Sachverständige im NSU-Untersuchungsausschuss Baden-Württemberg kritisieren Sicherheitsbehörden
Die mangelnde Analysefähigkeit des Verfassungsschutzes resultiere aus der Personalpolitik der Behörden – das hat Professor Thomas Grumke am 19. September 2016 im NSU-Untersuchungsausschuss Baden-Württemberg kritisiert. Der Rechtsextremismus-Forscher hat acht Jahre lang für die Verfassungsschutzbehörde in Nordrhein-Westfalen gearbeitet.
Professor Grumke: Auswertungsdefizite durch fehlende Sachbearbeiter-Ausbildung
Eine Ausbildung zum Verfassungsschutz-Sachbearbeiter existiere nicht, sagte Thomas Grumke, der an der Europa-Universität Frankfurt (Oder) promoviert hat und heute an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung des Landes Nordthein-Westfalen Politikwissenschaft und Soziologie lehrt. „Die Leute sind nicht ausgebildet, Informationen zu verknüpfen.“
Dass beim Verfassungsschutz nicht ausreichend ausgewertet und verknüpft werde, sei bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen offensichtlich geworden. Im Arbeitsfeld „Rechtsextremismus“ habe sich daran aber bis heute nichts geändert, so Grumkes Einschätzung. Bezüglich der Bekämpfung von Islamismus und Salafismus habe sich hingegen „viel getan“.
Wer bei Verfassungsschutz und Polizei Karriere machen wollte, müsse zuvor verschiedene Arbeitsbereiche durchlaufen, erklärte Grumke. Es sei „ein Riesenproblem“, dass die „Verwendungsbreite“ das entscheidende Qualitätsmerkmal sei. „Den Begriff ,Verwendungstiefe‘ gibt es gar nicht.“ Fachkarrieren seien nicht vorgesehen. Führungspositionen würden in der Regel mit Juristen besetzt, „die sich mehr oder weniger gut einarbeiten“, bemängelte Grumke.
Professor Salzborn: Journalistische Recherche ist besser als das V-Mann-Wesen
Als zweiter Sachverständiger kritisierte Professor Samuel Salzborn in der Stuttgarter Untersuchungsausschuss-Sitzung das V-Mann-Wesen. „Vertrauensleute“ des Verfassungsschutzes sind beispielsweise Rechtsextremisten, die gegen staatliche Bezahlung ihre „Kameraden“ bespitzeln sollen. Laut Salzborn ist es jedoch unklar, wer da wen mit welchen Informationen versorgt. So könnten sich Rechtsextremisten auch als V-Leute anwerben lassen, um ihrerseits den Verfassungsschuss auszuforschen. Zudem werde die rechtsextreme Szene auf diese Weise vom Staat mitfinanziert.
Der „tatsächliche Informationsgewinn“ durch V-Leute falle ausgesprochen dürftig aus, bilanzierte der Sozialwissenschaftler der Georg-August-Universität Göttingen. Durch journalistische und zivilgesellschaftliche Recherchen kann laut Salzborn mehr aufgedeckt werden als mit V-Leuten.
Brandenburgs NSU-Ausschuss befasst sich mit V-Leuten
Der brandenburgische NSU-Untersuchungsausschuss hatte sich vor gut einer Woche mit der Arbeit von Polizei- und Verfassungsschutzbehörden in Deutschland auseinandergesetzt. Mit V-Leuten wird sich das Gremium in seiner nächsten Sitzung am 14. Oktober 2016 befassen.