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Haben sächsische Verfassungsschutz-Quellen eine Festnahme des Trios verhindert?

Unmittelbar nach dem Untertauchen der Jenaer Bombenbauer, die heute als „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) bekannt sind, reiste der damals inhaftierte Informant „Piatto“ im Dienste des Brandenburger Verfassungsschutzes nach Chemnitz – wo sich das Trio versteckte. Im März 1998 hat er dann berichtet, dass Quellen des sächsischen Verfassungsschutzes im Raum Chemnitz ein falsches Spiel spielen und Exekutivmaßnahmen vereiteln würden. Er berief sich dabei auf Antje Probst, die ihm im Sommer auch über das flüchtige Trio berichtet haben soll.

Vier Tage nach der Flucht der Jenaer Bombenbauer

Am 30. Januar 1998 – vier Tage nach dem Untertauchen von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe – vermerkte der Brandenburger Verfassungsschutz nach einem Treff mit „Piatto“ alias Carsten Szczepanski: „Am 08.02.1998 wird die Quelle mit den Köpfen der Skinheadszene Chemnitz zusammentreffen, die für die Organisation überregionaler Skinkonzerte und für die Produktion hochwertiger Skinmusik-Tonträger verantwortlich sind.“

Mit einschlägigen CDs handelte damals der Chemnitzer Jan Werner, der das Szene-Label „Movement Records“ betrieb und die sächsischen Division des Neonazi-Netzwerks „Blood & Honour“ führte. Rund acht Monate später hat „Piatto“ berichtet, dass dieser Jan Werner nach Waffen für das Trio suche.

Ging es wirklich nur um „Blood & Honour“?

Mit welchem Verfassungsschutz-Auftrag Carsten Szczepanski nach Chemnitz gefahren ist, wissen seine früheren V-Mann-Führer Dieter Borchert (Tarnname) und Gordian Meyer-Plath, Sachsens heutiger Verfassungsschutz-Präsident, angeblich nicht mehr. Sie haben am 20. April 2018 vor dem NSU-Untersuchungsausschuss Brandenburg ausgesagt. Die Zeugen vermuteten, dass es bei den Chemnitz-Aufträgen für „Piatto“ um „Blood & Honour“ gegangen sein könnte.

Borchert sagte, er habe am 19. August 1998 erstmals von dem untergetauchten Trio gehört, als ihm „Piatto“ von dessen Fluchtplänen berichtet habe. „Dabei hätte der V-Mann-Führer zu diesem Zeitpunkt längst seine Quellen gezielt zum Trio befragt haben sollen“, sagt Ursula Nonnemacher, die bündnisgrüne Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss. Denn am 3. Februar 1998 hatte sich das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz hilfesuchend an alle anderen Verfassungsschutzämter gewandt – des untergetauchten Trios wegen.

Ob Gordian Meyer-Plath – damals Beschaffungs-Referent des Brandenburger Verfassungsschutz – von der Suchmeldung erfahren hat? „Das weiß ich nicht mehr“, sagte er auf Frage von Ursula Nonnemacher.

„Piatto“ sollte „auftragsgemäß“ nach Chemnitz reisen

Am 25. Februar 1998 vermerkte Dieter Borchert nach einem Treffen mit „Piatto“, dass die immer noch wegen eines Mordversuchs inhaftierte Quelle Ausgänge beantragt habe: „Auftragsgemäß“ sei am 21. März 1998 ein „Treffen mit ,Blood & Honour‘-Szene Chemnitz“ geplant – also mit der Sektion von Jan Werner.

Kurz vor dieser Chemnitz-Fahrt gab der damalige Brandenburger Verfassungsschutz-Chef Hans-Jürgen Förster nach Informationen von Nebenklage-Anwälten aus dem Münchener NSU-Prozess ein Interview. Demnach soll er das untergetauchte Trio am 14. März 1998 als Beispiel für eine Entwicklung in der rechten Szene genannt habe, die hin zum Terrorismus führe. Trotzdem vermutete Gordian Meyer-Plath, dass es auch bei „Piattos“ Chemnitz-Einsatz am 21. März wohl nur um „Blood & Honour“ gegangen sei.

Meyer-Plath mit eigenem Vermerk konfrontiert

Meyer-Plath schrieb in einen Vermerk vom 30. März 1998, was Informant Szczepanski aus Chemnitz berichtete: „Laut Antje Probst lässt sich das Gedeihen der Skinheadszene Chemnitz auch dadurch erklären, dass Mitglieder der Szene Kontakte zum sächsischen Verfassungsschutz haben. Probst geht davon aus, dass der Verfassungsschutz in Sachsen davon überzeugt ist, diese Personen als Quellen zu führen. In Wirklichkeit aber würden diese Personen lediglich versuchen, den Erkenntnisstand des Verfassungsschutzes heraus zu bekommen. Auf diesem Wege sei die Szene in Chemnitz in der Lage, Exekutivmaßnahmen vorhersehen zu können.“

Ursula Nonnemacher wollte deshalb vom aktuellen Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz in Sachsen wissen, ob diese „Piatto“-Information damals an den sächsischen Verfassungsschutz gesteuert worden sei. Er gehe davon aus, antwortete Meyer-Plath – auch, dass dieser Hinweis auf der Leitungsebene behandelt worden sei. Gegenüber dem sächsischen NSU-Untersuchungsausschuss hatte er am 11. Dezember 2017 gesagt, dass er „auf jeden Fall ausschließen“ könne, dass es Kontakte von sächsischen Verfassungsschutz-Quellen „zu den Personen gab, die sich entweder das Leben genommen haben oder zu Frau Zschäpe“.

Mögliche Erklärung für erfolglose Trio-Fahndung

Ursula Nonnemacher: „Falls es stimmt, was ,Piatto‘ im März 1998 berichtet hat, und Chemnitzer Verfassungsschutz-Quellen Exekutivmaßnahmen vereitelt haben, dann könnte das eine Erklärung dafür sein, warum das Trio in seinem Chemnitzer Versteck nicht verhaftet werden konnte und beim sächsischen Verfassungsschutz keine Quellenkontakte zum Trio aktenkundig sind.“ Die bündnisgrüne Obfrau wollte daher von Meyer-Plath wissen, ob Szczepanskis Hinweis nach der Selbstenttarnung des NSU nachgegangen worden sei – in Form einer Überprüfung der Chemnitzer Verfassungsschutz-Quellen aus dem Jahr 1998.

Der Zeuge lehnte eine Antwort zunächst unter Hinweis auf seine Aussagegenehmigung ab. Auf die Belehrung hin, dass ihn seine Aussagegenehmigung diesbezüglich nicht einschränkt, sagte er, dass die sächsischen Verfassungsschutz-Quellen „nochmal betrachtet worden“, aber nicht mehr aufgesucht und befragt worden seien.

Ursula Nonnemacher hakte nach, ob er als sächsischer Verfassungsschutz-Präsident nach seiner Zeugenbefragung in Brandenburg, diesem „Piatto“-Hinweis nachgehen werde. Meyer-Plath antworte, dass er prüfen werde, ob der Hinweis damals weitergegeben worden sei. Ursula Nonnemacher: „Unabhängig davon, müssten die damaligen Chemnitzer Quellen eingehend vom BKA vernommen werden, um zu klären, ob sie wirklich Exekutivmaßnahmen bis hin zur Verhaftung des Trios verhindert haben.“

„Piatto“ bekam auf der Fahrt nach Chemnitz Waffen angeboten

Am 3. Juli 1998 war „Piatto“ erneut nach Chemnitz unterwegs. Darüber berichtete er dem Brandenburger Verfassungsschutz in einem schriftlichen Urlaubsbericht: „Die Fahrt nach Chemnitz-Rabenstein erfolgte im Beisein des Betreibers des sogenannten ,Greenland‘-Shops, Klaus M. […] Während der Autofahrt nach Chemnitz bot M. die Möglichkeit an, dass ,gute Kameraden‘ mit ihm zusammen als Gäste auf einen der drei von ihm besuchten Schießplätze gehen könnten. Auch hielt er es für machbar, Faustfeuerwaffen für 800 DM (pro Stück) besorgen zu können, da ,es immer Jäger gäbe die Geld bräuchten‘.“

Ursula Nonnemacher fragte den Zeugen Meyer-Plath, ob aus seiner Sicht auf Basis dieses Berichts belegt sei, dass Szczepanski damals an Waffen herankommen hätte können. Der Untersuchungsausschuss beschäftigt sich nämlich der Frage, was mit „den Bums“ gemeint gewesen sein könnte, nach denen sich der Chemnitzer Neonazi-Kader Jan Werner am 25. August 1998 bei Szczepanski per SMS erkundigt hat. Gordian Meyer-Plath vertrat jedoch die Meinung, dass der von „Piatto“ geschilderte Hinweis eines Brandenburger Szene-Händlers, dass er Faustfeuerwaffen besorgen könne, „kein konkretes Angebot an ,Piatto‘“ gewesen sei.

Am 25. August 1998 folgte Jan Werners Frage nach „den Bums“?

Mitte August 1998 berichtete Szczepanski von Plänen des untergetauchten Trios, nach Südafrika zu fliehen. Am 25. August 1998 ging auf seinem Innenministeriums-Diensthandy die SMS von Jan Werner ein: „Was ist mit den Bums“? Dieses Handy soll „Piatto“ ein paar Stunden vorher an seinen V-Mann-Führer Dieter Borchert abgegeben haben, der es ausgeschaltet haben will – in der Folge soll niemand mehr die SMS gelesen haben. Ursula Nonnemacher merkt an: „Dass Szczepanski ein neues Handy erhalten hat, steht in einem Verfassungsschutz-Vermerk – die Abgabe des alten Handys ist hingegen nicht dokumentiert.“

In einer Deckblattmeldung vom 9. September 1998 steht schließlich „Piattos“ folgender Hinweis: „Einen persönlichen Kontakt zu den drei Skinheads (siehe Deckblattmeldung vom 19.08.1998) soll Jan Werner haben. Jan Werner soll zur Zeit den Auftrag haben, ‚die drei Skinheads mit Waffen zu versorgen‘. Gelder für diese Beschaffungsmaßnahmen soll die ‚Blood & Honour‘-Sektion Sachsen bereitgestellt haben. Die Gelder stammen aus Einnahmen aus Konzerten und dem CD-Verkauf. Vor ihrer beabsichtigten Flucht nach Südafrika soll das Trio einen weiteren Überfall nach dem Erhalt der Waffen planen, um mit dem Geld sofort Deutschland verlassen zu können. Der weiblichen Person des Trios will Antje Probst ihren Pass zur Verfügung stellen. Probst und Werner sollen unabhängig voneinander und ohne Wissen des anderen für die drei tätig sein.“

Einer offiziellen Weitergabe dieser Information an die Polizei in Thüringen oder Sachsen hat der Verfassungsschutz damals nicht zugestimmt – um seine Quelle „Piatto“ zu schützen.