- Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Fraktion, der ich seit kurzem angehöre, bringt hier einen Antrag ein. Ich gehe davon aus, dass Sie ihn gelesen haben – „Volksbegehren Nachtflug umsetzen"! Allerdings muss man, wenn man diesen Antrag behandeln und sich entscheiden will, noch einmal die Geschichte Revue passieren lassen. Wie war die Geschichte?
Seit der endgültigen Entscheidung für den Standort Schönefeld als Singleairport für die Region Berlin-Brandenburg – da kann man 2004 oder 2006 ansetzen, je nachdem, ob man den Zeitpunkt des Planfeststellungsbeschlusses oder den der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes nimmt – war klar, dass die Bürgerinnen und Bürger, die Anwohner diese politische Fehlentscheidung würden ausbaden müssen. Gebetsmühlenartig wurde von verantwortlichen Politikern, aber auch Leuten aus Verwaltung und Rechtsprechung betont, dass diese Kritik unberechtigt sei, dass man ja alles tue, die Bürgerinnen und Bürger zu schützen, und dass alles überflüssig und überbordend sei.
Tatsache ist, dass die Bürger und auch die Anliegergemeinden jahrelang belogen und aktiv getäuscht wurden, getäuscht über das wahre Ausmaß der Lärmbelastung, über die Flugrouten und darüber, wie man Grenzwerte ansetzt. Aber Lügen haben kurze Beine. Seit 2010 brach sich die Wahrheit Bahn. Die Flugrouten, die Lärmbelastung und die rechtswidrige Schallschutzpraxis der Landesregierung und der Flughafengesellschaft wurden offenbar. Aber noch zu dieser Zeit wurde so weitergemacht wie zuvor. Es wurde mit Unwahrheiten gearbeitet, es wurde getrickst, getäuscht. Wer das nicht wahrhaben will, dem sage ich nur: Nehmen Sie die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zur Kenntnis, das in zahlreichen Urteilen alle diese Dinge aufgearbeitet und klar entschieden hat, und zwar so, wie die Betroffenen es immer wieder eingefordert haben, wie es leider von unserer Landesregierung, auch von diesem Landtag, nicht goutiert wurde – ob es nun der Schallschutz ist oder Flugrouten oder viele andere Dinge sind.
Aber die Betroffenen, die Bürgerinnen und Bürger, ließen sich nicht entmutigen und starteten im Jahre 2011 eine Volksinitiative. Der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch daran. Diese wurde dann am 16. Dezember 2011 mit großer Mehrheit sang- und klanglos zurückgewiesen. Ich erinnere mich noch sehr gut daran – auch an die Äußerungen von Herrn Baaske und anderen. Da dachte man: Na ja, die haben wir jetzt abgelehnt, Ruhe im Karton! – Aber so ist es nicht gewesen. Die Ablehnung der Volksinitiative ohne Wenn und Aber machte nicht nur mich – auch wegen der Gefühllosigkeit –, sondern auch viele andere sprach- und fassungslos. Aber daraus generierte sich ein Antrieb, und die Bürger ließen sich nicht beirren und nahmen diese Kampfansage an. Sie gingen dann von der Volksinitiative zum Volksbegehren über. Noch im September, Oktober, November 2012 – auch da erinnere ich mich an Äußerungen und Einlassungen verschiedenster Leute zum Volksbegehren in abfälliger Art und Weise – war man sich sicher: Das läuft falsch, das kommt nicht zum Tragen.
Plötzlich, am 6. Dezember 2012, als die Information durchsickerte, dass 106 000 Leute unterschrieben haben, herrschte große Fassungslosigkeit. Da fragte man sich: Ups, wie gehen wir jetzt damit um? Dann plötzlich die Richtungswende. Ich meine, man freut sich ja eigentlich, wenn etwas, wofür man gekämpft hat, aufgenommen wird. Aber wenn man – sowohl die betroffenen Bürger als auch ihre Vertreterinnen und Vertreter – zehn Jahre lang die Erfahrung gesammelt hat, dass man keinerlei Verständnis findet, ist man skeptisch: Ist das ehrlich gemeint? Was kommt dabei heraus?
Ich darf Ihnen noch einmal den Wortlaut des Volksbegehrens in aller Kürze nahebringen. Darin steht, dass der Landesplanungsvertrag geändert werden soll, dass im Gesamtraum Berlin-Brandenburg die Luftverkehre so organisiert werden sollen, dass ein Nachtflug nicht notwendig ist, das heißt Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr, um es einmal verkürzt und plastisch auf den Punkt zu bringen. Zweitens, dass der nationale und internationale Luftverkehr so organisiert werden soll, dass nicht auf einen Singlestandort reduziert werden soll. Und drittens, dass dieser Gesetzestext den Text in Satz 1 und Satz 2 des § 19 des Landesentwicklungsprogramms ersetzt. Das war der Wortlaut.
Am 23. Januar 2013 beschließt dieser Landtag, die Sache an den Hauptausschuss zu überweisen. Zur großen Überraschung vieler beschließt dieser Landtag am 27. Februar 2013 die Annahme dieses Volksentscheids. Der Antrag lautete, das Volksbegehren anzunehmen, und zwar ohne Wenn und Aber – die drei Punkte, die ich gerade vorgelesen habe.
Nach exakt sieben Monaten fragt man sich nun: Was ist passiert? Meine Damen und Herren, Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts. Gesundheit ist so ziemlich das Einzige, was man nicht im Laden kaufen kann. Die allermeisten Dinge können Sie für Geld erwerben, aber Gesundheit nicht. Viele Leute sind ziemlich genervt und werden affig – ich persönlich auch –, wenn über die Gesundheit von Menschen verfügt wird. Das Grundgesetz und unsere Landesverfassung schützen die Gesundheit der Menschen.
Was ist nach sieben Monaten passiert? Wir hören im Sonderausschuss BER mal wieder: Wir verhandeln, wir tun und machen, aber wir kommen nicht voran. – Dieser Landtag hat beschlossen, dass das Landesentwicklungsprogramm geändert werden soll, hat sich das Volksbegehren, die Unterschriften von 106 000 Bürgerinnen und Bürgern – und es hängen ja noch alle Nichtwahlberechtigten daran, denn die Leute haben Kinder – zu eigen gemacht. Das heißt, wir reden von mehr als 106 000 Bürgerinnen und Bürgern im Land Brandenburg. Ich erinnere mich deutlich an eine Zeit – sie liegt schon lange zurück –, in der immer betont wurde: Das Wichtigste in diesem Land sind die Menschen. – Das waren gute Zeiten. Heute habe ich dieses Gefühl nicht mehr. Denn wenn das Wichtigste in diesem Land die Menschen wären, dann wären es auch die Menschen rund um diesen Flughafen. Dann würde man dort nicht um Geld feilschen und sagen: Wir können dieses und jenes nicht, weil wir angeblich oder tatsächlich nicht ausreichend Geld haben.
Wir, dieser Landtag Brandenburg, haben am 27. Februar dieses Volksbegehren mit großer Mehrheit angenommen, und damit haben wir uns diesen Vorgang zu eigen gemacht. Wenn wir jetzt rekurrieren und fragen, wo wir jetzt sind, müssen wir feststellen: Wir stehen mit leeren Händen da. Nach sieben Monaten ist nichts Reales passiert. Mit der Annahme des Volksbegehrens hat man ein Versprechen abgegeben.
Das musste man aber vorher wissen. Wenn man ein Versprechen abgibt, muss man es auch halten wollen. Johannes Rau – ein Mensch, der in diesem Land sehr geschätzt wird, von mir persönlich auch – hat einmal gesagt: Ein gebrochenes Versprechen ist ein gesprochenes Verbrechen. – Diesem Satz ist nichts hinzuzufügen und nichts wegzunehmen. Was wir einfordern, ist, dass jetzt der Test kommt: Wie ernst meine ich es mit dem Landtagsbeschluss? Wenn Berlin nicht mitmacht – gut, das ist ein freies Land. Berlin muss nicht mitmachen. Aber wir als Landtag Brandenburg haben ein Versprechen abgegeben – ein Versprechen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die nicht an einem Wahltag, sondern in der Woche nach Feierabend in die Ämter gegangen sind und das Volksbegehren unterschrieben haben. Das ist keine so kleine Hürde, wie auf der Straße eine Unterschrift zu leisten. Wir haben den Leuten versprochen, das, was sie bewegt, ernst zu nehmen und umzusetzen. Mit diesem Antrag erwarten und verlangen wir ein Bekenntnis dazu. Wenn Berlin nicht mitmachen will, gut, dann wird der Landesplanungsstaatsvertrag gekündigt. Das wird natürlich nicht sofort Auswirkungen auf das Flugregime und die Planungen aus diesem Landesplanungsstaatsvertrag haben. Aus diesem Vertrag leitet sich das Recht zu nächtlichen Überflügen ab. Wenn wir das wollen, belassen wir alles so. Wenn wir aber sagen: Wir haben das Volksbegehren angenommen und uns die Meinung der Bürgerinnen und Bürger zu eigen gemacht, dann müssen wir auch den politischen Willen haben, es zu ändern.
Das haben Sie im Übrigen auch beschlossen. Sie haben beschlossen, dass der Landesplanungsstaatsvertrag und das Landesentwicklungsprogramm geändert werden. Das war keine Frage des Verhandelns, sondern die klare Aussage: Es wird geändert.
Meine Damen und Herren! Wenn Berlin bei diesen Verhandlungen nicht mitgehen will – der Landesplanungsstaatsvertrag kann leider nicht vom Landtag, sondern nur von der Regierung gekündigt werden –, dann fordern wir unsere Landesregierung auf und sagen: Ihr habt eine Frist bis zum 15. Dezember 2013, sagt den Berlinern, dass wir es ernst meinen, dass wir Fortschritte beim Nachtflug wollen, dass wir uns nicht abspeisen lassen und dass sie sich täuschen, wenn sie denken, ein Vetorecht ausüben zu können, denn dann kündigen wir den Vertrag. Das können wir nämlich. Was passiert dann? Was ist die letzte Konsequenz daraus?
In drei Jahren haben wir freie Bahn, gestalten bis dahin unser Landesentwicklungsprogramm neu und anders und setzen die Richtlinien so, wie der Landtag Brandenburg als Vertretung als brandenburgischen Volkes es will.
Deswegen fordere ich Sie auf: Stimmen Sie dem Antrag zu. Er kostet kein Geld – viele andere Anträge, die wir hier hatten, kosten Geld –, aber ein wenig politischen Willen, Vertrauen und Ehrlichkeit.
Meine Damen und Herren! Leider ist über den Antrag am 27. Februar 2013 nicht namentlich abgestimmt worden, was ich sehr bedauere, denn dann hätte man festmachen können, wer sich wofür entscheidet. Zum vorliegenden Antrag haben wir namentliche Abstimmung beantragt, um genau zu dokumentieren, wer sich wohin schlägt.