Was waren die zentralen Fehler auf der Suche nach dem untergetauchten Trio, das heute als „NSU“ bekannt ist? Gordian Meyer-Plath muss nicht lange nachdenken – er nennt ein Verfassungsschutz-Treffen in Potsdam, bei dem es im September 1998 um Hinweise auf das Trio ging, die von V-Mann „Piatto“ kamen. Meyer-Plath war damals einer der Kontaktbeamten des Spitzels beim brandenburgischen Verfassungsschutz, heute ist er Verfassungsschutz-Präsident in Sachsen. Am 11. Dezember 2017 sagte er als Zeuge vor dem NSU-Untersuchungsausschusses in Dresden aus.
„Laut Antje Probst sind drei sächsische Skinheads (zwei Männer und eine Frau) zur Zeit wegen verschiedener Straftaten auf der Flucht vor der Polizei. Dieser Fall sei medienbekannt. Die drei, von denen einer anonym Artikel für die Publikation ,White Supremacy‘ geschrieben habe, wollen sich angeblich innerhalb der nächsten drei Wochen mit ,geliehenen Pässen‘ nach Südafrika absetzen und dort in neue ldentitäten schlüpfen.“
So steht es in einer Deckblattmeldung des brandenburgischen Verfassungsschutzes vom 19. August 1998, nach einem Treffen mit dem V-Mann „Piatto“. Das Dokument trägt die Unterschrift von Gordian Meyer-Plath. Erinnern könne er sich an das Treffen aber nicht mehr, sagt er den sächsischen Landtagsabgeordneten.
Ausweislich einer Deckblattmeldung vom 9. September 1998 hat „Piatto“ nachberichtet: „Einen persönlichen Kontakt zu den drei sächsischen Skinheads […] soll Jan Werner haben. Jan Werner soll zur Zeit den Auftrag haben, ,die drei Skinheads mit Waffen zu versorgen‘. Gelder für diese Beschaffungsmaßnahme soll die ,Blood & Honour‘-Sektion Sachsen bereitgestellt haben. […] Vor ihrer beabsichtigten Flucht nach Südafrika soll das Trio einen weiteren Überfall nach dem Erhalt der Waffen planen, um mit dem Geld sofort Deutschland verlassen zu können.“
Quellenschutz vor Informationsweitergabe
Daraufhin kamen Mitte September 1998 Verfassungsschützer aus Brandenburg, Sachsen und Thüringen in Potsdam zusammen – um zu besprechen, wie mit diesen V-Mann-Hinweisen verfahren werden soll. Einer offiziellen Weitergabe an die Polizei stimmte der brandenburgische Verfassungsschutz nicht zu. Aus Gründen des Quellenschutzes – um „Piatto“ alias Carsten Szczepanski nicht zu gefährden.
Ob die Hinweise wenigstens inoffiziell beim Thüringer Landeskriminalamt angekommen sind, diesbezüglich gingen die Zeugenaussagen in bisherigen NSU-Untersuchungsausschüssen auseinander. Aber selbst wenn – auf inoffiziellem Wege hätten die Informationen nichts ins Ermittlungsverfahren gegen das Trio einfließen können.
Was also kann Meyer-Plath über das Verfassungsschutz-Gespräch in Potsdam berichten? „An diesem Treffen habe ich selbst nicht teilgenommen“, betonte er vor dem sächsischen NSU-Untersuchungsausschuss – auch am Meinungsbildungsprozess seiner Behörde im Vorfeld sei er nicht beteiligt gewesen. Was er jedoch den Akten entnommen habe, lasse vier zentrale Mängel erkennen.
Das mangelhafte Verfassungsschutz-Treffen
Erstens fehlte das Bundesamt für Verfassungsschutz, wie Meyer-Plath sagte. Ohne das Bundesamt habe der länderübergreifende Sachverhalt mit Auslandsbezug „gar nicht sinnvoll verhandelt werden“ können. Zweitens habe es keine Protokollierung gegeben, die für alle Teilnehmer verbindlich gewesen wäre. Es habe wohl nicht einmal jede Behörde für sich ein Protokoll gefertigt, aus dem hervorgegangen wäre, mit welchen Aufgaben sie aus der Besprechung gegangen ist.
Drittens hätte die Polizei beteiligt werden müssen „oder zumindest sehr schnell danach“. Und viertens kritisierte Meyer-Plath die „mangelnde Nachhaltigkeit“ der Besprechung. So sei im Nachgang nicht überprüft worden, ob alle Akteure die notwendigen Informationen erhalten haben, oder ob nachgesteuert werden muss. Der Vorgang sei stattdessen versandet: „Man hat nur in sehr unregelmäßigen Abständen diesen Sachverhalt mal wieder betrachtet, wenn überhaupt.“
Heute würde ein solcher Bedrohungssachverhalt auf der Tagesordnung bleiben, bis eine Lösung gefunden sei, meinte Meyer-Plath. Aber Ende der 90er-Jahre sei die Situation eben eine andere gewesen.
Meyer-Plath erinnerte daran, dass die Sicherheitsarchitektur bereits nach dem Terroranschlag in New York am 11. September 2001 verändert worden sei. Wären die damaligen Änderungen früher vorgenommen worden und hätten sie für den Rechtsextremismus-Bereich gegolten, dann hätte nach Einschätzung des Verfassungsschützers „eine sehr viel größere Chance“ bestanden, „die Verbrecher des NSU zu finden, bevor sie zu morden begannen“.
Den ersten von insgesamt zehn Morden beging der NSU am 9. September 2000.
Die Chance, zehn Morde zu verhindern
Die Chance, dass die untergetauchten Rechtsextremisten von der Polizei gefunden werden, hätte Brandenburgs Verfassungsschutz im Jahr 1998 erhöhen können – soviel steht fest. Die zentrale Frage, mit der sich der brandenburgische NSU-Untersuchungsausschuss befasst, lautet daher: Hätte der märkische Verfassungsschutz die Verbrechen des NSU verhindern können, wenn er die V-Mann-Hinweise auf das untergetauchte Trio in verwertbarer Form an die Polizei in Thüringen beziehungsweise in Sachsen weitergegeben hätte?