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Marie Luise von Halem spricht zur Großen Anfrage „Brandenburg und die Staaten der ehemaligen Sowjetunion“

- Es gilt das gesprochene Wort! -

Anrede!

Auch wir haben uns etwas gewundert über diese Große Anfrage der FDP und über die Intention, die dahinter steht. Wir sind ja jetzt in der Debatte „jeder pickt sich das raus, was er selbst interessant findet"; das ist vielleicht auch ganz gut so.

Auch uns sind ein paar Details aufgefallen. Zunächst einmal die Wirtschaftskontakte, die ja im Mittelpunkt dieser Anfrage stehen: Diese sind so vielfältig wie unstrukturiert. Das liegt aber natürlich daran, dass die Wirtschaftsakteure keiner Rechenschaftspflicht unterliegen. Das heißt, Evaluationen sind schwierig. Das ist nun einmal so. Die Landesregierung unterliegt zwar einer Rechenschaftspflicht, und man könnte sich als Parlamentarier/in jetzt versucht fühlen, mehr Strukturen einzufordern. Aber vielleicht ist es auch genau richtig, sporadisch dort zu unterstützen, wo es ein Interesse und einen Bedarf gibt und sich nicht davon abhalten zu lassen, dass Evaluationen in diesem Bereich schwierig sind.

Immerhin sind die GUS-Nachfolgestaaten mit einem Anteil von 39% an der Gesamteinfuhr Brandenburgs größter Importpartner. Wie das kommt? 99% des Imports sind Erdöl und Erdgas. 2005 wurde importiert im Wert von knapp 4 Milliarden Euro, 2012 sogar schon 7,4 Milliarden Euro. Das bedeutet aber auch: Ohne Öl und Gas bleibt sehr wenig übrig.

Im Bereich Bildung und Jugendaustausch fällt auf, dass sich die Kontakte auf das Baltikum, Weißrussland, die Ukraine und Russland beschränken. Die anderen GUS-Nachfolgestaaten verbleiben ein ziemlich unbeschriebenes Blatt. Ziemlich erschreckend finde ich dabei, wie drastisch die Zahl der Angebote von Russischunterricht nach der EU-Osterweiterung in Brandenburg zurückgegangen ist. Im Schuljahr 2005/06 gab es noch 275 Schulen, in denen Russisch als zweite oder dritte Fremdsprache unterrichtet wurde, 2012/13 sind es dagegen nur noch 154 Schulen. Andere Sprachen aus den GUS-Nachfolgestaaten werden sowieso nicht unterrichtet, nur Russisch. Ich gehöre durchaus zu denjenigen, die die Überzeugung vertreten, dass nach den jahrhundertelangen Kriegen innerhalb Europas die deutsch-französischen Jugendaustausche und Sprachbegegnungen, wie sie in Westdeutschland nach dem zweiten Weltkrieg gepflegt wurden, einen hervorragenden Beitrag zu Völkerverständigung und friedlichem Zusammenleben in Europa geleistet haben. Aber seit der Wende und der EU-Osterweiterung mutet es aus meiner Sicht schon etwas anachronistisch an, wie Brandenburger Schulkinder nun alle Französisch und Spanisch lernen, mit Begeisterung in diese Länder fahren und den Osten Europas gar nicht wahrnehmen. Ganz klar: Das liegt daran, dass man, wenn man nach Westen schaut, hinten keine Augen hat.

Ich denke, das sollte tatsächlich ein Ansporn sein, in den nächsten Jahren eine ausgewogenere Handhabe zu erreichen. Davon können nicht nur unsere wirtschaftlichen Zukunftsperspektiven profitieren, sondern – das hat Kollegin Kaiser gerade schon sehr richtig gesagt - es geht um sehr viel mehr Dinge als nur wirtschaftliche Verwertungsinteressen.

Insgesamt ergibt sich ein wenig der Eindruck, die ganzen Beziehungen seien sehr zufallsgesteuert und an die Vorlieben der jeweiligen Akteure geknüpft, insbesondere an den bis zur Ausgabe der Antwort der Landesregierung noch amtierenden Ministerpräsident, von dem man angesichts seiner Reisetätigkeit manchmal den Eindruck haben konnte, sein eigentliches Karriereziel sei der Posten des UN-Sonderbeauftragten für die Ostblock-Nachfolgestaaten. Das wird an manchen Fragen, zum Beispiel in Bezug auf Belarus, deutlich, wo der Ministerpräsident, wie es zu Frage 6 heißt, immer wieder Anlass gesehen habe, auf europäische Standards hinzuweisen, beispielsweise in den Bereichen demokratische Wahlen, Entwicklung der Zivilgesellschaft, Umgang mit Gefangenen oder freie Jugendbegegnungen.

Das ist überhaupt eine der ganz wenigen Stellen in dieser Großen Anfrage, bei der auf die Lage der Menschenrechte Bezug genommen wird. Eines wird ganz klar: Eine kritische Positionierung und die Notwendigkeit, in all den erwähnten Kontakten die Menschenrechtssituation immer wieder in Blick zu nehmen, fehlen völlig – sowohl in den Fragen der FDP als auch in den Antworten der Landesregierung.

Nur zu Frage 19 heißt es aus meiner Sicht etwas blauäugig, die Landesregierung gehe davon aus, marktwirtschaftliche Aktivitäten und Handelskontakte könnten auch die Entwicklung demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen unterstützen. Wie leicht das geht, kann man ja in China hervorragend beobachten. Trotzdem bleibt es wünschenswert, Kontakte zu knüpfen, aufrechtzuerhalten und auch vonseiten der Landesregierung zu unterstützen. Das dabei aber ausgerechnet vonseiten der FDP, Herr Lipsdorf, der Vorwurf an die Landesregierung kommt, sie wisse nicht alles und die Industrie- und Handelskammern wüssten die Dinge besser, erstaunt mich doch etwas.

Nun schauen wir einmal, welche Vorlieben der neue Ministerpräsident hat. Das wird uns, denke ich, Herr Minister Christoffers jetzt erzählen. Ich bin gespannt darauf.

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