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Hat Brandenburgs Verfassungsschutz etwas mit der „Nationalen Bewegung“ zu tun?

Eine vermeintliche Nazi-Truppe namens „Die nationale Bewegung“ hat sich zu einem Brandanschlag auf die Trauerhalle des Jüdischen Friedhofs in Potsdam bekannt, der in der Nacht vom 7. auf den 8. Januar 2001 verübt worden ist. Doch Generalstaatsanwalt Prof. Dr. Erardo Cristoforo Rautenberg sagte am 18. November 2016 als Sachverständiger im NSU-Untersuchungsausschuss des brandenburgischen Landtags, „dass mir Zweifel gekommen sind, ob es die Vereinigung ,Nationale Bewegung‘ tatsächlich je gegeben hat“.

Generalstaatsanwalt wundert sich über Vorgehen der Verfassungsschutzbehörde

Rautenberg begründete seine Zweifel mit dem Verhalten des Verfassungsschutzes Brandenburg (pdf-Datei): „Der damalige Leiter des Verfassungsschutzes, Heiner Wegesin, erhob nach meiner Erinnerung Einwände dagegen, das Verfahren dem Generalbundesanwalt zur Übernahme anzubieten.“

Der Generalbundesanwalt habe das Verfahren aber am 12. Januar 2001 übernommen, sagte Rautenberg. Der Verfassungsschutz habe diese Ermittlungen der Bundesanwaltschaft – wie er „aus Kreisen der Bundesanwaltschaft“ gehört habe – „sehr behindert“, indem der Nachrichtendienst das Bekennerschreiben hinsichtlich des Friedhofs-Anschlags im Internet veröffentlicht habe.

Wenn ein Bekennerschreiben vorliege, dann deute das auf „feste Organisationsstrukturen“ hin, erläuterte der Generalstaatsanwalt – „vor allem, wenn das Bekennerschreiben nicht stümperhaft abgefasst ist“. Der Generalbundesanwalt habe sich „sehr lange“ mit dem Fall befasst. „Das macht er nicht, wenn er keinen Anlass hat“, betonte Rautenberg.

„Die nationale Bewegung“ wird für eine Deliktserie vom 30. Januar 2000 bis zum 30. Januar 2001 verantwortlich gemacht – zu den meisten Taten hat sich die Gruppe schriftlich bekannt. Der 30. Januar ist der Jahrestag von Adolf Hitlers Machtergreifung im Jahr 1933.

„Die nationale Bewegung“ machte zunächst unter anderem mit dem Anbringen von Hakenkreuz-Fahnen und mit Hakenkreuz-Schmierereien auf sich aufmerksam. Dann zündete sie türkische Imbissstände in Stahnsdorf und Trebbin an. Hinzu kamen Drohschreiben, die unter anderem an ein führendes Mitglied der „Kampagne gegen die Wehrpflicht“ und an die Heinrich-Böll-Stiftung gerichtet waren.

V-Mann-Führer des Verfassungsschutzes soll polizeiliche Razzia verraten haben

2003 sorgte der Fall noch einmal für öffentlichen Wirbel, weil der ehemalige V-Mann Christian K. des brandenburgischen Verfassungsschutzes laut Medienberichten zugab, von seinem V-Mann-Führer über eine geplante Razzia im Zusammenhang mit der „Nationalen Bewegung“ gewarnt worden zu sein – woraufhin er seinerseits die Warnung an einen Neonazi-Kader weitergegeben habe. Das Telefonat mit besagtem Nazi-Kader hat das Landeskriminalamt abgehört. Bei einer eilig auf den Folgetag vorverlegten Razzia konnten nach Medienberichten keine Beweismittel bezüglich der „Nationalen Bewegung“ sichergestellt werden. Der Generalbundesanwalt hat den oder die Täter letztlich nicht ermittelt bekommen.

Untersuchungsauftrag: Welche Rolle spielte der Verfassungsschutz?

Mit diesem Fall wird sich der brandenburgische NSU-Untersuchungsausschuss befassen. Laut Untersuchungsauftrag (pdf-Datei) ist unter anderem folgender Sachverhalt zu klären: „In den Jahren 2000 bis 2001 beging eine Gruppe mit dem Namen ,Nationale Bewegung‘ zahlreiche Straftaten in Brandenburg. Sind von den Sicherheitsbehörden Bezüge zum NSU und seinem Umfeld geprüft worden? Welche Rolle spielte bei den Aktionen der brandenburgische Verfassungsschutz?“

Nach „Freikorps“-Brandanschlägen ermittelte der Generalbundesanwalt nicht

Dass der Generalbundesanwalt – wie im Fall der „Nationalen Bewegung“ geschehen – das Ermittlungsverfahren übernimmt, ist nicht die Regel. Bezüglich des „Freikorps Havelland“ habe das der Generalbundesanwalt abgelehnt, sagte Rautenberg. Der Gruppe wurde zur Last gelegt, „zwischen August 2003 und Mai 2004 mit Brandanschlägen auf asiatische und türkische Imbissbunden und Geschäfte das Ziel verfolgt zu haben, das Havelland ,ausländerfrei‘ zu machen“. Nach Einschätzung des Generalbundesanwalts sei das Verfahren jedoch „von minderer Bedeutung“ gewesen.

Auch im Falle der fünf Beschuldigten, denen die Brandstiftung an einer Nauener Sporthalle in der Nacht vom 24. und 25. August 2015 zur Last gelegt wird, habe der Generalbundesanwalt die Ermittlungen nicht übernehmen wollen, sagte Rautenberg. Auf welcher Basis der Generalbundesanwalt seine Entscheidungen trifft? Rautenberg zitierte den früheren Amtsinhaber Kay Nehm wie folgt: „Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts für die Verfolgung extremistischer Straftaten mit Staatsschutzqualität ist alles andere als klar und übersichtlich. Die Schwierigkeiten haben ihre Ursache in der undurchsichtigen verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung im Staatsschutzrecht.“

Aufgrund des Brandanschlags in Nauen hat die Staatsanwaltschaft Potsdam Anklage wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ erhoben. Die Hauptverhandlung vor dem Landgericht Potsdam wird laut Generalstaatsanwalt am 24. November 2016 beginnen.

Generalstaatsanwalt ermittelte wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung

Bezüglich des „Freikorps Havelland“ (pdf-Datei) ist einst die Generalstaatsanwaltschaft Brandenburg selbst aktiv geworden. Sie ermittelte wegen des Verdachts der „Bildung einer terroristischen Vereinigung. Rautenberg ist damals zu Ohren gekommen, „dass die Hausleitung des Innenministeriums nicht darüber glücklich sei, dass es in Brandenburg rechtsextremistischen Terrorismus geben solle und sich die Kritik auf meine Person bezog“ – und zwar in dem Sinne: „Nun macht unser Generalstaatsanwalt auch noch aus Jugendlichen und Heranwachsenden Terroristen.“

Obwohl viele mit einem Freispruch gerechnet hätten, seien die Mitglieder des „Freikorps Havelland“ wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden, sagte der Generalstaatsanwalt. Er geht davon aus, dass er einen Freispruch „nicht im Amt überlebt“ hätte. Das führte er auf eine Nachfrage von Ursula Nonnemacher hin aus. Die bündnisgrüne Obfrau im Untersuchungsausschuss wollte wissen, wie es um den politischen Druck auf die Ermittler bestellt war.

Laut Generalstaatsanwalt haben damals Polizeibeamte ermittelt, die sich „von politischem Druck nicht so schnell einschüchtern lassen“. Ihre Arbeit lobte er ausdrücklich. Ihn selbst betreffend sei der politische Druck „im Bereich des Erträglichen geblieben“. Rautenberg: „Man wird dafür bezahlt, dass man das aushält.“

Verhältnis des Generalstaatsanwalts zum Verfassungsschutz war zeitweise belastet

Bereits in seinem Auftaktreferat hatte er darauf hingewiesen, „dass mein Verhältnis zum brandenburgischen Verfassungsschutz während der Zeit besonders belastet war, als dieser von Heiner Wegesin geleitet wurde“ – von Januar 2000 bis Dezember 2004. In dieser Zeit wurde der V-Mann Toni S. enttarnt. Rautenberg: „Er hatte den Auftrag, Informationen über die Produktion der volksverhetzenden CD ,Noten des Hasses‘ der rechtsextremen Musikgruppe ,White Aryan Rebels‘ zu sammeln, die unter anderem Mordaufrufe enthielt, darunter auch gegen meine Person. Angeblich um die Produktionswege des Tonträgers zu ermitteln, genehmigte und unterstütze der brandenburgische Verfassungsschutz Toni S. bei der Produktion in dem Zeitraum 2001 bis 2002.“

S. sei dafür vom Landgericht Berlin zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Das Verfahren gegen den V-Mann-Führer habe das Landgericht Cottbus wegen „geringer Schuld“ eingestellt.

Die Innenministerien des Landes Brandenburg und des Bundes hätten die Auffassung vertreten, dass V-Leute Straftaten begehen dürften, berichtete Rautenberg. Auch an der Verfassungsschutzschule des Bundes sei das gelehrt worden. Er habe die gegenteilige Auffassung vertreten und dazu die Meinung seiner Kollegen in den anderen Bundesländern abgefragt: Jene hätten im zugestimmt, sagte der Generalstaatsanwalt. „Wenn das anders gelaufen wäre, wäre es auch wieder eng geworden“ – für ihn, sich im Amt zu halten. Auch das Justizministerium habe seine Rechtsaufassung für falsch gehalten. Rautenberg ist hingegen bis heute der Meinung, dass der Grundsatz gelten müsse, dass V-Leute keine Straftaten begehen dürfen.