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Benjamin Raschke spricht zur Großen Anfrage der CDU-Fraktion „Die Situation des Justizvollzugs, des Jugendarrests und der Sicherungsverwahrung in Brandenburg“

Herr Präsident! Sehr geehrte Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie steht es um den Justizvollzug? - Das ist eine wichtige Frage; denn seit Jahrtausenden, wahrscheinlich seit Anbeginn der Menschheit, sperren wir Menschen weg, die Unrecht getan haben, aus Angst, dass sie es wieder tun, oder als Strafe. Es gibt in den Gesellschaften eine ganze Bandbreite, wie man das tun kann: auf der einen Seite die dunklen, modrigen Folterkeller oder Hungertürme, auf der anderen Seite - Frau Mächtig hat es gerade angedeutet - die Überlegung, Gefängnisse komplett abzu-schaffen oder zumindest moderne, liberale Justizvollzugsanstalten zu schaffen, die auf Resozialisierung setzen. Das ist auch die ungefähre Linie in diesem Hause.

An der Frage, wie wir mit unseren Straftätern umgehen, bemisst sich auch die Reife unserer Gesellschaft. Deswegen ist die von der CDU aufgeworfene Frage, wie es im Justizvollzug aussieht, eine gute Frage. Und liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie die Große Anfrage und die vielen Seiten der Antwort nicht gelesen haben und wenn Sie das Glück oder Pech hatten, noch nie in einer Justizvollzugsanstalt gewesen zu sein, kann ich Sie beruhigen: Die Zeiten von dunklen Folterkellern und Hungertürmen sind in Brandenburg lange vorbei, auch wenn sich einige Fraktionen das vielleicht noch wünschen würden.

(Bretz [CDU]: Eine! - Unmut bei derAfD)

- Eine Fraktion, sehr gut.

Aber wir sind, und das ist in der Debatte deutlich geworden, noch lange nicht am anderen Ende des Spektrums angekommen, und das, obwohl sich die Mehrheit dieses Haus das wünscht. Obwohl es erklärter Wille dieses Parlaments ist, klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander.
Herr Eichelbaum hat es schon gesagt und uns ein paar Schlagzeilen präsentiert, die verdeutlichen, was in unseren Justizvollzugsanstalten so los ist. Ich will noch einige Dinge ergänzen.

Zum Thema Wohngruppen: Wir haben den Anspruch, dass unsere Gefangenen in Wohngruppen statt in Einzelhaft untergebracht werden. Wir haben uns das gerade - Herr Stohn hat es berichtet - in Luckau angeschaut. Dort gibt es eine Wohngruppe für Süchtige. Wir hatten heute Morgen passend dazu das Thema Crystal Meth. Einer der dort Inhaftierten sagte, die Unterbringung in Wohngruppen sei das Beste, was ihm passieren konnte, um der Sucht zu entkommen. - Diesen wichtigen Anspruch erfüllen wir momentan nicht.

Genauso sieht es bei den Vollzugs- und Eingliederungsplänen aus, also bei der Frage, wie unsere Gefangenen behandelt werden. Wir haben da einen hohen Anspruch, den wir - der Kollege hat es eben gesagt - nicht einhalten. In 40 % der Fälle warten die Gefangenen monatelang darauf, bis klar ist, was in den Justizvollzugsanstalten mit Ihnen geschieht. Sie können sich vorstellen: Das trägt sicherlich kaum zur Reso-zialisierung bei.

Eine andere Sache betrifft die Forderung nach mehr Besuchszeiten oder anschlie-ßender Betreuung. Auch das wurde gerade angedeutet. Wir wollen, dass die Gefangenen, wenn sie entlassen werden, nicht in ein Loch fallen, sondern eine Chance haben, wieder in unsere Gesellschaft aufgenommen zu werden.
All das erfüllen wir nicht, und die Frage ist: Woran liegt das? Die Antwort ist schon deutlich geworden: Es liegt nicht am baulichen Zustand - da hat das Land viel investiert; da ist viel gemacht worden -‚ es liegt auch nicht am vorhandenen Personal in dem Sinne, dass es keinen Willen zeigt. Was wir im Rechtsausschuss gesehen und besprochen haben, zeigt: Das Personal möchte gern, insbesondere das jüngere Personal ist sehr motiviert, den Gedanken eines modernen Justizvollzugs aufzugreifen. Es fehlt Personal; es fehlt vor allem junges Personal. Und da hilft es auch nicht, Frau Mächtig, darauf abzustellen, dass wir jetzt weniger Gefangene haben. Natürlich haben wir weniger Gefangene, aber die Zahl der Aufgaben, die unsere Justizvollzugsbediensteten inzwischen erfüllen müssen, ist derart gestiegen, dass das wieder „aufgefressen' wird.

Noch einmal zum Thema Sucht: Wie viele Süchtige haben wir, die ganz anders behandelt werden müssen als noch vor vielen Jahren? Oder ein anderes Beispiel - auch das ist ein Anspruch, den wir uns verordnet haben -: die elektronischen Vollzugsakten. IT zieht in unsere Justizvollzugsanstalten ein. Auch das muss gehandhabt werden.

Es wird also wieder aufgefressen, was an Aufgaben wegfällt, weil es weniger Gefangene gibt. Und über das Thema Jugendvollzug brauchen wir gar nicht reden; das mit Berlin ist eine ziemliche Katastrophe. Aber das ist heute nicht Thema.

Die Frage ist: Wie kommen wir unserem Anspruch, unserem liberalen Traum, näher, wenn wir momentan so weit weg sind? Es sind wie gesagt nicht die baulichen Aspekte; da reden wir über Kleinigkeiten wie Multimediaboxen - darüber streiten wir uns gern mit der CDU. Nein, es geht darum, dass wir in Zukunft Geld, Zeit und Mühe in das Personal investieren müssen, und zwar bezogen auf drei Dinge: Erstens brauchen wir trotz aller Sparbemühungen an einigen Stellen definitiv mehr Personal. Zweitens - das ist noch viel wichtiger -: Wir müssen mit dem vorhandenen Personal besser umgehen. Wenn man sich den Krankenstand anschaut, sieht man: Gesund-heitsmanagement kann sich nicht darauf beschränken, Rückenkurse anzubieten. Da geht es insbesondere - das hat Frau Nonnemacher auch in der Polizeidebatte immer wieder deutlich gemacht - um Führungskultur, um Anerkennungskultur und auch um Beförderungen. Wenn man sich anschaut, wie wenig Mitarbeiter befördert wurden, ist klar, dass die Motivation nicht besonders groß ist.

Letzter Punkt: Was müssen wir noch tun? Wir müssen mehr im Bereich Ausbildung tun. Frau Mächtig hat es schon angedeutet: Wir brauchen junges Personal, und zwar nicht nur, weil die Älteren ausscheiden, sondern auch, weil das junge Personal wie gesagt unseren Ansprüchen gegenüber viel aufgeschlossener ist.

Alles in allem ist das viel Stoff für die Haushaltsdebatte. Wir danken der CDU dafür, dass sie diese gute Große Anfrage ausgearbeitet hat, und auch dem Ministerium, dass sie sie so ausführlich beantwortet hat. Wir freuen uns auf die Haushaltsdebatte. -Vielen Dank!

(Beifall B90/GRÜNE und CDU)