„Die Verfassungsschutz-Steuerung von Informanten und V-Leuten hat in Brandenburg nicht nur rechtsextremistische Szene-Strukturen gestärkt oder gar hervorgebracht, sondern sie hatte mindestens im Fall Toni S. sogar eine kriminelle Dimension.“ Das sagte Ursula Nonnemacher, die bündnisgrüne Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss, nach der Sitzung am 27. April 2018.
Mit dem vorzeitig entlassenen Häftling und Verfassungsschutz-Informanten Carsten Szczepanski kam die NPD nach Königs Wusterhausen. Das berichtete Justizminister Stefan Ludwig als Zeuge vor dem NSU-Untersuchungsausschuss. Und nach der Enttarnung des Verfassungsschutz-Informanten am 10. Juli 2000 sei die NPD auch wieder aus Königs Wusterhausen verschwunden, so Ludwig, der damals als PDS-Landtagsabgeordneter in Königs Wusterhausen lebte.
„Das hört sich so an, als hätte ,Piatto‘ dem Verfassungsschutz über rechtsextremistische Strukturen berichtet, die er im Dienste des Verfassungsschutzes selbst geschaffen hat“, kritisiert die bündnisgrüne Sicherheitspolitikerin und Fraktionsvorsitzende Ursula Nonnemacher.
Rechtsextremisten profitierten von „Piattos“ Laden
Zur Legendierung von „Piatto“, der nicht einmal als V-Mann verpflichtet worden war, sondern nur als Informant geführt wurde, hat ihn der Verfassungsschutz tatkräftig und finanziell dabei unterstützt, ein Ladengeschäft in Königs Wusterhausen einzurichten. Der V-Mann-Führer half beispielsweise beim Getränke-Einkauf und die Behörde zahlte Versicherungsbeiträge.
Ursula Nonnemacher wollte vom früheren Innenstaatssekretär Eike Lancelle wissen, ob das nicht ein ungewöhnlich großer Aufwand zur Legendierung eines Informanten gewesen sei. Der Zeuge antwortete bezüglich seiner damaligen Verfassungsschutzabteilung: „Die werden schon gewusst haben, was sie da tun.“
Minister Ludwig berichtete, dass die rechtsextreme Szene in Königs Wusterhausen mit Szczepanskis Ladengeschäft erstmals einen „festen Anlaufpunkt“ bekommen habe. Dort hätten sich Rechtsextremisten und Rechtsextremistinnen getroffen – auch um Stärke zu zeigen.
Kampfhunde gekauft und Patrouille gelaufen
Nachdem ein Brandanschlag auf Szczepanskis Auto verübt worden sei, hätten die Neonazis in Gruppen durch die Gemeinde patrouilliert. Die Szene habe sich im Jahr 2000 außerdem „systematisch Kampfhunde angeschafft“, erzählte der Minister.
Szczepanski war am 15. Dezember 1999 vorzeitig aus der Haft entlassen worden, die er wegen eines Mordversuchs verbüßte. Er hatte gegenüber der Strafvollstreckungskammer vorgetäuscht, er habe sich aus der rechtsextremistischen Szene gelöst. Die Justizvollzugsanstalt Brandenburg an der Havel hat ihn dabei unterstützt.
Nachdem das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ am 10. Juli 2000 Szczepanski als „V-Mann“ enttarnt habe, sei die Szene in Königs Wusterhausen „desorientiert und demontiert“ gewesen, berichtete Minister Ludwig.
Verfassungsschutz billigte Straftaten eines V-Mannes
Ex-Staatssekretär Lancelle betonte, dass er dafür gesorgt habe, dass aus dem Fall „Piatto“ Lehren gezogen wurden. Ursula Nonnemacher wollte deshalb von ihm wissen, wie diese Lehren denn ausgesehen hätten, da schon im Jahr 2002 mit Toni S. der nächste V-Mann Skandal folgte.
Die bündnisgrüne Obfrau hielt dem Zeugen Lancelle eine Passage aus einem Berliner Landgerichts-Urteil gegen den V-Mann vom 11. November 2002 vor: „Die Kammer hat das – aus ihrer Sicht unverantwortliche und nicht nachvollziehbare – Verhalten des Landesamtes für Verfassungsschutz in ganz erheblichem Umfang strafmildernd bewertet. Der Angeklagte hat die Taten, die schwerwiegen, jeweils mit Wissen und Billigung des LfV begangen und ist hierfür auch noch belohnt worden. Statt – nachdem spätestens am 31. Januar 2001 die an der Herstellung und dem Vertrieb der ersten Auflage der CD ,Noten des Hasses' beteiligten Personen bekannt waren – die tatsächliche Verbreitung der CD zu unterbinden, förderte das LfV sogar noch die Vorbereitungen zu ihrer zweiten Auflage. Der Angeklagte durfte sich hierdurch sicher fühlen, zumal ihm von seinem V-Mann-Führer wiederholt zugesichert wurde, dass ihm nichts geschehen könne. Schließlich erst die Zusicherung des LfV, dass sein Warenlager in Cottbus ,absolut sicher‘ sei, veranlasste den Angeklagten zu einem Handel mit Tonträgern, Videos, Büchern und Bekleidungsstücken mit rechtsextremistischen Aufdrucken in einem der Kammer bislang nicht bekannt gewordenen Umfang.“
Ursula Nonnemacher: „Was unterscheidet diese vom Landgericht Berlin dargestellte Arbeit des Brandenburger Verfassungsschutzes während Ihrer Amtszeit als Staatssekretär von kriminellen Machenschaften?“ Lancelle antwortete, der Vorgang sei „Gegenstand heftiger Diskussionen im Hause“ gewesen. Das habe in Form dieses Urteils auch strafrechtliche Folgen gehabt.
Ursula Nonnemacher fragte ihn, ob er als Staatssekretär und Jörg Schönbohm als Innenminister strafrechtliche Ermittlungen gegen Toni S. und seinen V-Mann-Führer unterstützt hätten. Lancelle sagte, dass es einer solchen Unterstützung nicht bedurft hätte, weil die Staatsanwaltschaft in Berlin gegen Toni S. ermittelt habe.
Strafverfolgung als Angriff auf Verfassungsschutz-Arbeit?
Ursula Nonnemacher hielt ihm daraufhin eine Aussage von Generalstaatsanwalt Erardo Cristoforo Rautenberg vor, der am 28. April 2017 als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss ausgesagt hatte: „In Erinnerung habe ich, dass es Auseinandersetzungen mit dem Innenministerium gab. […] Das ging auch so weit, dass ich auch mit meiner Versetzung in den einstweiligen Ruhestand gerechnet habe, weil doch auch die Vorwürfe gegen meine Person stark vorgetragen wurden, insbesondere auch zu der Frage, was V-Leute letztlich dürfen und was nicht im Fall von Toni S. Da hatte es ja eine Auseinandersetzung gegeben, die dann sogar auf das Verhältnis von Brandenburg zu Berlin übergriff, weil die Berliner Staatsanwaltschaft dann Toni S. angeklagt hatte. Das wurde in Brandenburg damals als Angriff auf brandenburgische Verfassungsschutzarbeit gesehen. Letztlich ist Toni S. verurteilt worden.“
Es sei richtig, dass es Diskussionen zwischen dem Verfassungsschutz Brandenburg und den Berlinern gegeben habe, bestätigte Eike Lancelle. „Ich habe versucht, als Mediator auch tätig zu sein.“ Er bestätigte, dass das Vorgehen des Verfassungsschutzes im Fall Toni S. „so nicht akzeptabel“ gewesen sei.
Ex-Staatssekretär sieht V-Mann-Wesen „mit großer Skepsis“
Lancelle empfahl, die Rechtsextremisten sehr sorgsam auszuwählen, die als V-Leute verpflichtet würden. Zudem müsse man „die Zahl der V-Leute intensiv in minimierendem Sinne im Auge behalten“. Gerade aufgrund der Gefahren, die sich aus einer Verfassungsschutz-Steuerung dieser Rechtsextremisten ergebe, sehe er das V-Mann-Wesen „mit großer Skepsis“. Es sei allerdings unverzichtbar und es müsse auch „ein bisschen“ gesteuert werden. In Brandenburg sei das aber „ganz eindeutig“ übertrieben worden. Im militanten Neonazi-Bereich stelle sich die Frage, ob der Verfassungsschutz „nicht besser daran getan hätte, die Polizei damit zu befassen“.
Brandenburgs Verfassungsschutz hat die Polizei schon vor Lancelles Amtszeit nicht immer mit Hinweisen auf militante Nazi-Umtriebe befasst. So berichtete der Informant „Piatto“ im September 1998 über Bewaffnungs- und Überfall-Pläne des Trios, das heute als Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ bekannt ist. Diese Information hat Brandenburgs Verfassungsschutz zwar an andere Verfassungsschutzbehörden weitergegeben – nicht aber an die Polizei in Thüringen und Sachsen. Ursula Nonnemacher: „Deshalb prüft nun ein Untersuchungsausschuss, ob die Brandenburger Behörde die neonazistische Mordserie hätte verhindern können, wenn sie damals mit der Polizei kooperiert hätte.“