht und ganzem Herzen zu teilen, nur weil ich Mitglied einer – demokratischen! – Partei bin? Schmälert es das Ansehen einer Initiative, wenn dort Parteien vertreten sind?
Diese Vorbehalte im Voraus antizipierend greifen viele ParteienvertreterInnen zu einem höchst abstrusem Verhalten: Um sich für bessere Verankerung der Parteien in den gesellschaftlichen Gremien einzusetzen, beteiligen sie sich dort, lassen sich in Funktionen wählen und erzählen dann mit den Unterton großer Professionalität: „Ich trete da natürlich nicht als Grüner auf. Dann würde ich ja nichts erreichen.“
Wir machen hier einen kapitalen Fehler. Dass die vielzitierte Politikverdrossenheit eher eine Parteien- bzw. Politikerverdrossenheit ist, wissen wir längst. Doch möchte ich daran erinnern, dass Parteien den verfassungsmäßigen Auftrag haben, an der Bildung des politischen Willens des Volkes mitzuwirken. Sie sollen politische Ziele formulieren und KandidatInnen aufstellen, die diese vertreten. Parteien sind die „lebendige Verbindung zwischen Volk und Staatsorganen“ (siehe Andersen/Wichard, Hrsg.: Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland). Trotzdem fühlen wir uns oft als Schmuddelkinder, wenig willkommen am Tische derer, die – oft selbst betroffen – mit viel Engagement für ihr gutes Projekt streiten. Allzu oft schwingt der böse Vorwurf mit, den Parteien gehe es gar nicht um die Sache, sondern nur um Macht um der Macht willen.
Was machen wir falsch? Es mag sein, dass wir ParteienvertreterInnen nicht selbstkritisch genug auftreten und allzu oft dem Beißreflex gegenüber der politischen Konkurrenz erliegen, ohne vorher genau geprüft zu haben, ob wir selbst wirklich die Dinge besser und klüger gemacht hätten. Erwecken wir vielleicht auch den Eindruck, uns zu billig auf Kosten anderer profilieren zu wollen? Steht unser Ansehen bei uns im Osten Deutschlands immer noch im düsteren Schatten der einen Partei, die immer recht hatte? Wird aufgrund all dessen in Abrede gestellt, dass wir ParteienvertreterInnen ein ehrliches Interesse daran haben, unsere Gesellschaft zum Besseren verändern zu wollen?
Die Erwartungen des pluralistischen Spektrums aus Verbänden, Interessenvertretungen und Bürgerinitiativen an PolitikerInnen werden sich nie für alle z.ufriedenstellend erfüllen lassen. Zum Glück. Die einen wünschen sich PolitikerInnen, die versiert das eine Thema gegen das andere abwägen, sich geübt auf dem politischen Parkett bewegen, Kompromisse schließen und das große Ganze im Blick haben. Andere bevorzugen hingegen Menschen, die sich mit Herzblut und Empathie vorwiegend dem einen Thema verschreiben, das ihr Leben bestimmt. Diese Vielfalt ist wichtig und tut der Politik gut. Ich meine, Initiativen bzw. Politik täten gut daran, ihre gegenseitigen Erwartungen lauter, klarer und gleichzeitig respektvoller zu formulieren. Wir haben verschiedene Rollen, doch das sollte die Diskussionen beflügeln und nicht zur Sprachlosigkeit führen.
Wer auch immer sich daran beteiligt, einen Graben zwischen engagierten Bürgerinnen und Bürgern auf der einen Seite und ParteivertreterInnen auf der anderen zu ziehen, leistet der Demokratie einen Bärendienst. Gefährlicher noch: Dieses Verhalten nimmt den Vertrauensbruch als gegeben hin, zementiert ihn und trägt so zum Niedergang der Demokratie bei.
Man mag der Auffassung Churchills manches abgewinnen, der gesagt haben soll, die Demokratie sei die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von denen, die wir zuvor ausprobiert haben. Sich aber an der bewussten und mancherorten sogar institutionalisierten Sprachlosigkeit zwischen „politisch“ und „parteipolitisch“ zu beteiligen, demontiert die Demokratie. Wir sollten das unterlassen – zumindest solange wir keine bessere Staatsform erfunden haben.
Der Beitrag erschien am 25. Mai 2012 in den Potsdamer Neueste Nachrichten.