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Wie Brandenburgs Verfassungsschutz die NSU-Aufklärung behindert

„1998 hat die brandenburgische Verfassungsschutzbehörde die polizeiliche Fahndung nach dem untergetauchten Trio nicht unterstützt – und heute behindert die entsprechende Abteilung des Innenministeriums die NSU-Aufklärung im Münchner Prozess.“ Dieses Fazit hat die bündnisgrüne Obfrau Ursula Nonnemacher nach der Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses am 24. Februar 2017 gezogen. Drei Sachverständige hatten den Abgeordneten aus dem NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht (OLG) München berichtet – und davon, wie sich der ehemalige V-Mann „Piatto“ und zwei seiner früheren V-Mann-Führer im Zeugenstand vor allem auf Erinnerungslücken berufen haben.

Die Brandenburger Beteiligten „packten überhaupt nicht aus“, sagte der Journalist Robert Andreasch, der rund 320 Prozesstage miterlebt hat. Unter alle V-Leuten und V-Mann-Führern, die das OLG als Zeugen gehört habe, habe Reinhard Görlitz vom brandenburgischen Verfassungsschutz „den Vogel abgeschossen“, ergänzte Friedrich Burschel, der ebenfalls als Journalist die Verhandlungen verfolgt. Die beiden Prozessbeobachter arbeiten unter anderem für das Bündnis „NSU-Watch“.

Reinhard Görlitz war V-Mann-Führer von „Piatto“. Auf dem Innenministeriums-Diensthandy dieses V-Mannes ging am 25. August 1998 eine SMS mit folgendem Wortlaut ein: „Hallo, was ist mit den Bums“? Versandt hatte sie der sächsische „Blood & Honour“-Chef Jan Werner, der zum damaligen Zeitpunkt laut „Piatto“ versucht hat, Waffen für das flüchtige Neonazi-Trio zu besorgen, das heute als „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) bekannt ist.

Das Aufklärungsversprechen missachtet

Das fragliche Handy soll „Piatto“ wenige Stunden vor dem Empfang dieser SMS an Görlitz zurückgegeben haben. Weil das Mobiltelefon danach abgeschaltet worden sein soll, will der Verfassungsschutz die SMS nicht mehr registriert haben. Bei der NSU-Aufklärung wurde die Kurznachricht „mit den Bums“ bekannt, weil sie bei einer Telekommunikationsüberwachung des Jan Werner aufgefallen war.

„Was die Einziehung des Handys betrifft“, habe Görlitz vor dem OLG jedoch „objektiv die Unwahrheit gesagt“, sagte Friedrich Burschel. Der Zeuge vom Verfassungsschutz habe die Handy-Rückgabe auf ungefähr 16 Uhr terminiert. Um kurz vor halb Fünf sei mit dem Gerät aber noch telefoniert worden, wie inzwischen aus der Telefonabrechnung bekannt sei. „Es ist bitter gewesen, wie dieser Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Brandenburg mit dem Aufklärungsversprechen gegenüber den Opfern umgegangen ist“, fasste Prozessbeobachter Andreasch zusammen.

Der zweite ehemalige V-Mann-Führer von „Piatto“, den das Gericht vernommen hat, sei im Ergebnis nicht besser gewesen, sagte die dritte Prozess-Sachverständige des Untersuchungsausschusses, Antonia von der Behrens. Es handelt sich um Gordian Meyer-Plath, der inzwischen zum Präsidenten des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz aufgestiegen ist. Die Rechtsanwältin erläuterte: „Er hat überhaupt nicht mehr zur Aufklärung beigetragen“ als sein Ex-Kollege Görlitz, „er hat es nur sehr viel eleganter gemacht“.

Meyer-Plath habe versucht, seine Rolle herunterzuspielen, indem er gesagt habe, er sei nur die Unterstützung der V-Mann-Führung gewesen. Das widerspreche einer Aussage des früheren Verfassungsschutz-Chefs in Brandenburg, Dr. Hans-Jürgen Förster. Förster habe als Zeuge im Bundestags-Untersuchungsausschuss gesagt, er habe dem umstrittenen V-Mann „Piatto“ zwei V-Mann-Führer zur Seite gestellt, so Antonia von der Behrens.

Große Erwartungen an den Untersuchungsausschuss

Die Anwältin vertritt im NSU-Prozess die Familie Kubasik als Nebenklägervertreterin. Mehmet Kubasik ist am 4. April 2006 in Dortmund erschossen worden. Bei der NSU-Aufklärung bezüglich dieses Tatorts hat ein Polizei-Informant auf den ehemaligen V-Mann Toni S. aufmerksam gemacht. Jener hat Anfang der 2000er-Jahre für den brandenburgischen Verfassungsschutz gespitzelt und wohnt inzwischen in Dortmund. Auch der NSU-Untersuchungsausschuss in Nordrhein-Westfalen hat sich mit ihm beschäftigt und Toni S. als Zeugen vernommen.

Die Familie Kubasik begrüße es, dass der brandenburgische Landtag ebenfalls einen NSU-Untersuchungsausschuss eingesetzt habe, sagte Antonia von der Behrens. Damit seien aber für ihre Mandanten auch große Erwartungen an den Ausschuss verknüpft.

Rechtlich unhaltbare Verfassungsschutz-Blockade

Im NSU-Prozess versuchte die brandenburgische Verfassungsschutzbehörde zu verhindern, dass ihr ehemaliger V-Mann „Piatto“ als Zeuge im Gerichtssaal erscheinen muss. Später wollte das Innenministerium mit einer Sperrerklärung unterbinden, dass die Handakte des ehemaligen V-Mann-Führers Görlitz im OLG-Verfahren genutzt werden kann. Diese Akte hatte er als Zeuge dabei. Nachdem ihre Beschlagnahme beantragt war, habe er sie schließlich freiwillig übergeben, berichtete Antonia von der Behrens – es folgte jedoch die Sperrerklärung des Innenministers.

Von der bündnisgrünen Obfrau nach der juristischen Relevanz dieser Sperrerklärung gefragt, sagte die Nebenklage-Vertreterin, dass das Dokument „wortreich, aber rechtlich oberflächlich“ abgefasst gewesen sei. Sogar die Bundesanwaltschaft habe gesagt, sie halte die Sperrerklärung nicht für zulässig. Und das Oberlandesgericht habe sich dieser rechtlichen Bewertung angeschlossen.

Die Sperrerklärung sei so mangelhaft gewesen, dass darin nicht einmal auf die einzelnen Dokumente der Handakte eingegangen worden sei. Zu der Akte hätten unter anderem öffentliche Bundestagsprotokolle und Wikipedia-Auszüge gehört. Es sei völlig klar, dass solche Unterlagen nicht gesperrt werden könnten.

Wie schon beim Versuch, die „Piatto“-Vernehmung im Gerichtssaal zu verhindern, habe das Innenministerium auf öffentlichen Druck und die Gegenvorstellung des OLG hin eine 180-Grad-Wende vollzogen und die Sperrerklärung aufgehoben, berichtete die Rechtsanwältin.

Grundlose Geheimniskrämerei statt Transparenz

Ursula Nonnemacher hielt in der anschließenden Pressekonferenz fest, dass das Innenministerium offenbar auf einer „sehr dünnen Rechtsgrundlage“ das Geheimhaltungsinteresse zu Lasten des Aufklärungsinteresses überbewertet habe: „Ich bin besorgt, dass uns das auch im Untersuchungsausschuss erhebliche Probleme bereitet und uns an einer zügigen Arbeit hindert.“

Auf die Frage der Presse, wie es um die Auskunft des Verfassungsschutzes in der V-Mann-Frage bezüglich des verstorbenen Neonazi-Kaders Frank Schwerdt stehe, antwortete Ursula Nonnemacher: „Das können wir Ihnen nicht beantworten, da die Auskunft in geheimer Sitzung erfolgte.“ Der Verfassungsschutz hatte die Behördenauskunft in der V-Mann-Frage zunächst sogar verweigert.

Dabei hatte der Brandenburger Nachrichtendienst dieselbe Frage im Jahr 2013 bereits gegenüber dem damaligen Bundestags-Untersuchungsausschuss beantwortet – und das nicht in geheimem Rahmen, sondern schriftlich in Form einer „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“. Solche Verschlusssachen können im Bundestagsausschuss in öffentlicher Sitzung behandelt werden. Dem brandenburgischen Ausschuss gegenüber wurde aber auf einer geheimen Sitzung bestanden.

Den Opfern nicht gerecht geworden

Die Obfrau der Bündnisgrünen hielt fest, dass die Verfassungsschutzabteilung des Innenministeriums damit sogar noch hinter ihre Aufklärungsbereitschaft aus dem Jahr 2013 zurückgefallen ist. Ursula Nonnemacher: „Die geringe Bereitschaft, zur Aufklärung beizutragen, zieht sich leider wie ein roter Faden durch das Handeln der brandenburgischen Verfassungsschutzbehörde beim Thema NSU. Die Angehörigen der Opfer müssen sich verhöhnt vorkommen, wenn sie Zeugen-Auftritte wie den des V-Mann-Führers Görlitz im OLG-Prozess miterleben.“

Die Nebenklage-Vertreterin Antonia von der Behrens appellierte an die Abgeordneten, dass sie mit den Nachrichtendiensten unnachgiebig sein sollten und die Akten minutiös studieren müssten.