- Es gilt das gesprochene Wort!
Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste,
wohl selten wie am heutigen Tage ist in diesem Landtag sichtbar, wie unterschiedlich Antworten der Landesregierung auf Große Anfragen ausfallen können. Auf der einen Seite akribische Ausarbeitungen wie in der Antwort auf die Großen Anfragen zur Forstpolitik oder zum Landschaftsverbrauch. Auf der anderen Seite dann die Antwort auf unsere Große Anfrage zur „Regionalwirtschaftlichen Bedeutung der Braunkohle in Brandenburg“, eigentlich das Leib- und Magenthema der Landesregierung, wenn man die jahrelangen Lobeshymnen und Verlautbarungen der Landesregierung gerade zu diesem Thema zu Kenntnis genommen hat. Und dann dieses: Ein mehr oder weniger belangloses „Nichts“, dass sich selbst für die Landesregierung nicht einmal mehr zum Aufblasen eignet.
Das Wissen der Landesregierung, die unsere Große Anfrage zu Tage gefördert haben, lässt sich grob mit „keine Ahnung“ zusammenfassen. Es gibt keine amtlichen Statistiken zur Beschäftigungswirkung der Braunkohle, schätzometrisch darf man sie aus zusammengefassten Zahlen für den gesamten Bergbau und Kiesabbau ermitteln. Sie liegt bei maximal 4.000 Arbeitsplätzen, welch Differenz zu den Beschäftigungszahlen, mit denen Vattenfall und Landesregierung immer gleich den völligen Zusammenbruch der Lausitz an die Wand malen, falls nicht den Konzerninteressen entsprochen wird. Aber weiter: Wertschöpfung: Keine konkreten Zahlen, Steuereinnahmen: Nicht bezifferbar. Ausstrahlungskraft der Braunkohle für die Regionalentwicklung: Nicht ermittelt, aber in der Antwort wird ein Link zu einem landesweiten Strukturatlas eingestellt, der zwar aufzeigt, dass in der Lausitz die Wassergebühren für Haushalte mit 80m² Wasserverbrauch besonders hoch sind, aber über die Bedeutung der Braunkohle erfährt man nichts. Stattdessen Verweise auf Studien, die Vattenfall selbst in Auftrag gegeben hat. Sauber verlinkt, in jeder Hinsicht.
Wir wären nicht die Grünen, wenn wir uns damit zufrieden gäben. Das Gutachten, nach denen die Landesregierung ihre Politik ausrichtet, wurde von Prognos auf Basis von Zahlen von Vattenfall erstellt.
Dieses weist 6180 Beschäftigte in der Braunkohlenindustrie aus, dort werden aus den Angaben von Vattenfall zur Bruttowertschöpfung auch noch 3902 indirekte Arbeitsplätze vermutet. Die amtlichen Zahlen, die die Landesregierung in der Antwort auf die Große Anfrage verwendet, sprechen eine andere Sprache: Demnach sind im Bereich „Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden“ 4262 Beschäftigte, davon sind allerdings 428 im Bereich Sand, Kies, Ton und Naturstein beschäftigt. Die offizielle Statistik der Länder weist für den Bergbau in Brandenburg sogar nur 3300 Erwerbstätige aus. Auch bei sehr wohlwollender Annahme über die Gesamtzahl der Bergbaubeschäftigten in der Region Spree-Neiße und Cottbus, ergibt sich nach den amtlichen Zahlen ein Anteil des Bergbaus an den Erwerbstätigen im niedrigen einstelligen Bereich.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass Renaturierungsmaßnahmen nach Ende des Abbaus noch langfristig Arbeitsplätze in der Region sichern. Damit soll die wirtschaftliche Bedeutung der aktiven Braunkohleförderung für die Region nicht bagatellisiert werden, aber sie relativiert sich doch sehr stark und das gibt Hoffnung, den strukturellen Wandel ohne große Friktionen bis 2030 bewältigen zu können.
Und dieser strukturelle Wandel ist für die Zukunftsfähigkeit der Lausitz bitter nötig.
Der Versuch, den Status quo einzuzementieren, schiebt diesen strukturellen Wandel bestenfalls noch einige Jahre auf, macht ihn aber bei rückläufigen Fördermitteln der EU nur noch schwieriger und verunmöglicht ihn möglicherweise sogar. Denn die Lage in der Bergbauregion ist ernst.
Das Prognos Institut erstellt regelmäßig einen Zukunftsatlas, der die Zukunftschancen deutscher Regionen miteinander vergleicht. In der aktuellen Ausgabe von 2013 sind der Landkreis Spree-Neiße auf Platz 394 und die Stadt Cottbus auf Platz 346 von 402 Landkreisen und kreisfreien Städten. Das ist die Region, in der sich die aktiven Tagebaue und Kraftwerke Brandenburgs befinden. Demnach kann der positive Effekt, den die Wertschöpfung aus der Braunkohle bewirkt, nicht allzu groß sein. Ganz im Gegenteil: die Region ist nicht trotz, sondern wegen der Braunkohle auf den aussichtslosen Plätzen.
Auch klassische Indikatoren für Wirtschaftsentwicklung und Lebensqualität sprechen eine eindeutige Sprache: Cottbus und Spree-Neiße haben keine geringere Abwanderung, kein signifikant höheres Durchschnittseinkommen und keine geringere Verschuldung der Kommunen als der Brandenburger Durchschnitt, sondern umgedreht: Cottbus hat die höchste Verschuldung, Spree-Neiße mit die gravierendsten Abwanderungsverluste in Brandenburg. Es drängt sich auf: Die regionalwirtschaftliche Bedeutung der Braunkohle wird von der Landesregierung in öffentlichen Verlautbarungen systematisch überschätzt.
Aber an dieses Ergebnis knüpfen konkrete Folgen: Mit der Antwort auf unsere Fragen eng verknüpft ist ja die Folgefrage nach der Zukunft dieser Region.
Profitiert die Region wirklich vom Bergbau? Oder ist die entscheidende Frage nicht viel eher, ob das Festklammern an der Kohle nur ein Anzeichen dafür ist, dass die Angst vor dem Verlust des mächtigsten Arbeitgebers in der Lausitz größer ist als das Vertrauen in die Politik der Landesregierung, den unausweichlichen Strukturwandel tatsächlich gestaltende zu können und, ich füge hinzu, gestalten zu wollen. Bis heute hat die Landesregierung keinen Plan B in der Lausitz. Sie setzt darauf, dass Plan A, weitestgehend ungehinderte Förderung und Verstromung von Braunkohle, sich noch Jahrzehnte fortführen lassen wird.
Damit fehlt aber ein realistisches Konzept und am Ende bleibt es bei Lippenbekenntnissen von der angeblich blühenden Zukunft. Wer will schon in einer durch Tagebau zerstörten Landschaft leben, zumal wenn nach Auskohlung der Flöze dort keine Arbeit mehr ist? Zurzeit arbeitet noch eine von Jahr zu Jahr schrumpfende Zahl von Menschen entweder an der Zerstörung der Region mit oder sie profitieren von denen, die an der Ausbeutung der Braunkohlevorräte verdienen.
In dieser verwüsteten Landschaft haben verständlicherweise viele die Befürchtung, dass nach dem Ende des Tagebaus nichts mehr kommt.
Mit der Antwort auf Frage 17 möchte die Landesregierung ein Horrorszenario an die Wand malen, dass ohne neue Tagebaue ab 2026 „sämtliche Braunkohlekraftwerke bzw. –heizkraftwerke im Land ihre Energieproduktion einstellen“ müssen. Dieses Szenario hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung im Auftrag des MUGV längst wiederlegt. Wenn Jänschwalde zum Ende der technischen Lebensdauer 2023 schrittweise stillgelegt wird, kann Schwarze Pumpe noch lange über das Jahr 2030 hinaus mit Kohle aus Welzow versorgt werden, theoretisch bis 2042. Da wollen wir aber die Versorgung längst auf Erneuerbare Energien umgestellt haben.
Die Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage hat uns gezeigt, dass die Landesregierung kein Konzept hat, wie es weitergehen soll, dass sie aus Furcht vor einer schwierigen Veränderung der wirtschaftlichen Strukturen in der Lausitzer Braunkohleregion die Parole „weiter so!“ ausgegeben hat und das auch noch als Sicherung der Zukunftsfähigkeit der Region verkaufen will. Das Gegenteil ist der Fall. Sie scheint blind für die Chancen geworden, die sich aus dem allgemeinen Strukturwandel und nicht nur aus der Energiewende für die Lausitz ergeben könnten.
Die Landesregierung ist mit ihrer Energiepolitik in eine Sackgasse geraten und hat sich dafür entschieden, mutlos an der Braunkohle festzuhalten. Den Anwohnern auf dem Gebiet und am Rande der geplanten Tagebaue mutet sie damit weiter einen Schrecken ohne Ende zu. In der Lausitzer Bergbauregion entscheidet ein einziges Unternehmen mit freundlicher Unterstützung durch die Landesregierung über das Wohl und Weh tausender Menschen. Für einige Betroffene aus Proschim bedeutet Schrecken ohne Ende konkret, dass sie durch den Tagebau Welzow Süd II zum zweiten Mal in ihrem Leben Haus und Hof verlieren und umgesiedelt werden sollen. Auch für die nicht von Zwangsumsiedlung betroffenen Anwohner am Tagebaurand setzt sich der Verlust von Lebensqualität fort, nicht nur mit Lärm und Staub sondern auch durch Wegzug und Perspektivlosigkeit, außer, das eigene Einkommen kommt zufällig aus dem Bergbau.
Dieser Kopflosigkeit stellen wir unsere Alternative eines gesteuerten und von der Landesregierung begleiteten Auslaufens der Braunkohleförderung bis 2030 entgegen. Wir wollen die Erarbeitung eines Alternativen Entwicklungskonzeptes für die Lausitz vor Ort (also von unten) mit Unterstützung der Landesregierung. Wir wollen die Einbeziehung und Aufwertung der BTU in diesem Prozess.
Dieser Antrag ist nicht die reine grüne Lehre, da wir Grünen die Genehmigung und den Aufschluss neuer Tagebaue vollständig ablehnen. Indem mit diesem Antrag nur ein Moratorium mit anschließender Überprüfung gefordert wird, wollen wir auch denjenigen unter ihnen die Zustimmung ermöglichen, die noch ein Faible für die Braunkohle haben.
Es geht nicht um einen Ausstieg aus dem Klimakiller Braunkohle von jetzt auf gleich, sondern um einen Ausstieg Schritt für Schritt bis 2030. Es geht darum, die Lebensqualität in der Lausitz zu verbessern und Jobs in neuen Industrien zu schaffen. Weniger Feinstaub in der Luft, weniger freigesetztes Quecksilber im Boden und weniger Eisenocker im Grundwasser werden zwar nicht von einem Tag auf den anderen Realität werden, doch langfristig wird sich die Umwelt regenerieren.
Eine Wende zu mehr Wohlstand und weniger Umweltzerstörung ist auch in der Lausitz machbar.
Sehr geehrte Abgeordnete, lassen Sie diese Gelegenheit nicht verstreichen und stimmen Sie für unseren Antrag.
Vielen Dank!
>> Zur Großen Anfrage „Regionalwirtschaftliche Bedeutung der Braunkohle in Brandenburg“