Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es lohnt sich, sich etwas näher mit dem von Herrn Eichelbaum vorhin angesprochenen Urteil des Brandenburger Verfassungsgerichts zur Verfahrensdauer an Brandenburger Gerichten zu beschäftigen. Ich zitiere den amtlichen Leitsatz: „Das Recht des Rechtsschutzsuchenden auf ein zügiges Gerichtsverfahren nach Artikel 52 Abs. 4 Satz 1 der Verfassung des Landes Brandenburg kann verletzt sein, wenn Richterstellen zu einer Zeit abgebaut werden, zu der noch
zahlreiche Altverfahren anhängig sind, oder wenn das Präsidium des angerufenen Gerichts keine effektiven Maßnahmen zum Abbau der Altverfahren trifft.“
Im Weiteren hat das Verfassungsgericht ausgeführt, der Abbau von sieben Richterstellen am Verwaltungsgericht Potsdam seit dem Jahr 2004 sei mit dem Verfassungsauftrag, angemessene Verfahrenszeiten sicherzustellen, nicht vereinbar. Wie aus der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Eichelbaum vom 08.02. dieses Jahres hervorgeht, ist die Verfahrensdauer - insbesondere in den Verwaltungs- und Sozialgerichten - unerträglich lang. So beträgt sie an den Verwaltungsgerichten im III. Quartal 2009 noch immer 24,9 Monate - also zwei Jahre - und an den Sozialgerichten 15,1 Monate.
Besonders erschreckend sind die Verfahrensdauern an den Berlin-Brandenburger Gerichten, die sich zum Beispiel beim OVG zwischen dem I. und III. Quartal 2009 von 9 auf 17,6 Monate fast verdoppelt haben, beim Landessozialgericht bei 19,7 Monaten liegen und - last, but not least - beim Finanzgericht Berlin-Brandenburg mit steigender Tendenz inzwischen 24 Monate betragen.
Abhilfe ist nach der hier vorliegenden Personalbedarfsplanung der Landesregierung nicht in Sicht. Ganz im Gegensatz zu dem Tenor des Urteils des Landesverfassungsgerichts sollen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit bis zum Jahr 2014 fast ein Fünftel der noch vorhandenen Stellen abgebaut werden und die überlasteten Sozial- und Finanzgerichte mit dem vorhandenen Bestand auskommen. Der Grund für diese bemerkenswerte Inaktivität scheint darin zu liegen, dass sich die Landesregierung die Position des Gutachtens der Universität Potsdam vom 02.02. zu eigen macht, das eine Bedeutung des Verfassungsgerichtsurteils für die aktuelle Stellenausstattung an den Brandenburger Gerichten schlicht in Abrede stellt und der Auffassung huldigt, dass es sich bei den überlangen Verfahrensdauern „primär um Organisationsprobleme in der Justiz handele, die einer dringenden strukturellen Lösung bedürfen“.
Angesicht der enormen Diskrepanzen zwischen der Verfahrensdauer an den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit und an den Arbeitsgerichten einerseits und an den vorhin genannten Fachgerichten andererseits halte ich den Begriff „Organisationsprobleme“ für Schönfärberei. Um eine Aufstockung der Personalstellen an den genannten Gerichten durch Neueinstellungen oder möglicherweise auch durch eine Verlagerung aus der allgemeinen Gerichtsbarkeit werden Sie nicht herumkommen.
Dies darf aber nur im Einklang mit dem allgemein beobachteten Rückgang der Straftaten erfolgen; denn zur Prävention gehört auch, dass die Strafe möglichst auf dem Fuße folgt und zwischen Straftat, Gerichtsverfahren und Urteil möglichst wenig Zeit vergeht.
Die Krux der vorliegenden Personalbedarfsplanung der Landesregierung und damit auch der Basisdaten für diesen Einzelplan ist, dass - wie bereits bei der Vorgängerregierung - Personalzielzahlen politische Zielzahlen sind und nicht auf Grundlage aufgabenkritischer Analysen gebildet wurden. Offenkundig auf Initiative des Justizministers wurde in die vorliegende Personalbedarfsplanung ein Vorbehalt eingebaut, nach der die auf Basis des Jahres 2008 beruhenden Zielzahlen im Rahmen der Haushaltsaufstellung überprüft werden. Seltsamerweise ergab sich allerdings im Rahmen der Haushaltsberatungen keine Beantragung von Änderungen der Stellenplanzahlen durch die Koalitionsfraktionen. Insofern kann diese Prüfung nicht sehr intensiv ausgefallen sein. Dies ist dabei noch die wohlwollende Interpretation. Die vermutlich korrekte Betrachtung ist, dass das Finanzministerium mit dieser Formulierung dem Justizminister in den Vorberatungen zum Haushalt scheinbar ein Stück weit entgegengekommen war, um ihn nach Zustimmung zur Personalplanung im Kabinett wieder abzuservieren.
Sehr geehrter Herr Schöneburg, sehr geehrter Herr Markov, wir als GRÜNE/B90 rufen hier nicht schlichtweg nach mehr Stellen. Auch wir erkennen an, dass eine Anpassung des Personalbedarfs an geänderte Rahmenbedingungen erforderlich ist. Das kann auch den Abbau von Personalstellen in der Justiz bedeuten. Voraussetzung für jegliche Planung sind allerdings aufgabenkritische Analysen. Das sprechen wir bei jedem Einzelplan an. Aufgabenkritische Analyse bedeutet dabei nicht, sich mit den absoluten Stellenzahlen zu befassen und zu meinen, man könne im Bereich der Justiz allein durch Neueinstellungen von Richtern die aufgelaufenen Probleme lösen. Vielmehr bedeutet Aufgabenkritik, die Arbeitsvorgänge im Detail zu betrachten.
Bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten wird mit Sorge die Entwicklung betrachtet, im Verwaltungsbereich nach und nach den Unterbau abzubauen: zunächst die Schreibdienste und dann die übrigen Verwaltungsmitarbeiter und -mitarbeiterinnen. Der Löwenanteil der kw-Stellen - also der künftig wegfallenden Stellen - in der Titelgruppe 79 befindet sich in den niedrigen Entgeltgruppen, sodass immer mehr Verwaltungsaufgaben bei den Staatsanwälten und Richtern hängen bleiben. Da ist es dann wohlfeil, über die Langsamkeit der Bearbeitung zu schimpfen.
Wenn der Richter seine Akten jedoch selbst sortieren muss, diese an niemanden verfügen kann und Schreibarbeiten selbst erledigen muss, hat er natürlich auch weniger Zeit für seine eigentlichen Aufgaben, für die er bezahlt wird. Dies mag man zwar als ein Luxusproblem ansehen, jedoch wissen wir alle, welch Zeitfresser und Ressourcenverschwendung es ist, hoch bezahlte Fachkräfte für Bürotätigkeiten, für die sie zumeist auch nicht qualifiziert sind, einzusetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen wir nun zu den Justizvollzugsanstalten. Nicht erst das Gutachten der Universität Potsdam hat an den Tag gebracht, dass Brandenburg über zu viele Haftplätze verfügt. Im bundesweiten Vergleich ist die Zahl der Haftplätze je Einwohner im obersten Bereich anzusiedeln. Im Jahr 2008 verfügte Brandenburg über 96 Haftplätze pro 100 000 Einwohner, Schleswig-Holstein dagegen lediglich über 62 Haftplätze.
(Reges Gespräch unter Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE.)
- Vielleicht kann man gerade eben ein Foto von Frau Kaiser und den Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE schießen; denn das kommt dem bekannten Foto gleich, das man oft auf den Titelseiten der Tageszeitungen sehen konnte.
(Zuruf des Abgeordneten Görke [DIE LINKE])
Es ist unangenehm, wenn man hier vorn spricht und in einem solchen Ausmaß bzw. in einer solchen Lautstärke Gespräche geführt werden.
(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Ja, ist gut!)
Da Brandenburg über eine kriminell kaum auffälligere Bevölkerung als Schleswig-Holstein verfügt, waren im Jahr 2009 lediglich 1576 der damals landesweit 2308 Haftplätze in Anspruch genommen. Bedauerlicherweise - das wurde bereits angesprochen - ist es aufgrund von Kommunikationspannen nicht dazu gekommen, diese freien Haftplätze Berlin anzudienen. Stattdessen baut das Land Berlin aus nicht nachvollziehbaren Gründen in Brandenburg eine funkelnagelneue Justizvollzugsanstalt.
Vor diesem Hintergrund begrüßen wir den von Minister Schöneburg im Haushaltsausschuss mitgeteilten Verzicht auf einen Trakt der JVA in Brandenburg an der Havel. Dies kann jedoch nur ein erster Schritt sein.
Als GRÜNE/B90 treten wir für eine drastische Verringerungder Zahl der Haftplätze in den Justizvollzugsanstalten und für die baldige Schließung der Abschiebehafteinrichtung in Eisenhüttenstadt ein. Dies muss auch im Haushaltsplan - über Einsparungen bei den Energiekosten hinaus - seinen Niederschlag finden. Wir wollen die frei werdenden Haushaltsmittel allerdings nicht komplett wegfallen lassen, sondern treten zugleichfür eine stärkere Förderung und finanzielle Absicherung von Haftvermeidungs- und Präventionsmaßnahmen unter anderem der Einrichtung zur Vermeidung von U-Haft bei Jugendlichen in Frostenwalde - unter dem Motto „Menschen statt Mauern“ - ein; denn jeder Euro, der nicht in Prävention investiert wird, kostet später im Vollzug das Dreifache.
Wir sehen auch mit großer Sorge, Herr Minister, dass sinnvolle Maßnahmen wie Qualifizierungsmaßnahmen im Strafvollzug und Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen durch Arbeit - auf Seite 8 in Ihrem Einzelplan - komplett über den Europäischen Sozialfonds finanziert werden; der Landeseigenanteil wird dabei über den Tageshaftkostensatz erbracht. Hier ist zu befürchten, dass diese Maßnahmen mit dem Ende der Förderung im Jahr 2013 wegfallen. Wir fordern Sie auf, in der mittelfristigen Finanzplanung hierzu Vorsorge zu treffen.
Sehr geehrter Herr Minister Schöneburg, wir begrüßen ausdrücklich Ihre auf unserer Fraktionssitzung im Januar angekündigte Initiative zur Überprüfung der Sicherheitsverwahrung und zur Verbesserung der Unterbringung der Sicherheitsverwahrten. Wir sind der Hoffnung, dass Ihr Hauptanliegen nicht die vollständige Belegung möglichst ausbruchssicherer JVAs ist, sondern die Verringerung der Zahl der Straftaten und der Inhaftierten. Wir vertrauen darauf, dass der gegenüber den Vorjahren nur wenig veränderte Einzelplan 04 in den nächsten Jahren noch grundlegende Umstrukturierungen und Neuverteilungen abbilden wird. In der vorliegenden Fassung ist er für uns
jedenfalls noch nicht annehmbar. - Herzlichen Dank.
(Beifall GRÜNE/B90)