Als die Berliner Polizei im Frühjahr 1992 nach dem mutmaßlichen Bombenbauer und Ku-Klux-Klan-Aktivisten Carsten Szczepanski fahndete, soll dessen Aufenthaltsort dem brandenburgischen Verfassungsschutz „dienstlich bekanntgeworden“ sein. Die Dokumente des Generalbundesanwalts, aus denen das hervorgehen soll, müssten dem NSU-Untersuchungsausschuss Brandenburg seit August vorliegen – aber sie fehlen bis heute.
Metallhülsen, ein Kabelanschluss mit Birne, Chinaböller sowie Chemikalien, die zur Sprengstoffherstellung geeignet sind: Die Berliner Polizei entdeckte am 8. Dezember 1991 eine Art Bomben-Werkstatt, als sie eine Wohnung von Carsten Szczepanski durchsuchte – des späteren V-Mannes „Piatto“ des brandenburgischen Verfassungsschutzes.
Rechtsterrorismus: Theorie und Praxis lagen nahe beieinander
Propagandamaterial des Ku-Klux-Klans wie beispielsweise ein Flugblatt mit dem Titel „No Niggers“ sowie eine Anleitung zum bewaffneten Kampf im Untergrund stellten die Ermittler ebenfalls sicher. Theorie und Praxis in puncto Rechtsterrorismus schienen in diesem Berliner Appartement buchstäblich nahe beieinanderzuliegen.
Szczepanski war unterdessen abgetaucht. So wie gut sechs Jahre später Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, nachdem die Polizei ihre Jenaer Bomben-Werkstatt ausgehoben hatte. Gegen Szczepanski ermittelte der Generalbundesanwalt im Jahr 1992 wenigstens für ein paar Monate wegen Terrorismus-Verdachts – dem Thüringer Neonazi-Trio blieb das 1998 erspart.
Bezüglich Szczepanski und dem Ku-Klux-Klan gab die Bundesanwaltschaft ihren Terrorismus-Verdacht im September 1992 auf, obwohl sich Szczepanski am 9. Mai 1992 unter „Ku-Klux-Klan“-Rufen an einem Mordversuch beteiligte, den ein Lehrer aus Nigeria schwerstverletzt überlebte. Im Falle des NSU bedurfte es zehn Morden und einer anschließenden Selbstenttarnung, ehe der Generalbundesanwalt aktiv wurde.
Die Quellenlage des Brandenburger Verfassungsschutzes
Bei beiden Fahndungsvorhaben spielte der brandenburgische Verfassungsschutz eine entscheidende Rolle, denn in beiden Fällen erhielt er Hinweise auf die untergetauchten Personen: 1992 informierte der Nachrichtendienst die Polizei, 1998 nicht. 1992 konnte der untergetauchte Carsten Szczepanski gefasst werden, 1998 das Trio nicht. Ausgerechnet Szczepanski war es, der 1998 als V-Mann „Piatto“ auf Unterstützer des Trios hinwies und über Bewaffnungs- und Fluchtpläne berichtete.
1992, als der Verfassungsschutz mit der Polizei kooperierte, leitete Wolfgang Pfaff die Behörde. „Verfassungsschutz durch Transparenz“ habe sein Motto gelautet, schrieb die „Berliner Zeitung“ zu Pfaffs Abschied 1996: „Dass ihm das seinerzeit noch vom Bündnis 90 mitgeprägte Verfassungsschutz-Gesetz enge Fesseln anlegte – der Einsatz verdeckter Ermittler beispielsweise war verboten –, störte ihn ganz und gar nicht.“
Verfassungsschutz-Hinweis in den „Handakten“
Pfaffs Stellvertreter Rudolf Keseberg soll der Berliner Polizei am 12. Februar 1992 den entscheidenden Hinweis gegeben haben: Dem Verfassungsschutz sei dienstlich bekanntgeworden, dass sich Carsten Szczepanski bei einem gewissen Erik O. in Königs Wusterhausen aufhalte und jener Erik O. wahrscheinlich im Besitz scharfer Waffen sei. Sogar von einer Panzerfaust war kurze Zeit später die Rede. Aus Gründen des Quellenschutzes sollte das Verfassungsschutz-Schreiben nur zu den „Handakten“ genommen werden – aus Rücksicht auf seine Verwertbarkeit soll es aber nicht als Verschlusssache eingestuft worden sein.
Seitens der Berliner Polizei informierte am 13. Februar 1992 offenbar Kriminalhauptkommissar Klaus Sch. den zuständigen Bundesanwalt Dieter Beese über die Nachricht des brandenburgischen Verfassungsschutzes. Auch das Schreiben aus Potsdam wurde nach Karlsruhe weitergeleitet.
Dem Untersuchungsausschuss fehlen die „Handakten“
Beese war am 10. November 2017 als Zeuge vor den NSU-Untersuchungsausschuss Brandenburg geladen. Er gab an, keine Erinnerung mehr an das Verfahren gegen den Ku-Klux-Klan und Carsten Szczepanski zu haben. „Handakten“, die bei der Bundesanwaltschaft noch vorhanden seien, habe er zur Vorbereitung seiner Aussage nicht angeschaut. „Und dem Untersuchungsausschuss liegen diese Handakten bis heute nicht vor, obwohl sie von einem Beweisbeschluss umfasst sind“, kritisiert Ursula Nonnemacher, die bündnisgrüne Fraktionsvorsitzende und Obfrau im Ausschuss.
Am 8. Dezember 2017 folgte der frühere Berliner Hauptkommissar Sch. als Zeuge. Akten, die er sich zur Vorbereitung hätte durchlesen können, gebe es bei der Polizei nicht mehr, berichtete er. Der Pensionär konnte sich allerdings noch vage an eine Kreuzverbrennung des Ku-Klux-Klans bei Königs Wusterhausen erinnern und an Flugblätter der „White Knights of the KKK“. Was er nicht mehr wusste: Dass und woher er vor gut 25 Jahren den Aufenthaltsort des untergetauchte Carsten Szczepanski erfahren hat. Folglich konnte er auch keine Einschätzung abgeben, woher der Nachrichtendienst seine Informationen gehabt haben könnte.
V-Leute in den 90er-Jahren – eine Schätzfrage
„Dass sich der Brandenburger Verfassungsschutz schon 1992 auf den Quellenschutz berufen haben soll, lässt mich aufhorchen“, sagt Ursula Nonnemacher. „Denn das Verfassungsschutzgesetz, das den Einsatz von V-Leuten regelt, ist erst 1993 inkraftgetreten.“
Hinzu kommt, dass Brandenburgs Innenministerium am 12. April 2016 eine Statistik vorgelegt hat, nach welcher der Verfassungsschutz im Jahr 1992 noch keine Quelle hatte. Verbunden mit dem Hinweis, dass die Zahl der Quellen von 1992 bis zum Jahr 2000 nur „geschätzt“ sei. Und diese Schätzung variiert zwischen null und fünf Personen pro Jahr.
Ursula Nonnemacher stellt vor diesem Hintergrund fest: „Wenn nicht einmal der Verfassungsschutz genau nachvollziehen kann, welche Rechtsextremisten er in den 90er-Jahren als V-Personen angeheuert hatte, dann erschwert das die parlamentarische Untersuchung des V-Mann-Wesens ungemein.“