Die Bedeutung des Informanten „Piatto“ haben zwei frühere Leiter des brandenburgischen Verfassungsschutzes unterschiedlich bewertet. Hasso Lieber nannte es vor dem NSU-Untersuchungsausschuss „ausgesprochen dürftig“, was der Rechtsextremist geliefert habe – sein Nachfolger Heiner Wegesin sagte, dass „Piatto“ als „Star-Quelle schlechthin“ betrachtet worden sei.
„Piatto“ alias Carsten Szczepanski ist ein früherer Informant des brandenburgischen Verfassungsschutzes, der ab dem Zeitpunkt in der Chemnitzer Neonazi-Szene verkehrte, als ein Jenaer Bombenbauer-Trio dort untergetaucht war – das Trio, das heute als „Nationalsozialistischer Untergrund“ bekannt ist. Im Sommer 1998 berichtete er von Überfall- und Bewaffnungsplänen der drei Rechtsextremisten und darüber, wer die Flüchtigen unterstützt.
Hasso Lieber war von Dezember 1998 bis Oktober 1999 als Verfassungsschutz-Leiter für den Einsatz der Quelle „Piatto“ verantwortlich, Heiner Wegesin vom 15. Januar 2000 bis zur Abschaltung des Informanten am 30. Juni 2000.
Wegesin sagte, dass die Auswertungs-Abteilung mit „Piattos“ Informationen zufrieden gewesen sei, weil das Erkenntnisaufkommen „beträchtlich“ gewesen sei. Auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz sei das anerkannt worden.
Lieber: Missverhältnis zwischen Investition und Rücklauf
Hasso Lieber vertrat hingegen die Auffassung, dass die Investition in die Quelle „Piatto“ und „das, was als Rücklauf kam“, in einem „deutlichen Missverhältnis“ standen. Szczepanski sei beispielsweise mit Auto und Bargeld ausgestattet worden. Geliefert habe er vor allem Berichte über Neonazi-Konzerte.
Von „Piattos“ Hinweisen auf das untergetauchte Neonazi-Trio aus Thüringen habe er nichts gewusst, sagte Lieber auf Frage der bündnisgrünen Obfrau Ursula Nonnemacher – sonst würde er die Quelle anders bewerten, ergänzte er.
Bis in den Oktober 1998 hinein hatte „Piatto“ über die Bewaffnungspläne der drei Flüchtigen berichtet – knapp zwei Monate später übernahm Lieber die Verfassungsschutz-Leitung. Allgemein gesprochen, so Lieber, sei ein Nachrichtendienst aber am Ende, wenn Bewaffnungspläne konkret würden. So ein Fall gehe dann in die Zuständigkeit einer anderen Behörde über.
„Genau das ist im Falle von Piattos Hinweisen auf das Trio aber nicht passiert“, hält Ursula Nonnemacher fest. „Brandenburgs Verfassungsschutz hat die Polizei nicht über die Bewaffnungspläne informiert. Und wie wir heute wissen, waren diese Pläne sehr konkret. Denn mit den beschafften Waffen zog der NSU hernach Jahre lang mordend durch Deutschland.“
Ein nachrichtendienstliches Mittel auf der Müllkippe
Hasso Lieber sagte über „Piatto“, er habe „Bauchschmerzen mit dieser Quelle“ gehabt. Er habe sogar „eine Reihe von Quellen“ als „höchstproblematisch“ empfunden. So habe es mal jemanden gegeben, der für „ungeheuer wichtig gehalten“ worden sei. Doch es habe sich herausgestellt, dass diese Person Müllkippen durchstöbert und dann Plakate angebracht habe. Im Vergleich dazu sei „Piatto“ natürlich eine herausragende Quelle gewesen.
Ursula Nonnemacher fragte Lieber, warum er trotz Bauchschmerzen und dürftiger Erkenntnisse an „Piatto“ festgehalten habe. Lieber: „Hier geht’s um eine Einschätzungsfrage.“ Seine Mitarbeiter seien näher dran gewesen und ihre Einschätzung habe für ihn einen hohen Stellenwert gehabt. Es habe außerdem andere Quellen gegeben, die „Null“ gebracht hätten.
Szene-Laden als „informationelles Wasserloch für schlimme Tiere“
Im Unterschied zu Hasso Lieber sah Heiner Wegesin keine Probleme im Verhältnis von Zuwendungen und Ertrag bezüglich der Quelle „Piatto“. So sei es „in Ordnung“ gewesen, den Aufbau eines Szene-Ladens von Szczepanski in Königs Wusterhausen zu seiner Legendierung „anzuschieben“. Der Verfassungsschutz habe „dreistellige Beträge“ bezahlt und die Grundausstattung im vierstelligen Bereich übernommen. Solch ein Ladengeschäft sei ein „informationelles Wasserloch“, wo „alle schlimmen Tiere“ hinkönnten, erklärte Wegesin. Die Führung eines rechten Szene-Ladens sei allerdings mit Risiken verbunden. „Ich gebe zu, das ist ambivalent, wie vieles andere auch.“
So gehöre es zum gesetzlichen Auftrag, V-Leute in militante Kreise zu steuern, sagte der Zeuge auf Frage von Ursula Nonnemacher. Damit sei das Risiko der Verstrickung verbunden. Wenn dieses Risiko nicht eingegangen werden solle, müsse die Terrorismusbekämpfung aus dem Aufgabenkatalog aller Nachrichtendienste und aus der Gefahrenabwehr der Polizei gestrichen werden. Dass infolge einer solchen Steuerung strafrechtliche Schwierigkeiten entstehen könnten, sei im Fall Szczepanski zu besichtigen. Wegesin: „Das ist ein Dilemma, das aus meiner Sicht nicht gelöst ist.“
Wegesin: Daran gedacht, einen militanten Neonazi anzuwerben
Auf Aktenvorhalt räumte der ehemalige Verfassungsschutz-Chef ein, dass seine Behörde „offenkundig“ daran gedacht habe, einen Anwerbeversuch bezüglich eines militanten Rechtsextremisten zu starten, auf den „Piatto“ angesetzt war. Möglicherweise habe er eine entsprechende Ansprache genehmigt, sagte Wegesin.
Szczepanski geriet bei der Kontaktpflege zu dem militanten „Kameraden“ in Verdacht, an der Verabredung eines Sprengstoffverbrechens beteiligt zu sein. Und weil er (ebenfalls gegen Ende seiner Informanten-Tätigkeit) an einer Waffenübergabe beteiligt war, wurde er sogar gerichtlich verurteilt – wobei der Prozess erst stattfand, als Szczepanski schon in einem Zeugenschutzprogramm war.
Den Zeugenschutz hat das Landeskriminalamt Brandenburg übernommen. Heiner Wegesin erinnerte sich daran, vom LKA erfahren zu haben, dass Carsten Szczepanski im Kern „nach wie vor überzeugt rechtsextrem“ sei. Laut Wegesin hat es sich bei dem Verfassungsschutz-Informanten um „einen in der Wolle gefärbten Rechtsextremisten“ gehandelt.