Herr Präsident! Sehr geehrte Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sie haben es an der bisherigen Debatte schon gemerkt: Wir hatten als Abgeordnete im Umweltausschuss eine seltenschwere Aufgabe, nämlich stellvertretend für die Brandenburgerinnen und Brandenburger den Weg oder zumindest einen Weg zu finden, wie wir es hinbekommen, dass der Wolf, die Schafe und wir gut mit- und nebeneinander leben können. Das ist ohne Frage eine Daueraufgabe. Wir ziehen heute Zwischenbilanz. Für meine Begriffe kann sich das bisherige Ergebnis durchaus sehen lassen. Ich will betonen, dass wir uns außerordentlich große Mühe gegeben haben; Udo Folgart hat es schon gesagt. Nicht nur, dass der Wolf inzwischen Dauergast im Plenum ist, es gab darüber hinaus drei Anhörungen im Ausschuss. Wir haben die Jäger, die Förster, die Bauern, die Schäfer, das Bundesamt für Naturschutz und die Umweltverbände gehört. Der Ausschuss war in Brüssel, und wir haben dank der CDU sogar Expertinnen und Experten aus Schweden einfliegen lassen. Wir haben uns in das Thema eingelesen. Es gab Zuschriften von Bürgerinnen und Bürgern und sehr anschauliches Bildmaterial - einerseits von blutigen Schafen, andererseits von Wäldern, denen es ohne Wildverbiss so viel besser geht. Kurzum: Ich will sagen, dass wir selten ein Thema so gründlich und umfassend behandelt haben wie dieses. Wir hatten eine außerordentlich konstruktive fachliche Debatte, weder Romantik noch Rotkäppchen. Dafür, meine lieben Ausschusskollegen, herzlichen Dank an Sie.
Was haben wir im Ausschuss - stellvertretend für Sie alle im Parlament und die Brandenburgerinnen und Brandenburger - gelernt? Ich will auf vier Punkte eingehen und diese besonders hervorheben.
Erstens die Frage: Wie scheu ist der Wolf? Wir haben gelernt, dass das sehr unterschiedlich ist und sehr auf das einzelne Exemplar ankommt. Klar ist aber auch: Die frühere Behauptung, dass Wölfe scheu sind und sich tagsüber von Herden und Siedlungen fernhalten würden, kann man nun wirklich als überholt betrachten. Wobei die Biologen sagen: Es ist nicht immer unbedingt der Hunger, der die Tiere in die Nähe von Siedlungen führt, es sind manchmal auch Ignoranz oder Neugier, vor allem bei jungen Exemplaren. Strittig ist unter den Experten - das war für uns klar herauszuhören -, ob die Scheu der Wölfe vor dem Menschen angeboren ist oder man sie ihm beibringen muss. Das scheint umstritten zu sein. Für mich ist klar: Im Zweifel müssen wir es dem Wolf halt immer wieder beibringen, zum Beispiel durch Vertreibungsmaßnahmen, dass er schön scheu zu bleiben hat. Er soll ja nicht das Falsche fressen.
Da sind wir beim zweiten Punkt: Was frisst der Wolf? Nach der bisherigen Debatte würde man vermuten: ausschließlich Schafe. Aber nein, das ist tatsächlich die Ausnahme. Es gibt langfristige Untersuchungen in der Lausitz, wo man Knochenfunde und den Mageninhalt toter Wölfe untersucht hat. Man hat festgestellt,
dass es vor allem Rehe, Hirsche und Wildschweine sind. Wenn der Wolf besonders schnell war, hat er auch mal einen Hasen erwischt. Aber dass es Schafe, Kühe und Ziegen sind, ist die absolute Ausnahme. Sogar der Biber ist mit einem Anteil von 7 % häufiger im Magen eines Wolfes zu finden; das wissen wir aus der Ostlausitz.
Vizepräsident Dombrowski:
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Raschke (B90/GRÜNE):
Sehr gern.
Schröder (AfD):
Herr Raschke, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. - Ich freue mich, dass wir hier zumindest einmal einer Meinung sind, und zwar dahin gehend, dass der Wolf seine Scheu verloren zu haben scheint. Sie sprachen von Maßnahmen zur Wiederherstellung einer gewissen Scheu. Mich würde interessieren, was das aus Ihrer Sicht für Maßnahmen sein könnten.
Raschke (B90/GRÜNE):
Herr Schröder, ich bin etwas irritiert. Sie sind schließlich der Vorsitzende des Umweltausschusses und sollten in die Wolfsverordnung zumindest einen Blick geworfen haben. An dieser Stelle: Herzlichen Dank, Herr Minister Vogelsänger, für die Wolfsverordnung. Darin steht explizit, was man tun kann. Ich gehe gleich noch etwas ausführlicher darauf ein.
Ich will festhalten: Wir haben gelernt, dass wir den Wolf gar nicht erst auf den Geschmack bringen sollten, sich an unseren Weidetieren zu vergreifen. Daher müssen wir sie schützen. Da bin ich bei Ihrer Frage: Wie schützen wir die Tiere? Erstens können bzw. müssen wir den Wolf vertreiben. In der Wolfsverordnung ist sehr ausdrücklich beschrieben, was jeder Mann und jede Frau tun kann - es sind Jedermannsrechte -, um den Wolf zu vertreiben. Zweitens müssen wir die Weidetiere durch Zäune und Herdenschutzhunde - am besten in Kombination - schützen. Das ist die Grundlage sowohl für Entschädigungen als auch für den Abschuss von Problemwölfen. Diese Maßnahmen werden vom Land daher auch gefördert.
Ich sehe, es gibt noch eine Frage.
Vizepräsident Dombrowski:
Wenn Sie sie zulassen.
Raschke (B90/GRÜNE):
Wenn wir die Zeit haben, lasse ich die Frage gern zu.
Schröder (AfD):
Die Zeit wird Ihnen ja gegeben.
Raschke (B90/GRÜNE):
Na ja, ich habe die Abendveranstaltung im Hinterkopf, und wir müssen ja heute noch einen AfD-Antrag behandeln.
Schröder (AfD):
Herr Raschke, es geht gar nicht um die Inhalte, mit denen wir im Ausschuss befasst waren. Sie haben explizit gesagt, dem Wolf müsse die Scheu beigebracht werden. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Deswegen möchte ich, dass Sie der Öffentlichkeit - wir reden ja hier auch für die Öffentlichkeit, nicht nur unter uns - kurz erklären und damit meine Frage von vorhin beantworten, welche Maßnahmen Sie vorschlagen. Sie können auch gern wiederholen, was wir beschlossen haben; das ist ja kein Problem.
(Dr. van Raemdonck [AfD]: Sie können auch einfach sagen, dass Sie es nicht wissen!)
Sie stehen da als Redner, und es wäre schön, wenn Sie das beantworten.
Raschke (B90/GRÜNE):
Danke, Herr Schröder. Ich denke, Sie wollen darauf hinaus, ob man den Wolf erschießen muss, damit er lernt, dass er vertrieben wird.
Ich bin explizit nicht dieser Meinung - das haben wir auch gehört -, denn erstens ist der Wolf dann tot
(Allgemeine Heiterkeit)
und zweitens ist nicht klar, ob andere Wölfe aus dem Rudel das dann gelernt haben.
Drittens haben wir gelernt, dass es sehr schwierig sein kann, wenn man die Rudelstruktur zerstört und der erfahrene Leitwolf, die erfahrene Leitwölfin dann nicht mehr vorgibt und die unerfahrenen Tiere vordringen und viel mehr Risse verursachen. Deswegen ist das mit dem Abschuss nicht so wichtig und sicherlich nicht die geeignete Maßnahme, um dem Wolf beizubringen: Du hast hier nichts zu suchen.
(Dr. van Raemdonck [AfD]: Was ist denn die geeignete Maßnahme?)
Jetzt komme ich zu dem vierten Punkt, den wir gelernt haben bzw. über den wir insbesondere gestritten haben, nämlich: Sind es denn zu viele Wölfe? Müssen wir die Anzahl regulieren?
Kollege Domres hat es hervorragend herausgearbeitet: Trotz der Nebelkerze geht es der CDU und natürlich auch der AfD darum, eine Obergrenze einzuführen und sozusagen nur eine gewisse Menge zuzulassen. Da haben die CDU auf der einen Seite und SPD, die Linke und Grüne auf der anderen Seite offenbar unterschiedliche Sachen gelernt, was Schutzjagd heißt. Beim AfD-Antrag muss ich mich fragen, Herr Schröder, ob Sie überhaupt etwas gelernt haben. Aber gut, Sie müssen ja auch den Ausschuss moderieren.
(Heiterkeit der Abgeordneten Nonnemacher [B90/GRÜNE])
Ich habe gelernt: Das Problem ist nicht der Wolf, das Problem ist der „Problemwolf“. Denn natürlich gibt es auch unter Wölfen verschiedene Exemplare, verschiedene Charaktere: Da sind welche dabei, die besonders lernfähig sind;
(Zuruf der Abgeordneten Schade [AfD])
da sind Charaktere dabei, die psychopathisch sind. Es geht eben nicht um die Gesamtzahl, sondern es geht um die schwierigen Exemplare. Wir müssen alle Energie auf die Beantwortung der Frage verwenden, wie wir mit den „Problemwölfen“ umgehen, und dürfen hier keine Phantomdebatte über eine Obergrenze
führen, die rechtlich sowie nicht zulässig ist.
(Beifall B90/GRÜNE und des Abgeordneten Domres [DIE LINKE])
Für diesen Umgang mit den „Problemwölfen“ - das haben meine Vorredner dargestellt - gibt es jetzt eine Wolfsverordnung; die ist derzeit im Praxistest. Das ist auch gut und richtig so. Herr Minister Vogelsänger, ich habe Sie bisher für diese Wolfsverordnung gelobt. Das will ich so nicht uneingeschränkt stehen lassen; selbstverständlich nicht. Wir können noch nicht zufrieden sein.
Unabhängig vom Ergebnis der Prüfung des ersten Falles hat das zu lange gedauert. Es kann nicht sein, dass ich als Schafhalterin oder Schafhalter bzw. als Weidehalterin oder Weidehalter wochenlang warten muss, wenn ich einen Antrag - „Hilfe, ich habe einen ‚Problemwolf‘“ - stelle. Es kann nicht sein, dass das wochenlang dauert. Der Praxistest hat bisher gezeigt: Da müssen wir nacharbeiten, da muss irgendetwas im LfU anders laufen; das geht so nicht weiter. - Nichtsdestotrotz ist es richtig, dass wir diese Wolfsverordnung haben und dass wir sie auch einem Praxistest unterziehen.
Ich sehe eine weitere Wortmeldung, ich sehe auch Geduld in den Gesichtern der anderen Mitglieder des Parlaments. Ich würde die Frage zulassen.
Vizepräsident Dombrowski:
Die Anfrage brauchen Sie jetzt nicht zur Kenntnis zu nehmen. Das ist meine Aufgabe. Ich lasse eine weitere Zwischenfrage zu diesem Thema nicht zu, weil der Beratungsgegenstand ausreichend beleuchtet worden ist.
(Vereinzelt Beifall SPD)
Raschke (B90/GRÜNE):
Vielen Dank, Herr Präsident. Sie waren ja auch im Ausschuss und haben das alles intensiv verfolgt und mit uns diskutiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, alles in allem lautet mein Fazit: Ich denke, wir haben nach intensiver, gründlicher Auseinandersetzung, um einen Weg zu finden, das Leben mit dem Wolf hinzubekommen, einen ordentlichen Zwischenstand erreicht. Die Beschlussempfehlung - der wir ja zustimmen werden - ist aus grüner Sicht aber nicht perfekt. Hierzu will ich drei Punkte nennen.
Erstens - Herr Schröder hat darauf hingewiesen -: Die praktische Bestimmung des „Problemwolfs“ ist noch nicht ausgereift. Zwar erkennt man mittels einer Genuntersuchung, also etwa einer Speichelprobe: „Oh, es war dreimal derselbe Wolf“. Aber zu wem diese Genprobe, dieser Speichel gehört, muss man erst herausfinden - ebenso, ob das ein „Wiederholungstäter“ ist. Die praktische Bestimmung ist also nicht ausgereift.
Zweitens: Ich wünsche mir ausdrücklich eine großzügigere Unterstützung der Schäferinnen und Schäfer - zum Beispiel beim Unterhalt der Hunde und beim Zaunbau. Da müssen wir eine Schippe drauflegen, wenn wir diese wirklich tolle Form von Tierhaltung - nämlich die Weidehaltung - haben und ausbauen wollen.
Letzter Punkt - auch das kann ich Ihnen nicht ersparen -: Als Grüner möchte ich auch, dass wir uns zu mehr Wolfsschutz bekennen. Es gab eine Reihe illegaler Tötungen im Land. Die wurden verfolgt, aber in keinem einzigen Fall war im Ergebnis klar, wer die Täterin oder der Täter war. Das ist nicht in Ordnung. Einen Wolf zu töten ist eine Straftat; diese muss verfolgt werden.
Insofern sind da noch einige Punkte offen, und ich möchte versuchen, Sie in der weiteren Debatte davon zu überzeugen. Denn ich bin mir sicher: Über den Wolf haben wir nicht zum letzten Mal diskutiert. - Herzlichen Dank.
(Beifall B90/GRÜNE und DIE LINKE)