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Michael Jungclaus spricht zum Doppelhaushalt (Einzelplan Verkehr und Infrastruktur)

>> Änderungsantrag zum Haushalt: Einführung eines Alleenschutzfonds (pdf-Datei)

>> Änderungsantrag zum Haushalt: Verbesserung des Schienenpersonennahverkehrs (pdf-Datei)

- Es gilt das gesprochene Wort!

„Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete,

als ich vor anderthalb Jahren an derselben Stelle stand und zum Doppelhaushalt 2015/2016 sprach, verwies ich auf meine Hoffnung, dem Thema öffentlicher Personennahverkehr würde in dieser Legislaturperiode eine höhere Priorität eingeräumt - gerade in den dünner besiedelten Regionen.

Nun sind die Verhandlungen mit den Bund zu den Regionalisierungsmitteln abgeschlossen und kurz vor der Halbzeit der Legislaturperiode kann man bilanzieren: In der Verkehrspolitik in Brandenburg gibt es zwei völlig auseinanderdriftende Debatten.

Da ist einerseits der Entwurf für eine Mobilitätsstrategie 2030:

Visionär ist das Papier sicher nicht, es würde aber immerhin den Weg zu einer Verkehrswende ebnen. Ich sage „würde“, weil es da andererseits die traurige Realität des vorliegenden Doppelhaushalts 2017/2018 gibt.

Nachdem wir dies immer wieder gefordert hatten, plant die Landesregierung auf Initiative der Koalition zwar nun endlich einmal eigene Landesmittel für den SPNV einzusetzen.

Aber erstens ist dies nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein, denn es geht um gerade einmal 0,3 Prozent der Regionalisierungsmittel.

Und zweitens entziehen sie dem Haushalt dann auch gleich wieder einen erheblichen Teil der Mittel, die sie vom Bund erhalten.

Immerhin 70 Millionen Euro wandern 2017und 2018 in einen sogenannten Sperrtitel. Von einem Einsatz der Mittel, wo sie gebraucht werden – Fehlanzeige!

Und im Ergebnis der Korridoruntersuchungen, auf denen so große Erwartungen für den zukünftigen SPNV in Brandenburg lasteten, gibt es mal wieder nur sogenannte „Entscheidungsoptionen“. Von tatsächlichen Entscheidungen – keine Spur!

Dabei wäre jetzt genau der richtige Zeitpunkt. Denn die Korridoruntersuchungen bestätigen ja zum größten Teil die Anforderungen die mit dem sogenannten Siedlungsstern aus dem Landesentwicklungsplan erwachsen.

Aber auch dieser konzentriert sich unserer Auffassung nach in seinem ersten Entwurf viel zu stark auf die Hauptstadtregion und verstärkt damit bei Menschen in den ländlichen Gebieten den Eindruck abgehängt zu werden.

Neben dieser Hauptstadtfokussierung kritisieren wir, dass eine Chance verpasst wird die Regionalplanung deutlich aufzuwerten. Hier wäre es dringend notwendig die Entwicklung in Richtung intergrierter Regionalpläne zu voranzubringen.

Flächenkonflikte gibt es nämlich nicht nur bei Rohstoffen und Energieerzeugung sondern ebenfalls bei Landwirtschaftsflächen, Hochwasserschutz, Klimaanpassung von Wäldern oder Siedlungs- und Verkehrsflächen.

Es ist völlig unverständlich warum die Landesregierung es hier verschläft, zukünftig diese Themen alle gemeinsam zu planen und, wie in andern Bundesländern auch, auf integrierte Regionalpläne zu setzen sowie die Regionalplanung entsprechend auszustatten.

Regionalplanung kann mehr leisten als nur Wind und Kies.

Aber zurück zu den Korridoruntersuchungen: Diese zeigen gerade für das Berliner Umland rasant steigende Nutzerzahlen im SPNV. Die im Haushalt dafür vorgesehenen Mittel würden jedoch gerade einmal ausreichen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt anfallenden Kosten zu decken.

Wir fordern daher, dass bereits jetzt die Gelder aus dem gesperrten Titel eingesetzt werden. Erstens steigen allein die Trassenpreise jährlich um 1,8 Prozent, während die Regionalisierungsmittel in Brandenburg nach dem aktuellen Verhandlungsergebnis jährlich nur um knapp 1,4 Prozent steigen

Und zweitens müssen wir die, gemäß Korridor-Untersuchung steigende Bedarfe bedienen und den Pendlerverkehr im Berliner Umland erheblich ausbauen. Und zwar ohne, dass dies auf Kosten des ländlichen Raum geschieht.

Hierfür fordern wir gegenüber ihren 0,3% in unserem Änderungsantrag 10 Millionen Euro im nächsten und 20 Millionen Euro im übernächsten Jahr einzusetzen.

Mit dem erklärten Ziel, dass die Verbesserungen im berlinnahen Raum keinesfalls zulasten des SPNV im berlinfernen Raum gehen dürfen.

Wohlwollend interpretiere ich die Aussage von Ministerin Schneider, sie wolle den „SPNV als Rückgrat des ÖPNV auch langfristig erhalten“ dahingehend, dass sie endlich von der Parole ihres Vorgängers abweicht: „Keine Mehrbestellungen ohne Kürzungen an anderer Stelle“. Bliebe die Ministerin bei dieser Marschrichtung, wären Abbestellung im ländlichen Raum unvermeidlich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn immer wieder die Wirtschaftlichkeit von einzelnen Strecken und Haltepunkten diskutiert wird:

Der öffentliche Personennahverkehr im Allgemeinen und Zugverkehr im Speziellen ist mehr als eine betriebswirtschaftlich zu bewertende Dienstleistung.

Öffentliche Mobilität hält die Gesellschaft zusammen.

Öffentliche Mobilität ist Daseinsvorsorge.

Und Öffentliche Mobilität gehört zu der im Grundgesetz garantierten Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse.

Ich habe ja in den letzten 1,5 Jahren über 70 Bahnhöfe besucht, die die Landesregierung als nachfrageschwach einstuft und bei der sie „Optimierungs- und Entscheidungsbedarf“ sieht und dort viele unterschiedliche Eindrücke mitgenommen.

Eines aber war allen gleich: Ein gutes Bahnangebot ist der entscheidende Faktor, um sich im ländlichen Raum niederzulassen und dort auch zu bleiben.

Die Möglichkeiten, in der Stadt mobil zu sein, haben sich in den letzten Jahren derart verbessert, dass es der Landjugend oftmals die Tränen in die Augen treiben muss.

Denn auch auf dem Land gibt es bei jungen Leuten einen Mobilitätsbedarf jenseits des Pkws. Das ÖPNV-Angebot ist dort aber teilweise so mies, dass die Entscheidung dann letztendlich doch zugunsten des Autos fällt – schlicht und einfach mangels Alternative. Das ist ein fatales Ergebnis und Beginn eines Teufelskreises.

Ohne Angebot keine Nachfrage – ohne Nachfrage kein Angebot.

Deshalb müssen wir Mobilität gerade in dünn besiedelten Gebieten unbedingt auch weiterhin gewährleisten.

Zwar gibt es inzwischen eine ganze Reihe sogenannter „alternativer Bedienformen“ in ländlichen Regionen – Bürgerbusse, Kombibusse, Rufbusse, private Mitnahmeverkehre, Car-Sharing – deren Nutzung ist aber bisweilen so kompliziert, dass sie oft komplett an den Mobilitätsbedürfnissen vorbeigeht.

Dass es schwierig ist, von den Mobilitätsbedürfnissen der Nutzer her zu denken, steht außer Frage. Das zeigt sich schon daran, wie schwer sich beispielsweise die Deutsche Bahn und andere Unternehmen damit tun, in ihren Zügen W-LAN anzubieten – bei vielen Fernbussen bereits eine Selbstverständlichkeit.

Wir sollten vor diesen Schwierigkeiten aber nicht kapitulieren.

Sondern besser zukünftige Mobilitätsbedürfnisse antizipieren und ihnen ein Stück des Weges entgegen zu gehen. Und vor allem daran denken, welche Auswirkungen Mobilität haben kann.

Eine Verkehrswende, wie wir sie verstehen, bedeutet in der Folge ja nicht einen Verlust an Lebensqualität, sondern einen Gewinn.

Es geht um Lärmbelastung, Schadstoffe, Verkehrssicherheit – und es geht auch um den Platzbedarf. Nebenbei ein Aspekt weshalb die Vorstellung absurd anmutet, man reißt den Verbrennungsmotor aus dem Auto, ersetzt ihn durch einen Elektromotor und alles ist gut. Auch Elektroautos verstopfen unsere Straßen.

Trotzdem: Die Elektromobilität ist ein wichtiger Baustein der Verkehrswende, ohne die das Pariser Klimaabkommen niemals umgesetzt werden kann. Erfahrungen mit der Elektromobilität in Frankreich haben gezeigt, dass gerade für Berufspendlerinnen und -pendler in ländlichen Regionen Elektromobilität besonders attraktiv ist.

Bis zur Mitte dieses Jahres gab es in Brandenburg allerdings gerade einmal 51 öffentlich zugängliche Ladepunkte. Damit ist Brandenburg bundesweit Schlusslicht.

Aber nur mit einer hinreichenden Ladeinfrastruktur werden Elektroautos auch alltagstauglich. Nur dann werden sie eine Alternative zum Pkw mit Verbrennungsmotor darstellen.

In unserem Änderungsantrag fordern wir daher, die Landesregierung dazu auf ländliche Kommunen mit einem „100-Säulen-Programm“ dabei zu unterstützen, Ladeinfrastruktur bereitzustellen und damit Elektromobilität auch in der Fläche Brandenburgs zu ermöglichen.

Noch wichtiger aber ist: Wir müssen die in Brandenburg ja durchaus bereits vorhandene e-mobilty nutzen. Ich begrüße es daher sehr, dass die Koalitionsfraktionen sich noch dazu durchgerungen haben, wie schon Bündnisgrüne und CDU einen Antrag zur Modernisierung der Straßenbahnen einzubringen.

Auch wenn uns die Mittel als zu gering erscheinen, wir werden diesem Antrag zustimmen, damit hier vom Landtag ein möglichst deutliches Zeichen ausgeht:

Für den Erhalt der Straßenbahn in Brandenburg.

Im Gegensatz zu diesem vernünftigen Ansatz steht der Bundesverkehrswegeplan, der gerade im Bundestag verabschiedet wurde. Und das gilt auch für die Anmeldungen aus Brandenburg.

Dieses verkehrspolitische Gesamtkonzept für Straße, Schiene und Wasserstraße (vom Geschäftsführer des Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel treffend als „Wünsch-dir-was“-Liste bezeichnet) ist alles aber sicherlich kein Gesamtkonzept.

Während die Liste der märkischen Straßenprojekte fünf Seiten einnimmt, findet man die Schienenprojekte aus Brandenburg nur mit der Lupe.

Das ist gerade vor dem Hintergrund des Katzenjammers der Landesregierung in Richtung Eberswalde und Hennigsdorf befremdlich.

Statt sich in Beileids- und Solidaritätsadressen in Richtung Beschäftigter und Schuldzuschiebungen Richtung Unternehmensführung zu üben, sollten Sie ihren eigenen Anteil an der Misere bedenken.

Wer auf der einen Seite neue Autobahnen in, nach EU-Förderrichtlinien unbesiedelte Regionen baut (Stichwort A14) sowie vorhandene mit immer weiteren Spuren ausstattet, oder dem Einsatz von LKWs beispielsweise mit Gigalinern mehr und mehr den Weg ebnet

aber auf der anderen Seite den Bahnverkehr links liegen lässt,

der darf sich anschließend nicht wundern, wenn in der Folge der Bedarf an Beschäftigten in der Bahnbranche sinkt.

Aber natürlich: Auch die Straßen in Brandenburg haben ein Problem. Allerdings weniger beim Neubau als vielmehr beim Erhalt. Eine große Baustelle im wahrsten Sinne des Wortes bleibt, dass das Land trotz Zeiten niedriger Zinsen und Rekordsteuereinnahmen, die Straßen wie auch die sonstige Verkehrsinfrastruktur auf Verschleiß fährt.

Es ist doch eine Milchmädchenrechnung, wenn Sie sich einerseits über ihre schwarze Null freuen um nachfolgende Generationen nicht mit Schulden zu belasten und andererseits durch verschleppte Investitionen in Infrastruktur eine vielfache Belastung genau dieser Generationen verantworten.

Aus dem Topf „Zuführung an den Landesbetrieb Straßenwesen für Straßenplanung und Straßenbau“ muss einfach viel zu viel bezahlt werden: Erhalt und Neubau von Straßen, Erhalt und Neubau von Radwegen sowie das sogenannte „Straßenbegleitgrün“, also die Alleen.

Auch hier ist die Lage festgefahren: Mit der Alleenkonzeption 2007 wurde das Ziel festgelegt, pro Jahr 30 Kilometer neue Alleen zu pflanzen. In den vergangenen Jahren konnte das Ziel aber bei weitem nicht erreicht werden. Die Alleebaumstatistik zeigte im Berichtsjahr 2015: Die Neupflanzung fand nur auf etwa 17 Kilometern statt. 314 Alleebäume wurden mehr gefällt als gepflanzt. Die Finanzmittel für die fehlenden Kilometer wurden für künftige Pflanzungen nicht gesichert.

Wir fordern daher, dass für die kommenden Jahre die notwendigen Gelder zum Erhalt unserer Alleen in einen Fonds eingezahlt werden.

Dass schon jetzt die Mittel für den Erhalt der Straßen so knapp sind, sät bei mir erhebliche Zweifel, dass Sie in den kommenden Jahren die Millionen übrig haben werden, um das nachzuholen, was Sie heute an Nachpflanzungen nicht realisieren können.

Ich bitte Sie daher einem solchen Fonds - wie ihn beispielsweise Mecklenburg-Vorpommern bereits eingerichtet hat - zuzustimmen. Lassen Sie nicht zu, dass Brandenburgs Wahrzeichen eines Tages aus dem Landschaftsbild verschwinden.

Alles in allem betrachtet – abgesehen von einem ersten kleinen Schritt bei den Straßenbahnen sowie ihrem 0,3%tigen Landeszuschuss zu den Regionalisierungsmitteln – habe ich große Schwierigkeiten, diesem Haushalt etwas Richtungsweisendes oder gar Visionäres abzugewinnen.

Wir kennen ja alle den Spruch von Helmut Schmidt „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen“. Vielleicht eignet sich hier aber besser ein Zitat des deutsch-iranischen Schriftstellers Navid Kermani: „Wenn Politik ohne die Vorstellung auskommt, wie man in zwanzig, in fünfzig Jahren leben will, wird sie richtungslos.“

Ihrer Mobilitätsstrategie haben Sie den Zeithorizont 2030 angeheftet.

Ich würde mir wünschen, dass Sie auch in Ihrer konkreten Politik etwas weiter denken, als nur für diese Legislaturperiode. Vielen Dank!“

>> Änderungsantrag zum Haushalt: Einführung eines Alleenschutzfonds (pdf-Datei)

>> Änderungsantrag zum Haushalt: Verbesserung des Schienenpersonennahverkehrs (pdf-Datei)

Unsere Änderungsanträge wurden abgelehnt.