- Es gilt das gesprochene Wort !
Anrede!
Wie der vorliegende Bericht anschaulich ausführt, ist die Fachkräfteentwicklung von einer Reihe von Faktoren abhängig. Das ist vorrangig die Bevölkerungsentwicklung selbst, die durch eine auf niedrigem Niveau stabilisierte Geburtenrate und eine weiterhin steigende Lebenserwartung charakterisiert wird. Das sind das Arbeitsvolumen und das Erwerbsverhalten, hier insbesondere die Erwerbsbeteiligung von Frauen und der Erwerbsverbleib von Älteren. Ferner spielen die Mobilität (Stichwort Pendler und Wanderungsbewegungen), die Konjunktur, die Ausbildungsanforderungen und die Anzahl der Arbeitslosen und Geringqualifizierten als Potential für Qualifizierungsmaßnahmen eine Rolle.
Wir haben über die hochselektiven Wanderungsverluste in der Gruppe der jungen Erwachsenen im Rahmen der Rückkehrerförderung gesprochen. Wir haben über das beträchtliche Beschäftigungspotential unserer oft sehr gut ausgebildeten Frauen, die unfreiwillig in Teilzeitbeschäftigung verharren im Rahmen des Gleichstellungspolitischen Rahmenprogramm gesprochen. Und die dringende Notwendigkeit, die Erwerbsbeteiligung Älterer zu erhöhen, ist im letzten Monat bei der Debatte zur Seniorenpolitik gewürdigt worden.
Ich möchte das Thema Fachkräftesicherung diesmal unter dem Blickwinkel der Bildungspolitik betrachten. Wir alle wissen: „Bildungsabschlüsse bestimmen die Arbeitsmarktchancen." Da sich der Arbeitsmarkt und der Ausbildungsmarkt demographisch bedingt entspannt, ist in Zukunft bei schmalen Schülerjahrgängen mit einem Mangel an Bewerbern für Ausbildungsberufe zu rechnen. Insbesondere solchen, die schulisch ausreichend vorgebildet sind. Jugendliche ohne Hauptschulabschluss/resp. ohne Bildungsreife haben so gut wie keine Chancen auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz. Nach dem Bildungsbericht Berlin/Brandenburg von 2010 haben 2009 11,9% der Schüler die Schule ohne einen Abschluss verlassen. Die Zahlen sind für 2010 leicht rückläufig, der Anteil liegt aber immer noch über 10%. Zwei Drittel dieser Jugendlichen ohne Abschluss sind Förderschüler. Im Umkehrschluss haben über 95% unserer Förderschüler keinen allgemeinbildenden Abschluss, dieser ist ja in der Regel nicht einmal vorgesehen. Solche Schulen fördern nicht, sondern sie vernichten schon in frühem Alter Lebenschancen! Sie sind nicht nur unter dem Blickwinkel der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen problematisch, sondern sie sind auch ein Schlag gegen das Konzept des vorsorgenden Sozialstaates. Jugendliche mit mangelnder Ausbildungsreife, meist festgemacht am fehlenden Schulabschluss (!), landen dann im sogenannten „Übergangssystem", ob nun einem Berufsgrundbildungjahr oder einer Berufsvorbereitungsmaßnahme oder sonstigen Maßnahmen zur Einstiegsqualifizierung. Selbst wenn sie es schaffen, in diesem Rahmen einen Schulabschluss nachzuholen, sind ihre Chance auf einen regulären Ausbildungs- oder Arbeitsplatz schlecht. Junge Menschen mit „Ausbildungshindernissen" werden im Übergangssystem der Berufsorientierung und der berufsvorbereitenden Maßnahmen geparkt, um die Defizite zu kompensieren, die vorher die Schule hinterlassen hat. Die Kosten beim Übergang zur Ausbildung werden auf 10.000 Euro pro Kopf und Jahr geschätzt, die indirekten gesellschaftlichen Folgekosten durch höhere Arbeitslosigkeit, geringe Erwerbsbeteiligung und entgangene Wertschöpfung sind noch höher und kumulieren im Laufe der gesamten Erwerbsbiographie.
In dem Bericht steht: „Verantwortlich für die Fachkräftesicherung sind originär die Betriebe." Das ist nicht falsch. Sicher ist es auch richtig, dass sich die Betriebe an den Gedanken gewöhnen müssen, auch schwächere Schulabgänger auszubilden. Unsere Aufgabe von Seiten der Landespolitik ist aber, endlich unser Bildungsystem so aufzustellen, dass nicht 10% eines Jahrgangs von der Schulbank in den lebenslangen Sozialtransfer rutscht. In unserer postindustriellen Wissensgesellschaft werden bald nur noch Fachkräfte nachgefragt werden, d.h. ohne Ausbildung keine Arbeit. Unser Beitrag zur Fachkräftesicherung muss ein Quantensprung im Schulsystem und in der frühkindlichen Bildung sein.