Hätten die NSU-Morde mit brandenburgischer Hilfe verhindert werden können? Die Frage nach Handeln oder Unterlassen – Brandenburgs Behörden und der NSU
Als die Polizei am 26. Januar 1998 eine Jenaer Garage durchsuchte, fand sie Rohrbomben und Sprengstoff. Mieterin der Bombenwerkstatt war Beate Zschäpe, Mitnutzer waren Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Das Neonazi-Trio tauchte sofort unter.
Aufgetaucht sind die drei Neonazis erst wieder am 4. November2011: Nach einem Banküberfall sollen sich die beiden Uwes erschossen und in ihrem Wohnmobil verbrannt haben. Seither sind sie als „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) bekannt. Den RechtsterroristInnen werden mindestens 15 Überfälle, zwei Sprengstoffanschläge und zehn Morde zur Last gelegt. Sie hatten sich fast nur Opfer ausländischer Herkunft ausgesucht. Der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche NSU-Unterstützer läuft seit dreieinhalb Jahren vor dem Oberlandesgericht München.
Keines seiner bisher bekannten Verbrechen hat der NSU in Brandenburg verübt – trotzdem stehen Brandenburgs Sicherheitsbehördenmit im Fokus des Verfahrens und massiv in der Kritik. Denn unserVerfassungsschutz hatte offenkundig schon frühzeitig Hinweise auf das untergetauchte Trio. Bereits im September 1998 berichtete einbrandenburgischer V-Mann über Pläne, „die drei Skinheads mit Waffen zu versorgen“.
Das Wissen um ein flüchtiges Neonazi-Trio wurde vom brandenburgischen Verfassungsschutz zwar an andere Verfassungsschutzbehörden weitergegeben, es floss aber offenbar nicht in die polizeilichenErmittlungen ein. Angeblich, um den V-Mann zu schützen. Doch wäre dieses Vorgehen zu verantworten gewesen? Nicht nur die Angehörigen der zehn Ermordeten und NebenklägerInnen im Münchner NSU-Prozess fragen sich, ob bei Weitergabe der Erkenntnisse an dieStrafverfolgungsbehörden die Taten des Terrortrios hätten verhindert werden können.
Die Frage, ob „Handeln oder Unterlassen“ der Brandenburger Behörden die Bildung des NSU begünstigt und die Verfolgung der NSU-Straftaten erschwert haben, steht im Mittelpunkt des Untersuchungsausschusses, der auf Initiative von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Juli die Arbeit aufnahm. Der Aufklärungsbedarf geht aber weit darüber hinaus und erstreckt sich zum Beispiel auch auf die Frage, wie V-Leute in Brandenburg grundsätzlich ausgewählt und geführtwerden.
Denn: Der V-Mann mit dem Decknamen „Piatto“, der zeitweise fleißigüber das untergetauchte Trio berichtete, war der schwerkriminelleNeonazi Carsten Szczepanski, unter anderem bekannt durch Aktivitäten für den rassistischen Geheimbund Ku-Klux-Klan. Als er wegen eines Mordversuchs an einem Nigerianer in Untersuchungshaft saß, warb ihn der brandenburgische Verfassungsschutz als „Vertrauensmann“ an. Auch wenn in Brandenburg bis heute keine Morde des NSU bekannt sind, wissen wir von mindestens 18 Todesopfern, die seit dem Jahr1990 auf das Konto von Rechtsextremisten gehen. Der Untersuchungsausschuss soll auch die Frage beantworten, ob Behördenversagen dazu beigetragen hat, dass sich terroristischen Strukturen überhaupt bilden konnten.