„Wenn wir die Waffen nicht liefern, dann tun es andere“ – das ist das Lieblingsargument von Rüstungsfirmen, um ihre Verantwortung am weltweiten Kriegselend kleinzureden.
Gordian Meyer-Plath, früher Verfassungsschützer in Brandenburg und heute Verfassungsschutz-Präsident in Sachsen, vertritt eine ähnliche Philosophie – wenn es darum geht, was rechtsextremistische V-Leute dürfen. Dass Informant „Piatto“ in Deutschland als Kontaktperson für die britische Terrorgruppe „Combat 18“ und andere fungierte, darin sah Meyer-Plath als Zeuge vor dem brandenburgischen NSU-Untersuchungsausschuss am 20. April 2018 kein Problem: „Wir waren uns sicher, dass wenn welche einen Weg suchen, um mit C18 in Kontakt zu treten, dann werden sie es tun – unabhängig davon, ob ein V-Mann der Mittler ist.“
Der Zweck heiligte laut Gordian Meyer-Plath die Mittel
Es sei „von hohem Interesse“ gewesen, herauszufinden, wer sich aus Deutschland an die Terrorgruppe wende, sagte Meyer-Plath. Carsten Szczepanski alias „Piatto“ bekam die Adressen aus dem Londoner „Combat 18“-Postfach und gab sie an den Verfassungsschutz weiter. Das sei das Risiko, dass ein Informant Beziehungen zu einer Terrorgruppe unterhalte, wert gewesen, meinte der Verfassungsschützer.
Aber was macht ein Rechtsextremist konkret für das „Combat 18“, der die Adressen von deutschen Neonazis erhält, die Kontakt zu der Terrorgruppe suchen – und welche Stellung hat er bezüglich einer konspirativen Organisation, dass er solche internen Informationen erhält?
Auf solche Fragen bekam Ursula Nonnemacher, die bündnisgrüne Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss, keine Antworten. „Piattos“ V-Mann-Führer mit dem Tarnnamen „Dieter Borchert“ und sein einstiger Kollege Gordian Meyer-Plath haben sich vielfach auf Unkenntnis oder Erinnerungslücken berufen. Ursula Nonnemacher: „Bei lebensnaher Betrachtung steht zu befürchten, dass ,Piatto‘ mindestens ,Combat 18‘-Mitglied und womöglich maßgeblich daran beteiligt war, dass die Terrorgruppe ihr Netzwerk nach Deutschland ausdehnen konnte.“
V-Mann-Führer Dieter Borchert als Tatverdächtiger
Zudem blieb unklar, wer die Broschüren mit „Combat 18“-Bezug und das Informationsmaterial verschickt hat, das Neonazis über das Postfach 2224 in Brandenburg an der Havel bestellen konnten. Das Postfach gehörte nach polizeilichen Erkenntnissen dem V-Mann-Führer Dieter Borchert, seinem Informanten Szczepanski und einer dritten Person namens Bär. Wer Bär ist, wusste Borchert angeblich nicht – dass Szczepanski als Postfach-Nutzer mit eingetragen war, wusste er angeblich auch nicht. Der Potsdamer Staatsschutz hatte um die Jahreswende 1999/2000 herum, gegen Szczepanski ermittelt und Anzeige wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung erstattet. Als Tatverdächtiger wird in den Ermittlungsakten auch Verfassungsschützer Borchert genannt.
Es ging in dem Verfahren auch und gerade um das „National Socialist Movement“ (NSM). Szczepanski fungierte als deutsche Kontaktmann für diese britische Abspaltung der Terrorgruppe „Combat 18“, wie aus Verfassungsschutz-Dokumenten hervorgeht – das Postfach von Borchert diente als Kontaktadresse für deutsche Interessenten. Aber auch die Rechtsextremisten, die an das Londoner Postfach des NSM schrieben, wurden via „Piatto“ beim Verfassungsschutz registriert.
Dieter Borchert bestätigte, dass er das Postfach 2224 geleert hat – der zweite Schlüssel habe vermutlich in der Behörde gelegen. Ursula Nonnemacher wollte wissen, wer anschließend das Informationsmaterial an die Neonazis verschickt hat und gegebenenfalls welches? „Da kann ich Ihnen jetzt nichts dazu sagen“, antwortete Borchert.
„Aufgabe des Untersuchungsausschusses wird es sein, herauszufinden, was aus dem Ermittlungsverfahren gegen Szczepanski geworden ist“, sagte Ursula Nonnemacher. Sein damaliger V-Mann-Führer Borchert sagte als Zeuge, er wisse nichts von dem Vorgang – auch nicht, dass er selbst unter Tatverdacht gestanden habe.
Anti-Antifa-Arbeit über ein Verfassungsschutz-Postfach?
Im britischen Neonazi-Magazin „The Order“, das nach einer US-Terrorgruppe benannt ist und in Deutschland ebenfalls über das Verfassungsschutz-Postfach bestellt werden konnte, war dieses Postfach auch als Adresse der „Anti-Antifa Brandenburg“ genannt. V-Mann-Führer Borchert bestritt eine entsprechende Nutzung: „Da wurde keine Anti-Antifa-Arbeit abgewickelt. Da bin ich mir sicher.“
Wie der Verfassungsschutz die „Piatto“- Machenschaften im rechtsterroristischen Milieu überwacht hat? Die Behörde habe den Schriftwechsel zwischen Szczepanski und den „Combat 18“-Aktivisten gekannt, sagte Meyer-Plath. Dem NSU-Untersuchungsausschuss liegt dieser Schriftwechsel allerdings nicht vor, obwohl er – sofern beim Verfassungsschutz existent – längst vorliegen müsste. Teilweise seien die Briefinhalte nur in Deckblattmeldungen eingeflossen und die Briefe unkopiert an Szczepanski zurückgegeben worden, erläuterte Meyer-Plath. Und Borchert sagte: „Ich hatte nicht den Eindruck, dass Herr Szczepanski beginnt, Bomben zu bauen oder Terrorist zu werden.“
„88“ zum Gruße – ein „hohes Maß an Ironie“?
Sachsens heutiger Verfassungsschutz-Präsident wie auch der frühere Leiter des Brandenburger Beschaffungs-Referats Peter Giebler bescheinigten Borchert eine professionelle Arbeit. Dass „Piatto“ seinen V-Mann-Führer in einem Brief mit „88“ grüßte, was für „Heil Hitler“ steht, und mehrfach einen vermummten Kämpfer mit der „Combat 18“-Losung „Whatever it takes“ in die Schreiben kopierte, fand der Zeuge Meyer-Plath nicht problematisch. Er machte in den Briefen ein „hohes Maß an Ironie“ aus. Und Borchert sagte, er habe die Schreiben einfach so, wie sie gewesen seien, an die Auswertungsabteilung weitergegeben.
Dass Szczepanski als Schnittstelle zwischen einer britischen Terrorgruppe und deutschen Neonazis operierte, hat nach Meinung von Gordian Meyer-Plath mehr genutzt als geschadet: „Denn es hätte sonst einen anderen gegeben, der diese Adressen in irgendeiner Form gemakelt hätte.“
Wenn „Verfassungsschutz“ zur Gefahr wird
Ursula Nonnemacher: „Ich bin erstaunt, dass heute noch ein Verfassungsschutz-Präsident eine solche Meinung vertritt. Wenn es reicht, dass genügend Informationen abfallen, dann können V-Leute demnach fast jede Funktion in der Neonazi-Szene übernehmen – wie zu den Hochzeiten des ,Nationalsozialistischen Untergrundes“ geschehen. Aber es ist eben ein Unterschied, ob Rechtsextremisten militante Netzwerke knüpfen oder ob das mittelbar der Verfassungsschutz macht. ,Piatto‘ war der deutsche Brückenkopf einer britischen Terrorgruppe – das ist ungeheuerlich. Es darf nicht sein, dass beim Verfassungsschutz der Zweck alle Mittel heiligt.