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„Piatto“ – ein Durchschnittshäftling mit Neonazi-CDs

Neonazi-CDs von Bands wie den „Zillertaler Türkenjägern“ soll Carsten Szczepanski in den 90er-Jahren in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg an der Havel gehabt haben. Davon haben frühere Mithäftlinge am 12. Januar 2018 vor dem brandenburgischen NSU-Untersuchungsausschuss berichtet. Sie haben mit der Verfassungsschutz-Quelle „Piatto“ zeitweise die Zelle geteilt.

Rechtsextremistische Hass-Musik drang bis auf die Flure, die Gefangenen-Post wurde bestenfalls oberflächlich kontrolliert und zur Essenszeit geriet der Speisesaal zum No-Go-Area für das Wachpersonal: „Die Zeugen haben von chaotischen Verhältnissen in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg an der Havel berichtet“, sagt Ursula Nonnemacher, die bündnisgrüne Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss. Die drei Männer saßen in den 90er-Jahren mit Carsten Szczepanski ein.

Das Wachpersonal sei damals weitgehend mit sich selbst beschäftigt gewesen, berichtete einer der Zeugen. Einige hätten früher für die Stasi gearbeitet und deshalb um ihre Arbeitsplätze gefürchtet. Sie sollen sich teilweise regelrecht „ausgeschlossen“ und die Gefangenen sich selbst überlassen haben, so dass beispielsweise ungestört Nazi-Musik gehört werden konnte. Und zur Essenszeit hätten sich die Bediensteten nicht in den Speisesaal getraut.

Eine Kontrolle der eingehenden und ausgehenden Post hat nach Schilderung der einstigen Häftlinge nicht oder nur oberflächlich stattgefunden. Dieser Aspekt ist für den Untersuchungsausschuss wichtig, weil es zu prüfen gilt, ob in den 90er-Jahren rechtsextremistische Magazine in der Justizvollzugsanstalt hergestellt und von dort aus womöglich sogar vertrieben worden sind. Einer der Zeugen hat zeitweise in der gefängniseigenen Druckerei gearbeitet. Er habe jedoch nicht mitbekommen, dass Hefte wie „United Skins“ oder „Der weiße Wolf“ produziert worden wären, sagte er.

Den wegen Mordversuchs an einem nigerianischen Lehrer verurteilten Szczepanski schilderten seine früheren Zellenmitbewohner als Durchschnittstypen. Mit seinen Neonazi-CDs habe er sich interessant machen wollen, meinte einer. Denn körperlich habe er keine Möglichkeiten gehabt, sich in der Gefängnis-Hackordnung nach oben zu arbeiten.

Szczepanski soll Knastkameraden an die HNG vermittelt haben

Nach Aussage eines Zeugen sorgte Szczepanski dafür, dass rechtsextremistische Häftlinge auf die HNG-Liste kamen. Das Kürzel HNG steht für „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“. Sie hat in Skinhead-Magazinen und in eigenen Publikationen die Namen von inhaftierten „Kameraden“ veröffentlicht, die Briefkontakte und Besuch von Gleichgesinnten wünschten.

Auch Uwe Mundlos schrieb sich vor seinem Untertauchen in den „Nationalsozialistischen Untergrund“ mit einer HNG-Funktionärin Briefe. Jene wohnte Jahre lang in Brandenburg und „Piatto“ kannte sie. Der NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg hat die Frau im Juli 2017 als Zeugin vernommen und sie zwischenzeitlich wegen des Verdachts auf Falschaussage angezeigt.

Angeblicher CD-Handel außerhalb der Haftanstalt

Der brandenburgische Ausschuss erfuhr am 12. Januar 2018, dass die Bedingungen für „Piatto“ im Gefängnis gut gewesen sein dürften, um seinen Verfassungsschutz-Geschäften nachzugehen. „Man ist an alles rangekommen“, sagte einer der Zeugen. Einem anderen war aufgefallen, dass Szczepanski über vergleichsweise viel Bargeld verfügte, was damals in der Haftanstalt verboten gewesen sei. Der ehemalige Mithäftling erinnerte sich daran, dass der Rechtsextremist seine finanziellen Mittel ihm gegenüber mit einem CD-Handel begründet habe, der für ihn „draußen“ weitergeführt werde.

Auch von seinen internationalen Kontakten soll Szczepanski in der Zelle geplaudert haben. Und er ist als Vielschreiber aufgefallen. Von rund fünf Briefen am Tag berichtete einer der Zeugen – und von einem Aktenordner, mit dem Szczepanski oft herumgelaufen sei.

Von der V-Mann-Enttarnung überrascht

Alle drei Zeugen sagten, sie seien völlig überrascht gewesen, als sie von der „Piatto“ Enttarnung gehört hätten. Denn von den Besuchen seines V-Mann-Führers hätten sie nichts mitbekommen. Diese Treffen fanden nach Aktenlage zumindest teilweise in einem „Sonderraum“ der Haftanstalt statt. Von Ursula Nonnemacher auf einen „Sonderraum“ angesprochen, berichteten die Zeugen von Zimmern, in denen sie sich normalerweise mit ihren Rechtsanwälten getroffen haben. Einer ergänzte: „Unbeobachtet. Ohne Polizei.“

Am Nachmittag vernahm der Untersuchungsausschuss noch einen früheren Abteilungsleiter im „Offenen Vollzug“ der JVA Brandenburg. Von Carsten Szczepanskis Praktikum in einem rechtsextremistischen Musikgeschäft bei Chemnitz habe er nichts gewusst, beteuerte er. Wie das sein kann, obwohl Praktikumsstellen von der Haftanstalt kontrolliert worden seien und Chemnitz obendrein zu weit entfernt gewesen sei, konnte er nicht erklären.Zwei Zeugen müssen jetzt Akten lesen

Drei frühere Leiter der Justizvollzugsanstalt Brandenburg waren ebenfalls auf den 12. Januar in den Untersuchungsausschuss geladen. Einer will jedoch die Ladung missverstanden haben und kam nicht. Er muss jetzt nochmal geladen werden. Die anderen beiden hatten angeblich fast keine Erinnerungen, so dass sie der Ausschuss wieder nach Hause schickte. Ihnen wurde aufgegeben, sich mittels Aktenstudium vorzubereiten. Nach ihrer Vernehmung im Februar sollen sie vereidigt werden.