- Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren,
wir beraten heute einengemeinsamen Antrag von SPD, Linken und Grünen zur „Übernahme der Zahlungen der DDR-Sonderrenten durch den Bund“.
Worum geht es?
Auf Basis des Staatsvertrages zwischen DDR und Bundesrepublik Deutschland vom 18.5.1990 und bestätigt durch den Einigungsvertrag vom 31.8.1990 wurde das Rentenversicherungssystem der DDR in das bundesrepublikanische System der Rentenversicherung überführt.
Dabei schlossen die Chefunterhändler Wolfgang Schäuble und Günther Krause mit der Festlegung der Übernahme der Kosten der Zusatz- und Sonderversorgung durch die Ost-Länder einen Vertrag zu Lasten Dritter ab.
Der von den ostdeutschen Ländern mit einem Gutachten zu der Entwicklung der Ausgaben für diese Sonder- und Zusatzrenten beauftragte Gutachter Seitz stellte 2003 dazu fest:
„In der Anlage II Kapitel VIII Buchstabe H des Einigungsvertrages wurde bereits die Finanzierungsregel festgeschrieben. Damit ist festzuhalten, dass den neuen Ländern unmittelbar mit deren „Geburt“ bereits eine Finanzierungslast auferlegt wurde, d. h. konkret, die damalige Bundesregierung18 hat mit der Noch-DDR einen Vertrag zu Lasten der noch nicht gegründeten neuen Länder abgeschlossen!“
Oder in meinen Worten: Die damals sogenannten Neuen Länder wurden bekanntlich erst mit dem In-Kraft-Treten des Einigungsvertrages gebildet und auf diese Weise gleich mit einer schweren finanziellen Hypothek in nicht vorhersehbarer Höhe belastet.
Aus dem Seitz-Gutachten 2003: „Ein zentrales Problem besteht darin, dass weder über die ZV- noch SV-Versicherungszusagen in der DDR ausreichende Unterlagen vorhanden sind, so dass der Kreis der Anspruchsberechtigten nicht bekannt ist. Im Zuge des Einigungsvertrages und der Rentenüberleitung wurden ferner Regelungen getroffen, die in der Folge nicht ausreichend „gerichtsfest“ waren, so dass immer wieder Regelungen von Gerichten ganz oder teilweise verworfen wurden.“
Von zentraler Bedeutung für die Entwicklung des AAÜG war die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sowie des Bundesverfassungsgerichts. So hat das Bundesverfassungsgericht mit vier wichtigen Entscheidungen am 28.4.1999 verschiedene Regelungen des AAÜG für verfassungswidrig erklärt.
Hinweis: Dies hat zu einer Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten auf inzwischen (Stand 2017) rund 1,3 Millionen Menschen, der Hälfte der Rentner mit Ostanwartschaften, und zudem der Ansprüche der Versicherten geführt und die AAÜG-Ausgaben der neuen Länder sowie des Bundes dramatisch erhöht.
Und weiter Seitz: Nach §15 Abs. 4 AAÜG werden die Erstattungen nach der Einwohnerzahl im „Beitrittsgebiet“ auf die Länder verteilt. Im Jahr 2002 entfielen in den ostdeutschen Flächenländern ca. 5,1% der Gesamtausgaben und ca. 6,6% der laufenden Ausgaben auf Erstattungen der Länder an den Bund für Leistungen aus dem AAÜG. Im Jahr 1994 betrugen die entsprechenden Anteile lediglich 1,7% bzw. 2,3%.
Diese Kostenexplosion war 1990 nicht vorhersehbar. Das bemerkenswerte aber ist, dass der Gutachter Prof. Seitz, der die Entwicklung bis 2002 kannte und umfassende Unterlagen der Rentenversicherung auswerten konnte in seiner Prognose für die weitere Kostenbelastung der Länder, völlig danebenlag.
So prognostizierte er einen weiteren Anstieg der Länderkosten bis 2012 gefolgt von einem langsamen Absinken der Ausgaben bis 2020 um 10 Prozent gegenüber 2002. Bei rund 480 Millionen Ausgaben in 2002 wären für das Land demnach 2020 mit Ausgaben in Höhe von 430 Millionen zu erwarten gewesen. Diese Entwicklung hat es nicht gegeben, stattdessen sind die Ausgaben für den Haushalt für 2020 nun auf 539 Millionen Euro weiter angewachsen und werden nach der aktuellen Prognose des MdF in den nächsten 4 Jahren auch weiter ansteigen.
Bemerkenswert bleibt, dass die Erstattungen an den Bund damit einen immer größeren Anteil der allmählich abgesunkenen Aufbau-Ost-Mittel, auch SOBEZ genannt verschlungen haben. Flossen 1994 erst 7,7 Prozent und 2002 25,3 Prozent (= ein Viertel) der SoBEZ-Mittel an den Bund zurück, so waren dies 2014 mit 55,3 % bereits über die Hälfte und 2017 97,2% der für den Aufbau-Ost gedachten Mittel, die an den Bund zurückflossen. Ab 2020 zahlt das Land dann sämtliche bei der Neufassung des Länderfinanzausgleichs errungenen zusätzlichen Mittel über das AAÜG wieder an den Bund zurück.
Das kann so nicht weitergehen und insofern ist es gut, dass aufgrund des Drucks der ostdeutschen Ministerpräsidenten bei den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene die schrittweise Übernahme dieser Folgekosten der Deutschen Einheit nach nunmehr 30 Jahren durch den Bund erfolgen soll. Nur: Still ruht der See und der Bund bewegt sich nicht.
Deswegen ist es gut, dass wir heute diese Handlungsaufforderung an die Landesregierung beschließen. Besser wäre es gewesen, wenn der Antrag auch von beiden, die Bundesregierung tragenden Parteien mitbeantragt worden wäre, um das gemeinsame Anliegen deutlich zu machen.
Dies ist für heute nicht gelungen. Mögen wir hoffen, dass dies keine Ausstrahlung auf die Entscheidung der Bundesregierung hat.