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Ursula Nonnemacher spricht zum Antrag der Regierungsfraktionen „Änderung des Ladenöffnungsgesetzes“

- Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede!

Am 7.März war ich auf der Frauentagsveranstaltung des DGB-Bezirksfrauenausschuss Berlin-Brandenburg. Das Motto war: „Arbeitszeit und Lebenszeit“. Wie es den Menschen dabei geht, Arbeits- und Lebenszeit unter einen Hut zu bringen, dazu hatte der DGB bereits vor zwei Jahren fast 5000 Beschäftigte befragt. Die Hälfte gab damals an, sich bei der Arbeit gehetzt zu fühlen, unter massivem Druck und großer Arbeitsintensität zu leiden. Ein Paradebeispiel dafür ist sicher der Einzelhandel. Und insbesondere im Land Brandenburg müssen die Arbeitnehmer*innen besonders belastbar sein, denn hier gilt schon jetzt das neben Berlin liberalste Ladenöffnungsgesetz in ganz Deutschland. Dass deswegen der Ruf der Handelsverbände nach noch mehr verkaufsoffenen Sonntagen bei einer rot-rotem Landesregierung nicht durchgehen würde, da waren sich die Gewerkschaftsfrauen noch am 7.März einig. Geirrt haben sie sich!

Nun kommt sie, die Lex Potsdam. Gemacht für den Einzelhandel, der einen von Verdi erstrittenen Gerichtsbeschluss einfach nicht hinnehmen wollten und deswegen beim SPD Regierungschef mit ihren Wirtschaftsinteressen antichambrieren gingen. Die nicht zufrieden waren mit einem bestehenden Gesetz, das ja schon Tür und Tor für neukonstruierte Feste und absurde Anlässe öffnet. Beschlossen dann von einer ganz breiten Koalition aus Sozialdemokraten, Linken, Christdemokraten und der AfD. Gegen die ebenso breite Koalition aus Gewerkschaften, Familienverbänden und Kirchen. Das muss man erst einmal bringen, ohne rot zu werden.

Vor der Konkurrenz durch Online-Handel und die Nähe zu den Nachbarländern Polen und Berlin mit ihren abweichenden Ladenöffnungszeiten, sollen den Einzelhandel in Brandenburg jetzt ein paar mehr verkaufsoffene Sonntage im Jahr retten. Überhört wird dabei der Fakt, dass in Bayern die Umsätze im Einzelhandel bundesweit am stärksten gestiegen sind, obwohl das Land neben Baden-Württemberg die restriktivsten Ladenöffnungsbestimmungen hat, und nur vier verkaufsoffene Sonntage pro Jahr. Schön geredet wurde im Ausschuss ausgerechnet von linker Seite die Balance zwischen Arbeitgeber*innen- und Arbeitnehmer*innenbelangen. Da fiel dann das Argument, die Beschäftigten im Einzelhandel seien geradezu froh, an Sonntagen arbeiten zu dürfen und fast durchweg alle Betriebe würden dabei auch auf Freiwilligkeit setzen. Das sozialromantisch verklärte Argument dafür lautete: Sonntagsarbeit gehe mit einer höheren Bezahlung einher, und auch könne sich ja sonntags der Partner viel besser um die Kinder kümmern. Überhört wurde anscheinend das Sachargument, dass nur 11% der Einzelhandelsbetriebe im Land tarifgebunden sind. Und das damit 89% der Betriebe selbst entscheiden, ob und wie sie den Beschäftigten die Sonntagsarbeit zusätzlich vergüten. Was uns auch sprachlos ließ: Die Anmerkung von Koalitionsseite, dass eh nur umsatzstarke Lagen im Speckgürtel von der Gesetzesänderung profitieren würden und 80% des Landes nicht von der Gesetzesänderung betroffen seien. Dies liegt daran, dass es vereinzelt überhaupt keinen ausdifferenzierten Einzelhandel mehr gibt, sich für die meiste zusätzliche sonntägliche Öffnungszeit aber nicht lohnt. Sehr erstaunlich finde ich auch die Entscheidung der Christdemokraten: Ihnen stehen doch traditionell die christlichen Kirchen und auch die Familienverbände nahe. Auch wenn die Diskussionsbeiträge zum neuen Gesetz eher verhalten waren: am Ende haben sich wieder die Wirtschaftspolitiker gegen die Familienpolitikerinnen durchgesetzt.

Viele Menschen in unserem Land glauben, dass es nicht gerecht in der Gesellschaft zugeht. Sie glauben, dass Wirtschaftsinteressen ein zu hohes Gewicht beigemessen werden. Wenn sich jetzt aber gerade die Parteien, die die soziale Gerechtigkeit wie eine Monstranz vor sich hertragen, gegen Arbeitnehmerinteressen positionieren, dann kann einem schon mal das Koordinatensystem verrutschen!

Wir Bündnisgrüne glauben weiterhin: Beschäftigte wollen mehr Zeit für Familie, wollen nicht ständig hetzen, wollen sich vielleicht auch mal ehrenamtlich engagieren. Sie brauchen auch Zeit für sich, um sich zu erholen. Aber auch vielen Menschen, die glücklicherweise nicht am Sonntag arbeiten müssen, ist ein wirklicher Ruhetag in der Woche wichtig. An 6 Tagen in der Woche ist die Ladenöffnung 24 Stunden am Tag möglich. Da sollten wir uns alle den Sonntag als „kollektive Burn-Out-Prophylaxe“ leisten. In Münster haben sich im November die Bürger und Bürgerinnen in einem Bürgerentscheid „Freier Sonntag Münster“ mehrheitlich gegen verkaufsoffene Sonntage ausgesprochen. In einer immer schnelllebigeren Zeit gibt es auch ein Bedürfnis nach Entschleunigung. Darauf brauchen wir passende Antworten. Die Lex Potsdam ist keine.

Ihr Entschließungsantrag ist schlechtes Gewissen pur: an Peinlichkeit kaum zu überbieten!