Zum Inhalt springen

Hinweis: Diese Website wird nicht mehr aktualisiert und dient als Archiv. Weitere Informationen →

Rede im Landtag: Landesweite Koordinierungsstelle zur Umsetzung der Istanbul-Konvention

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
Kolleginnen und Kollegen,
liebe Mitmenschen in Brandenburg,

es gibt zwei wichtige Klarheiten, an denen nicht zu rütteln ist.

  1. Die Istanbul-Konvention ist von Deutschland 2017 ratifiziert worden und hat damit den Status eines Bundesgesetzes. Ist also ohne wenn und aber umzusetzen.
  2. Der Landtagsbeschluss vom 18.11.2021 erwartet, dass von der Landesregierung erklärt wird, wie die geforderte landesweite Koordinierung realisiert werden kann. Denn der Prüfbericht sagt ganz eindeutig, dass eine solche Koordinierung notwendig ist.

Es ist der gesamten Diktion des Berichts des MSGIV eindeutig zu entnehmen, dass im Ministerium überhaupt kein Zweifel daran besteht, wie notwendig, wichtig und sinnvoll eine derartige Korrdinierungsstelle wäre. Auch die Aufgaben, die sie ausfüllen sollte, sind eindeutig definiert.

Und nun? Möchte ich zunächst eine junge Frau zu Wort kommen lassen, die ich im Vorfeld gefragt habe, was ihr zum Thema Gewalt gegen Frauen und Kinder einfällt. Was sie sagen würde. Aufgrund ihrer persönlichen Geschichte weiß sie dazu viel zu sagen. Heute ist sie 19 Jahre alt, vor etwa 9 Jahren flüchtete sie mit ihrer Familie aus Syrien nach Deutschland, die Gründe für diese Flucht sind uns allen hinreichend bekannt. Ich erlebe sie als ausgesprochen zielstrebige, sehr reflektierte Frau, die ihren Weg hier bei uns gefunden hat. Auf meine Frage, warum sie sich so sehr mit dem Thema Gewalt gegen Frauen und Kinder auseinandersetzt, entspann sich ein ausführliches Gespräch zwischen uns, ich gebe hier nur Teile in aller Kürze wieder: Sie sagte, sie komme aus einem Land, in dem sie schon sehr früh erlebte, dass Mädchen und Frauen nicht mal ähnliche Chancen im Leben haben, wie Jungen und Männer. Das fand sie schon als Kind ganz und gar ungerecht. Nicht selten wird das, was Mädchen zu tun, vor allem aber was sie zu lassen hätten durchgesetzt in den Familien.

Dann kam sie nach Europa, nach Deutschland. Nicht freiwillig zwar, aber doch mit einer großen Erwartung, hier alles machen zu können. Denn hier, in diesem europäischen Land wird das mit fehlender Gleichberechtigung wohl kein Thema mehr sein. Und Gewalt gegen Frauen und Mädchen, das wird doch wohl hier ganz sicher Vergangenheit sein. Sie war sicher, dass deutsche Männer ihre Frauen und Kinder nicht schlagen.

Sie wurde erwachsen, hielt Konflikte in der Familie aus, und erlebte, dass es in ihrer neuen Heimat doch noch immer erschütternd viel Gewalt gibt.

Ihre grundsätzliche Erkenntnis: offenbar ist es noch ein sehr weiter Weg weg von struktureller Benachteiligung von Mädchen und Frauen. Weltweit. Auch in Deutschland. Und sie, so sagte die junge Frau, will sich damit nie und nirgends abfinden.

Ein paar Sätze, die sie mir aufgeschrieben hat, zitiere ich an dieser Stelle: Zitat:

Vor allem auf dem Land sind Präventions- und Aufklärungsstrukturen viel zu wenig vorhanden. Frauen wissen oftmals nicht, an wen sie sich wenden können. Zitat Ende.

Zu diesem Punkt steht im vorliegenden Prüfbericht: Gerade für Brandenburg als Flächenland empfielt sich eine landesweite Koordinierung. Zitat Ende.

Deckungsgleiche Erkenntnis, würde ich sagen.

Zitat aus den Sätzen der jungen Frau: Seitens der Familie, des Umfeldes oder des Partners sind die betroffenen Frauen oft mit Manipulation konfrontiert. Sie verlieren den Glauben, den Mut und die Selbstsicherheit, ihre Stimme zu erheben. Das ist aber nicht Schuld der Frauen, sondern das System läßt sie im Stich. Es gibt ein strukturelles Problem. Zitat Ende.

Der Prüfbericht nimmt anerkennend aus dem Landtagsbeschluss die folgende Feststellung auf, dass die mangelnde Gleichstellung von Frauen als strukturelle Ursachen von geschlechtsspezifischer Gewalt zu verstehen und zu bekämpfen sind.

Und wieder: deckungsgleich in der Erkenntnis.

Dem gesamten Prüfbericht ist sehr deutlich anzumerken, dass es völlig unstrittig ist aus Sicht des Ministeriums, dass die Koordinierungsstelle kommen muss. Denn, und noch ein Zitat aus den Gedanken der jungen Frau: die Frauen fürchten um ihr Leben, um ihre Sicherheit und oftmals auch um die Sicherheit ihrer Kinder. Sie werden dem gewalttätigen Umfeld überlassen. Zitat Ende.

Nun mag manch einem diese Formulierung zu drastisch erscheinen. Aber so klar und vielleicht auch absolut formuliert die junge Frau. Sie hat Gründe.

Und sie hat Recht.

Und weil das so ist und weil die Ergebnisse des Prüfberichts so eindeutig sind, steht für mich völlig außer Frage, dass die Koordinierungsstelle kommen muss.

Und was, Damen und Herren, lese ich gleich vorn auf der ersten Seite des uns vorgelegten Berichts?

Den beliebtesten Satz ever: Die Umsetzung steht unter dem Vorbehalt der Verfügbarkeit von entsprechenden Haushaltsmitteln.

Aha. Ja, das ist kompliziert mit den Haushalten. Die Debatten für die kommenden Jahre stehen uns allen noch bevor. Und es wird ganz bestimmt ausgesprochen schwierig. Aber nichts ist unmöglich.

Vielleicht sind wir dann das nächste Bundesland, das eine Korrdinierungsstelle eingerichtet haben wird.

Das sind wir den Frauen und Kindern schuldig. Und ich ganz speziell der jungen Frau, aus deren Notizen ich hier zitiert habe.