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Benjamin Raschke zu unserem Antrag „Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher angemessen qualifizieren, Bachelorstudiengang ermöglichen“

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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerichtsvollzieher - das ist der letzte Punkt auf der Tagesordnung. Ich bin mir sicher, liebe Parlamentarische Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, das ist Zufall, aber irgendwie ist es auch symbolisch. Denn wenn wir über Rechtsfrieden und einen funktionierenden Rechtsstaat reden, dann in aller Regel nicht über die Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher in unserem Land - und das, obwohl sie für den funktionierenden Rechtsstaat unverzichtbar sind. Wenn es niemanden gibt, der die Entscheidungen der Gerichte durchsetzt und vollzieht, wenn zum Beispiel Geldbußen verhängt werden und dann nicht eingetrieben werden, dann sind diese Gerichtsentscheidungen nicht viel wert und werden nicht für voll genommen. Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher haben einen wichtigen Job, sie erledigen eine unverzichtbare Aufgabe.

Deswegen geben wir uns jetzt noch einmal Mühe, uns mit ihnen zu beschäftigen. Das müssen wir auch tun, denn sie gehen uns aus. Schon heute haben wir zu wenig Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher. Selbst Minister Ludwig sagt, wir bräuchten eigentlich 141 Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher. Momentan haben wir 124, davon sind 119 im Dienst. Das sind zu wenige. Hinzu kommt, dass viele von ihnen sukzessive in den nächsten Jahren altersbedingt ausscheiden. Bis zum Jahr 2040 werden 108 Bedienstete ausgeschieden sein. Dies konnte man aus den Antworten auf die Kleine Anfrage der CDU-Fraktion herauslesen. Diese Anzahl an Bediensteten muss ersetzt werden, und es gibt derzeit niemanden, der das tun könnte.

Nach jahrelangem Bemühen der Verbände und selbstverständlich auch der Opposition aus CDU und Grünen haben wir es geschafft, dem Ministerium endlich wieder Ausbildungsplätze abzuringen. Die Stellen wurden besetzt. Acht werden derzeit ausgebildet.

Allerdings - das ist der Haken an der Geschichte - sind diese acht die letzten, die gefunden werden konnten. Alle Fachleute sagen, dass aus dem Justizdienst keine weiteren Bediensteten gewonnen werden können, um in den nächsten Jahren als Gerichtsvollzieherin bzw. Gerichtsvollzieher tätig zu werden. Die Frage ist: Woher nehmen? Seitens des Ministeriums hörten wir im letzten Ausschuss, dass man Quereinsteiger ausbilden wolle. Das ist gut und richtig, aber das wird nicht reichen.

Wir müssen etwas tun, damit wir wieder ausreichend Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher haben. Die haben wir nicht, und die Frage ist: Warum ist das so? Wir müssen einmal überlegen, was den Beruf Gerichtsvollzieher attraktiv macht. Viel fällt mir ehrlich gesagt nicht ein bzw. es könnte durchaus mehr sein. Momentan fällt das, was wir von unseren Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollziehern verlangen, und das, wofür sie ausgebildet und bezahlt werden, viel zu weit auseinander. Ich weiß nicht, welche Vorstellung Sie im Kopf haben. Dass einer zur Tür hereinkommt, den Kuckuck draufklebt und alles mitnimmt, was nicht niet- und nagelfest ist, gehört längst der Vergangenheit an. Gerichtsvollzieher ist ein moderner, anspruchsvoller Beruf. Spätestens seit im Jahr 2013 die entsprechenden Gesetze in Kraft getreten sind, muss ein Gerichtsvollzieher bzw. eine Gerichtsvollzieherin eine ganze Menge tun. Sie/er muss erstens herausfinden, wo sich die Schuldnerin/der Schuldner aufhält und was er/sie für Vermögen hat. Dazu gehört nicht nur das, was in der Wohnung steht, sondern auch Vermögen auf Konten. Vor allem - das ist der wesentliche Punkt - müssen unsere Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher zu jedem Zeitpunkt eine gütliche Einigung herbeiführen - eine gütliche Einigung mit Menschen - das können Sie sich vorstellen -, die oft am Rande der Verzweiflung sind; oft sind es die Ärmsten der Armen, mit denen verhandelt werden muss. Das erfordert hohe Sozialkompetenz und insofern eine umfassende Ausbildung.
Ein Blick in den Haushaltsentwurf zeigt: Es sollen noch Stellen gestrichen werden.

Das heißt, in Zukunft sollen diese anspruchsvollen Aufgaben auf noch weniger Schultern verteilt werden. Das macht den Beruf nicht besonders attraktiv. Was können wir tun, um diese Kluft zwischen dem, was wir verlangen, und dem, was wir bieten, zu schließen? Es gibt einen, wie wir als Grüne finden, sehr guten Vorschlag der Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher, einen Vorschlag, der uns überzeugt hat und von dem wir auch Sie überzeugen wollen, nämlich den Beruf aufzuwerten, indem wir die Ausbildung verbessern und akademisieren. Damit wären Gerichtsvollzieher besser auf die neuen Anforderungen vorbereitet.

Baden-Württemberg hat es vorgemacht. Seit diesem Jahr gibt es in Baden-Württemberg den bundesweit ersten Studiengang. Dort lernen die Gerichtsvollzieherinnen nicht nur Recht und BWL, sondern sie erwerben auch interkulturelle Kompetenzen und die Fähigkeit, Deeskalationstechniken einzusetzen. Sicherlich kennen Sie das Szenario aus der Zeitung: Ein Gerichtsvollzieher trifft auf Reichsbürger. - Da brauchen Sie als Gerichtsvollzieher nicht nur Deeskalationsstrategien, sondern auch interkulturelle Kompetenzen.

Wir brauchen deshalb dieses Modell aus Baden-Württemberg. Es erhöht die Attraktivität des Berufs und auch die Besoldung. Deswegen haben wir den konkreten praktischer Vorschlag der Gerichtsvollziehen aufgegriffen: Wir möchten die praktische Ausbildung dieses Berufs in Brandenburg belassen und den theoretischen Teil von Baden-Württemberg übernehmen lassen. Schließen wir uns diesem Modell an, auch gern gemeinsam mit Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, denn dort hat man den gleichen Wunsch.

Vielleicht können wir langfristig darüber nachdenken - Brandenburg verfügt über eine eigene Justizakademie -, einen eigenen Studiengang aufbauen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Bankenkrise wurde das Wort „systemrelevant“ geprägt. So ist es auch im Bereich der Justiz. Unsere Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher sind systemrelevant. Kämpfen wir um sie! Wir bitten um Zustimmung zum Vorschlag der Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher bzw. zu unserem Antrag. - Danke sehr.

(Beifall B90/GRÜNE und CDU)

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Zweiter Redebeitrag:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal herzlichen Dank für die gute und noch konzentrierte Debatte so spät abends. Zweitens geht mein Dank insbesondere an die CDU, nicht nur für die Unterstützung, sondern auch für die sachliche Ergänzung. Es waren viele Punkte dabei, die das bereichert haben. Drittens: Zum AfD-Antrag ist alles gesagt worden. Ich frage mich nur immer: Was machen Sie mit dem vielen Geld, das Sie für Referenten ausgeben könnten?

(Allgemeine Heiterkeit)

Herr Stohn hat - ich glaube, unwissentlich - mit dem Vergütungssystem eine Nebelkerze geworfen. Das mit dem Vergütungssystem ist richtig, wir finden das korrekt, und es ist längst überfällig. Was die Kosten angeht, will ich einmal aus der Vorlage zitieren, die wir im letzten Rechtsausschuss hatten: „Dieses System finanziert sich aus den vereinnahmten Gebühren und Auslagen im Wesentlichen selbst.“

Das heißt, die Kosten für den Landeshaushalt sind überschaubar. Herr Ludwig hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir schon starke Partner haben. Insgesamt nehme ich mit: Wir sollten uns vielleicht in einem Jahr Vertreter aus Baden-Württemberg in den Rechtsausschuss einladen und einmal gucken, was die für Erfahrungen gemacht haben. Vielleicht können wir auch mit unseren bisherigen Partnern überlegen, langfristig in Königs Wusterhausen einen Studiengang aufzubauen.

Es gibt noch ein Argument, was mich ziemlich überzeugt hat. Wie gesagt: Unser Anliegen ist, die Lücke zwischen den Bewerbern, die wir brauchen, und denen, die wir haben, zu schließen. Baden-Württemberg hat 34 Studienplätze eingerichtet. In diesem Jahr gab es 340 Bewerberinnen und Bewerber. Das spricht dafür, dass das Modell von Baden-Württemberg sehr attraktiv ist.

Zu guter Letzt: Axel Vogel hat mich gerade auf eine interkulturelle Besonderheit hingewiesen. Liebe Gäste aus Vorarlberg, ich habe gelernt, „Reichsbürger“ bedeutet bei Ihnen etwas anderes als bei uns. Aber das klären wir vielleicht gleich beim Empfang, ich freue mich darauf. - Herzlichen Dank.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt CDU)

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Unser Antrag wurde abgelehnt.