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Rede im Landtag: Stärkung lokale Demokratie

- Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Abgeordnete, liebe Gäste,

was bringt es für das Land Brandenburg, wenn wir aktiv an der Arbeit zwischenstaatlicher Organisationen mitwirken? Welchen Nutzen haben wir davon? Machen wir die Welt mit unserem Engagement besser?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben mich zum Vertreter des Landtags im Kongress der Gemein­den und Regionen Europas gewählt und ich möchte mich anlässlich des vorliegenden Antrags der Koalitionsfraktionen auch diesen Fragen ein wenig nähern.

Am 5. Mai 1949 wurde von zehn nord- und westeuropäischen Staaten der Europarat gegründet, Deutschland trat 1950 zunächst als assoziiertes Mitglied und im Mai 1951 als Vollmitglied bei. Alle Staaten Westeuropas und nach dem Zerfall der Sowjetunion auch fast alle Staaten Osteuropas traten dem Europarat bei. Allein Belarus war nie Mitglied des Europarats, da die Androhung und Anwendung der Todesstrafe der Aufnahme in den Europarat entgegenstehen.

Der Europarat hat die Aufgabe, einen engeren Zusammenschluss seiner Mitglieder zu verwirklichen, und fördert dabei insbesondere Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Die Russische Föderation ist am 16. März dieses Jahres wegen der eklatanten Verletzung des Völkerrechts durch den Angriffskrieg auf die Ukraine aus dem Europarat ausgeschlossen worden, der damit nur noch 46 Mitgliedsstaaten umfasst.

Bereits im Januar 1957 hielt der Europarat eine Konferenz mit 124 kommunal gewählten Vertreterinnen und Vertretern von zunächst 13 Mitgliedsstaaten ab, in der sich die Teilnehmenden mit den Fragen von lokaler Demokratie und Rechtstaatlichkeit beschäf­tigten. In der Folge konnten diese Konferenzen verstetigt werden.

In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts begann dann die Arbeit an einem verbindlichen Regularium für lokale Demokratie, der späteren „Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung“, die nicht nur verbindliche Mindestanforderungen festschrieb, son­dern auch eine regelmäßige Überwachung der Einhaltung fest­legte, das sogenannte Monitoring.

Danach sollen alle Mitgliedsstaaten

– und das meint wirklich alle, nicht nur die, denen man misstraut! -

…alle Mitgliedsstaaten alle fünf Jahre besucht werden und ein Bericht über die Einhaltung der Charta verfasst und verabschiedet werden.

Den Kongress der Gemeinden und Regionen Europas als eigen­ständiges Gremium in der Organisation des Europarats gibt es seit 1994. Seine Aufgabe war unter anderem, die ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes, die sehr zentralistisch organisiert waren und nun dem Europarat beitraten, beim Aufbau einer demokratischen und rechtsstaatlichen kommunalen Verwaltung zu unterstützen.

2009 schließlich beschloss der Europarat das „Zusatzprotokoll zur Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung über das Recht zur Beteiligung an den Angelegenheiten der kommunalen Verwaltung“.

Während die Charta selbst zwar Mindeststandards für kommunale Wahlen festlegt, gehört zu lokaler Demokratie aber doch mehr, nämlich

  • Beteiligungsprozesse, Referenden und Petitionen
  • Zugang zu amtlichen Dokumenten
  • Maßnahmen zur Unterstützung benachteiligter Bevölkerungsgruppen
  • Beschwerdemöglichkeiten und die Möglichkeit zur Einreichung von Vorschlägen
  • und dafür die Nutzung moderner Informationstechnologien.

Diese Rechte sind in dem Zusatzprotokoll niedergelegt, welches nach den ersten acht Ratifikationen am 1. Juni 2012 in Kraft trat, jedoch bis heute nicht von Deutschland ratifiziert wurde. Die Ratifikation scheiterte damals an den Bundesländern Bayern und Niedersachsen.

10 Jahre danach und anlässlich des Vorliegens des Monitoring-Berichts über Deutschland hat sich die deutsche Delegation beim Kongress vorgenommen, den Ratifikations­prozess neu anzustoßen und zum Erfolg zu führen. Inzwischen konn­ten wir auch hoffnungs­volle Signale aus Bayern und Niedersachsen vernehmen.

Wenn wir heute den vorliegenden Antrag annehmen, sind wir der erste deutsche Landtag, der sich die Forderung zur Annahme des Zusatzprotokolls zu eigen macht. Andere Bundesländer schauen schon auf uns und werden uns hoffentlich folgen.

Der Kongress führt auch in seinen Mitgliedsländern Beobachtungs­missionen bei kommunalen Wahlen durch. So hatte ich die Ehre, Anfang April an einer Mission nach Serbien teilzunehmen und die kommunalen Wahlen in Belgrad zu beobachten. Auch diese Missio­nen stärken die europäische Demokratie.

Ende Juni trifft sich der Monitoring-Ausschuss des Kongresses zu seiner nächsten Sitzung in Istanbul. Istanbuls Bürgermeister Ekrem İmamoğlu wurde 2019 unter turbulenten Umständen ins Amt gewählt.

Die AKP ließ die Wahl des Oppositionspolitikers zunächst annullieren, die Wiederholungswahl bestätigte jedoch überzeugend den Sieg İmamoğlus. Der Kongress der Gemeinden und Regionen Europas war die einzige internationale Organisation, die durch die Entsendung einer Wahlbeobachtungsmission die Ordnungsmäßigkeit der Wahl sicherstellte.

Meine Damen und Herren, ich hatte ja die Frage gestellt, was bringt uns das in Brandenburg?

Gegenfrage: Meinen Sie nicht, dass Wohlstand und Sicherheit in Brandenburg davon abhängen, dass in anderen Staaten Europas Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit herrschen?

Ich meine ja.

Oder ist die Welt um uns herum für Brandenburg egal?

In der Plenarsitzung des Kongresses im März hätten wir eigentlich den Monitoring-Bericht über die Ukraine beschließen sollen. Er zeigte ein typisches Bild einer jungen Demokratie, eines Staates, der kommu­nale Selbstverwaltung erst lernt. Aber auch eines Staates, der bereit ist, dazuzulernen und die Hinweise der Monitoring-Berichte anzunehmen.

Dass Staaten die Monitoring-Berichte ernsthaft anschauen und Empfeh­lungen umsetzen, ist tatsächlich kein Einzelfall. Und hier geht es nicht nur um die jungen Demokratien Osteuropas. So hat z.B. Norwegen jüngst seine Verfassung geändert, um die kommunale Selbstverwaltung dort zu verankern.

Deshalb tun auch wir gut daran, uns den Monitoring-Bericht über Deutschland sorgsam anzuschauen. Auch wir in Brandenburg sollten schauen, was für uns relevant ist und gegebenenfalls Korrekturen erfordert.

Meine Damen und Herren, in der Zeit vom 26. bis 28. Mai 2021 hat ein remote Monitoring Meeting in Deutschland stattgefunden, während dessen sich die Delegation unter der Leitung der Berichterstatter Jani Kokko aus Finnland und Konstantinos Koukas aus Griechenland einen Eindruck von der kommunalen Demokratie in Deutschland verschaffen konnte.

Der Monitoring-Bericht über Deutschland ist überaus positiv.

Die Autonomie kommunaler Selbstverwaltung und insbesondere die Rechtsstaatsgarantie werden dabei als beispielgebend hervorge­hoben.

Jedoch spricht der Bericht auch von teilweise nicht angemessener Finanzausstattung von Kommunen, zum Beispiel wo Städte Aufgaben für ihr Umland übernehmen. Themen wie diese sind ja ständiger Gegenstand der Gespräche zum Finanzausgleichsgesetz in Branden­burg, die ja auch aktuell mit der kommunalen Familie stattfinden.

Daher soll die Landesregierung prüfen, inwieweit die beschriebenen Probleme auf Brandenburg zutreffen, und für eine bedarfsgerechtere Finanzierung der Kommunen sorgen, wie es auch schon der Koali­tions­vertrag formuliert.

Schließlich fehlen den kommunalen Spitzenverbänden auf Bundes­ebene die formalen Anhörungsrechte, die sie in Brandenburg auf Landesebene durch unsere Verfassung bereits haben. Hier wollen wir den Bund auffordern, entsprechende Rechte auch im Bund zu ver­ankern.

Meine Damen und Herren,

ich hatte ja die Frage gestellt: was hat Brandenburg davon?

Ich meine, Brandenburg profitiert nicht nur von mehr Demokratie europaweit, sondern auch durch den Austausch von best practices im Rahmen des Kongresses und ganz konkret durch die Hinweise aus dem Monitoring, die wir zur Kenntnis nehmen und entsprechend würdigen sollten.

Dies ist Inhalt des vorliegenden Antrags, um dessen Zustimmung ich Sie bitte.

Liebe Linke, ich freue mich, dass Sie an unserem Antrag inhaltlich nichts auszusetzen und auch nichts hinzuzufügen haben. Super!

Anders lässt es sich nicht erklären, dass Ihr Änderungsantrag nun lediglich die Worte „im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel“ streichen will – die übrigens in jedem beschlossenen Antrag stehen, und die auch gelten würden, wenn sie nicht drinstünden. Schließlich darf die Regierung nur mit dem Geld arbeiten, das wir als Haushaltsgesetz­geber ihr geben. Solche Änderungsanträge sind es nicht wert, mehr als eine halbe Minute Redezeit darauf zu verwenden. Wir werden ihn ablehnen.

Vielen Dank.

Weiterführende Informationen

Rede zu: Antrag "Lokale Demokratie stärken, KGRE-Monitoring-Bericht würdigen" (TOP 4 der 68. Plenarsitzung)