- Es gilt das gesprochene Wort !
Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren!
Letzten Monat erschien die alle zwei Jahre neu aufgelegte Bevölkerungsprognose für das Land Brandenburg, herausgegeben vom Amt für Statistik Berlin-Brandenburg. Sie umfasst die Jahre 2009 bis 2030 und akzentuiert noch einmal, was wir eigentlich alle wissen:
Die Bevölkerung wird in Brandenburg bis 2030 um knapp 300.000 Menschen entsprechend 12% zurückgehen und 2,23 Millionen erreichen; dieser Rückgang entspricht der gesamten Bevölkerungszahl der Planungsregion Uckermark-Barnim. Durch den dramatischen Geburteneinbruch in den Jahren 1991 bis 1996 infolge des sogenannten Transformationsschocks fehlen uns in dieser und der nächsten Dekade die jungen Eltern. Die
fehlenden Kinder der Nachwendejahre sind die fehlenden Eltern der nächsten Generation, ein Effekt, den man als demographisches Echo bezeichnet. Zudem hat sich die Geburtenhäufigkeit bei 1,4 Geburten pro Frau eingepegelt, d.h der zum Ersatz der Elterngeneration erforderliche Wert von 2,1 Geburten pro Frau wird schon jahrzehntelang nicht mehr erreicht. Das Problem der rapide schrumpfenden Bevölkerung wird in Brandenburg zusätzlich verschärft durch altersselektive Wanderungsverluste in der Gruppe der jungen Erwachsenen. Brandenburg hat in den letzten Jahren besonders viele junge, gut qualifizierte Frauen verloren, was sich auf die Zusammensetzung der Elterngeneration und die Zahl der Geburten weiter negativ auswirkt. Die niedrige Geburtenrate und der wanderungsbedingte Rückgang von Frauen im fertilen Alter führen dazu, dass die Anzahl der Frauen zwischen 15 und 45 Jahren stark zurückgehen wird. Die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter wird sich bis 2030 landesweit nahezu halbieren! Entsprechend halbiert sich bei konstant angenommener Geburtenrate die jährliche Zahl der geborenen Kinder auf unter 10.000 im Jahr 2030. Dem stehen im Jahre 2030 über 33000 Sterbefälle gegenüber.
Der Schrumpfungsprozess der Bevölkerung wird gegen Ende des Prognosezeitraums stark akzelerieren.
Das einzige, was weiter kontinuierlich steigt, ist die Lebenserwartung! Sie wird sich bis 2030 erneut um 3 bis 4 Jahre erhöhen. Dem beschriebenen Rückgang der Kinder, der Generation der potentiellen Mütter und Väter und der Erwerbstätigen steht eine starke Zunahme älterer Menschen gegenüber. Dies illustriert am anschaulichsten das Durchschnittsalter: es liegt bei der weiblichen Bevölkerung momentan bei 46,5 Jahren und wird 2030 bei 54,5 Jahren liegen, im weiteren Metropolenraum sogar bei 56,7 Jahren.
Die erheblichen Disparitäten zwischen Berliner Umland und weiterem Metropolenraum seien nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Die zahlreichen Problem bezüglich Renteneinstiegsalter, Rentensicherung, Pflegebedarf, Absicherung von ärztlicher Versorgung und Mobilität sowie die schlechte Ausnutzung von Infrastruktur mit steigenden Kosten sind Ihnen aus anderen Diskussionen bekannt.
Nach diesem Ausflug in die Demographie wollen wir uns einer Konsequenz aus den geschilderten Problemen widmen: die Arbeits- und Lebensverhältnisse müssen erheblich familienfreundlicher gestaltet werden, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss in allen Bereichen massiv gefördert werden. Wir können es uns aus den geschilderten demographischen Entwicklungen heraus nicht leisten, junge Menschen und insbesondere junge Frauen durch Abwanderung zu verlieren. Wir müssen sie bei sich verschärfendem Arbeitskräfte – und Fachkräftemangel an unser Land binden und ihnen optimale Bedingungen zur Familiengründung und zur Kinderbetreuung anbieten. Die Zeiten, wo sich Personalchefs von oben herab entnervt nach der Familienplanung erkundigen oder eine Schwangerschaft zum Einstellungshindernis wird, müssen endgültig der Vergangenheit
angehören. Wir müssen im Gegenteil für junge Eltern den roten Teppich ausrollen!
Weiterhin wird das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Pflege immer wichtiger! Die demographische Entwicklung bringt es mit sich, dass wir immer mehr alte und hochbetagte Menschen zu versorgen haben, deren höchster Wunsch es ist, zu Hause gepflegt zu werden und nicht ins Heim zu müssen. Auch dieser Herausforderung müssen wir uns stellen, wir müssen Arbeitsplätze so gestalten, dass sie auch die Pflege älterer Angehöriger möglich
machen.
Die gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird für immer mehr junge Männer und Frauen zum hochrangigen Kriterium bei der Wahl ihres Arbeitsplatzes. Höhere Arbeitszufriedenheit, wenn die Kinderbetreuung gut organisiert ist, weniger Fehlzeiten durch unversorgte Kinder oder familiäre Überbelastung, schnellere Wiederkehr aus der Elternzeit und Reintegration am Arbeitsplatz binden qualifizierte Menschen an ihren Betrieb, ihre Arbeitsstelle. Sie werden somit zum Standort- und Wirtschaftsfaktor, zum Wettbewerbsvorteil für ein Unternehmen. Familienbewusste Personalpolitik hat erwiesenermaßen positiveAuswirkungen auf die Unternehmensleistungen.
Beschäftigte mit familiären Interessen sind für den Arbeitgeber keine Belastung, sondern ein Gewinn. Politisch von Bedeutung ist, dass Familienfreundlichkeit im Betrieb und am Wohnort ein nachhaltiger Haltefaktor, ein Anker für
den Verbleib im Land ist.
An dieser Stelle leistet das „audit berufundfamilie“ Entscheidendes. Es wurde bereits 1995 von der gemeinnützigen Hertiestiftung als strategisches Managementinstrument zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf ins Leben gerufen. Es unterstützt Arbeitgeber sowohl aus der freien Wirtschaft, als auch Behörden, Ministerien, Universitäten, Kliniken, kirchliche Einrichtungen, Banken und Wohlfahrtunternehmen darin, familienbewusste Personalpolitik nachhaltig umzusetzen. Das audit ist in allen Branchen und Betriebsgrößen einsetzbar, vom kleineren Unternehmen mit weniger als 25 Beschäftigten bis zum Großunternehmen mit mehreren Tausend Mitarbeitern. In 8 Handlungsfeldern wie Arbeitszeit, Arbeitsorganisation und Arbeitsort wird der status quo analysiert und passgenaue unternehmensspezifische Lösungen für mehr Familienfreundlichkeit erarbeitet. In der Regel nach zwei Monaten ist der 1. Schritt der Auditierung abgeschlossen und das Unternehmen erhält ein Grundzertifikat.
Der Prozess wird durch jährliche Überprüfung begleitet, nach 3 Jahren erfolgt die Re-Auditierung. Das audit ist erwiesenermaßen wirtschaftlich, die vergleichsweise geringen Kosten der Zertifizierung amortisieren sich schnell. Das audit ist außerdem nachhaltig, da es keine Momentaufnahme, sondern einen kontinuierlichen Prozess mit Zielvorgaben für die nächsten 3 Jahre darstellt.
In Brandenburg wird z.Z. ein gleichstellungspolitisches Rahmenprogramm unter der Federführung der Gleichstellungsbeauftragten Frau Dr. Haase erarbeitet. Dieses Programm wird auch alle Ministerien und Behörden miteinbeziehen, das audit wäre die ideale Ergänzung, ja förmlich die Grundlage des Maßnahmenpakets für Geschlechtergerechtigkeit.
Hier muss die Welt nicht neu erfunden, hier kann auf ein ausgereiftes, bewährtes Management zurückgegriffen werden. Das „audit berufundfamilie“ steht unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Familie, Senoiren, Frauen und Jugend sowie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. In Brandenburg ist das damalige MASGF schon im Jahre 2006 mit gutem Beispiel vorangegangen und hat sich zertifizieren lassen, im Juni 2009 erfolgte die Reauditierung. Das „audit berufundfamilie“ gehört in Brandenburg außerdem zum familienpolitischen Maßnahmenpaket der Landesregierung, das Land fördert die Auditierung von Unternehmen mit bis zu 70% der Kosten aus ESF-Mitteln. Erst dieser Tage hat Herr Minister Baaske den REWE-Markt in Wildau wegen Erlangung des Zertifikats besucht und lobend erwähnt. Wir halten es deshalb für geradezu selbstverständlich, dass nach diesem Auftakt jetzt endlich die gesamte Landesverwaltung nachzieht und sich dem Prozess zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterzieht.
Nach dem MASFF schlagen wir in Analogie zur Bundesebene und wegen der Signalwirkung auf die Unternehmen vor, mit dem Ministerium für Wirtschaft und Europaangelegenheiten fortzufahren.
Zur Ermunterung möchte ich Frau Ministerin Ziegler zitieren, die bereits im April 2007 sagte: „Deshalb gehe ich fest davon aus, dass wir zwar die Ersten, aber nicht die Letzten sein werden, sondern dass sich viele nach uns diesem Prozess auch unterziehen werden.“
Ein Wort noch zum eingebrachten Entschließungsantrag: ich weiß nicht so recht, ob ich darüber lachen oder weinen soll. Offensichtlich stimmen Sie doch unserem Antrag inhaltlich weitestgehend zu, alles andere wäre von der politischen Positionierung ja auch sehr verwunderlich. Warum dann alles wieder in einem halbherzigen, müden Prüfauftrag enden muss, statt ein extrem preisgünstiges, evaluiertes und bewährtes Verfahren auf den Weg zu bringen, erschließt sich mir nicht.