Zum Inhalt springen

Heiner Klemp spricht zu: 30 Jahre Nachbarschaftsvertrag mit der Republik Polen

- Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Botschafter, werte Abgeordnete, liebe Gäste,

in der vergangenen Woche habe ich am „Wirtschaftsforum Moderne Energietechnologien Brandenburg – Niederschlesien“ teilgenommen. Brandenburg und die polnische Wojewodschaft Niederschlesien stehen vor gemeinsamen Herausforderungen bei der Umstellung auf klimaneutrale Energiekonzepte und all dem, was das für Wirtschaft und Gesell­schaft bedeutet. Und wir arbeiten zusammen.

Überhaupt, es gibt eine vielfältige Zusammenarbeit in der Wirt­schaft. Über die deutsch-polnische Industrie- und Handels­kammer gibt es einen sehr intensiven Austausch und (zumindest, wenn gerade mal keine Pandemie ist) regelmäßige Treffen. Ich erinnere mich gerne an den persönlichen Kontakt anlässlich meiner Reise nach Poznań im ver­gang­enen Jahr und jüngst den virtuellen Besuch beim Zentrum für Forschung und Entwicklung moderner Technologien in der Wojewod­schaft Großpolen.

Schon der Blick in den Bereich der Wirtschaft zeigt, wie vielfältig und erfolgreich die Kooperation ist. Polen ist heute der wichtigste Handels­partner von Brandenburg - Beim Export schon länger, beim Import seit letztem Jahr.

Aber das war nicht immer so. Denken wir heute 30 Jahre zurück, so hatten wir eine ganz andere Situation. Der Lebensstandard auf beiden Seiten der Grenze war deutlich niedriger als heute. Handels­beziehungen auf Sparflamme. Pass- und Zollkontrollen.

Der Beitritt Polens zur Europäischen Union im Jahr 2004 hat den Aufschwung in den wirtschaftlichen Beziehungen ermöglicht, der Beitritt zum Schengen-Abkommen 2007 den zivilgesellschaftlichen Austausch entscheidend verbessert und zu einem „Miteinander“ geführt, an das wir uns gut und gerne gewöhnt hatten.

Das Beispiel der deutsch-polnischen Beziehungen zeigt uns deutlich, dass enge Zusammenarbeit, wirtschaftlich aber auch menschlich, Vorteile auf beiden Seiten der ehemaligen Grenze hat. Diese Zusammen­arbeit wollen wir weiter vertiefen und zur Selbst­verständ­lichkeit in allen Bereichen machen. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir uns gestern auf den Weg gemacht haben, auch den Auftrag unserer Ver­fassung in diese Richtung weiterzuentwickeln.

Ich bin unserer Präsidentin sehr dankbar dafür, dass sie heute vor Beginn des Plenums zur Feierstunde anlässlich des 30-jährigen Bestehens des Nachbarschaftsvertrags eingeladen hat.

Genauso wie in Deutschland gibt es in Polen große politische Unter­schiede zwischen Ost und West, zwischen Stadt und Land. Jedoch zeigt uns Polen in den letzten Jahren, wie sich ein Land entwickeln kann, wenn rechtspopulistische Kräfte die Oberhand behalten. Der polnische Botschafter hat dafür in seiner provokativen und polarisierenden Rede ein Zeugnis abgelegt, das – ich muss ehrlich sagen – schwer erträglich war.

Immer wieder sah sich die EU-Kommission daher gezwungen, gegen Polen vorzugehen. Die fortschreitende Gleichschaltung der öffent­lichen Medien und die sogenannte Justizreform sind mit einer freiheitlichen Demokratie nicht vereinbar und das muss man auch unter Freunden ganz klar sagen können, meine Damen und Herren.

Es ist schwer zu ertragen, wenn ein Klima des Hasses gegen Minder­heiten, seien es Geflüchtete oder LBGTIQ-Personen, auch noch von der Zentralregierung befördert wird. Gestern erst hat der Kongress der Gemeinden und Regionen Europas Beschlüsse kommunaler polnischer Gremien zu sogenannten LGBT-freien Zonen verurteilt. Es war ein polnischer Vertreter im KGRE, der den Kongress eindringlich aufgefordert hat, dieses Dokument zu verabschieden und Polen, die polnischen Beschlüsse damit zu verurteilen.

Wir haben aber keinen Nachbarschaftsvertrag mit der PiS-Regierung, sondern mit der Republik Polen. Daher muss uns die Entwicklung in unserem Nachbarland nicht gefallen, sondern besorgen. Das tut der Freundschaft keinen Abbruch. Denn Polen ist auch sehr divers.

Bei meinen Besuchen in Polen nehme ich sehr wohl wahr, dass viele Menschen dort sich eine pluralistische Gesellschaft wünschen, dass sie lieber Windmühlen und PV-Anlagen bauen wollen als Braunkohle- und Atomkraftwerke. Ich nehme wahr, dass sich die Menschen um dieselben Dinge sorgen wie wir, den Klimawandel, die sozialen Unter­schiede, dass sie einen engen Austausch wollen, nicht nur im wirt­schaft­lichen Bereich, sondern auch bei der Bildung, bei Kunst und Kultur.

Meine Damen und Herren,

nach der tiefen Zäsur des zweiten Weltkriegs, nach der Vertreibung der Polen aus dem ehemaligen Ostteil ihres Landes und der daraus resultierenden Westverschiebung Polens, nach dem Nebeneinander der DDR-Zeit sind wir vor 30 Jahren richtige Nachbarn geworden. In den letzten 30 Jahren sind wir – so meine ich – auch gute Nachbarn und teilweise sogar Freunde geworden. Diesen Weg wollen wir fortsetzen.

Dazu gehören aber auch Anstrengungen auf unserer, der deutschen Seite. Als ich letzte Woche mit der IHK Potsdam über das Thema sprach, hieß es, auch mehr Deutsche müssten Polnisch lernen. Recht haben sie! Mit unserem Mehrsprachigkeitskonzept wollen wir das Thema angehen! Aber wir müssen auch die Menschen dafür begeistern!

Wir müssen mehr Konsultationen zwischen den Partnern durch­führen, müssen uns z.B. verständigen, welche Maßnahmen an der Oder ökologisch vertretbar sind. Wir müssen – endlich – die Verkehrs­beziehungen auf der Bahn ausbauen. Die nächste Bundes­regierung wird diesbezüglich ganz klaren Vorstellungen von Branden­burg gegenüberstehen!

Wir brauchen die kleinen Kontakte der Vielen, der vielen Vereine, der Forschungsinstitute und Schulen. Die Städtepartnerschaften, die Partner­schaften der Kreise und Wojewodschaften, die Zusammen­arbeit der Unternehmen und ihrer Beschäftigten.

Der Antrag der Koalitionsfraktionen spricht davon, das alles soll eine Selbstverständlichkeit werden. Das ist es noch nicht. Das ist der Auftrag.

Meine Damen und Herren,

angesichts der historischen Schuld Deutschlands, des Leides Polens, der mit dem Kniefall Willi Brandts im Warschauer Ghetto einge­leiteten Entspannungspolitik, der heute 30 Jahre zurückliegenden Unterzeichnung des Nachbarschaftsvertrages, dem Beitritt Polens zur Europäischen Union und dem nun freien Reiseverkehr sind wir aufge­rufen, die Entwicklung guter Nachbarschaft, erfolgreicher Zusammen­arbeit und vielfältigen Beziehungen zu einer selbstverständlichen Freundschaft weiter zu entwickeln.

Ich bitte daher um Zustimmung zum Antrag der Koalitionsfraktionen.

Vielen Dank!