Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Innenpolitik scheint heute nicht so der Knüller zu sein. Das ist eine Erfahrung, die ich bisher noch nicht gemacht habe.
Herr Scharfenberg, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede gesagt: Die Haushaltsberatungen im Innenausschuss seien ein wenig lapidar gewesen. Ich möchte Ihnen darin zustimmen: Ich fand sie etwas gewöhnungsbedürftig; man könnte auch sagen, sie fanden eigentlich gar nicht statt. Nach siebeneinhalb Minuten war die Angelegenheit beendet. Ich führte das damals auf die große Erschöpfung nach einer dreistündigen Anhörung zurück, bin aber sehr froh, dass ich jetzt noch einmal die Gelegenheit habe, auf zentrale Aufgaben des Innenressorts und ihre haushalterischenAuswirkungen einzugehen.
Der Einzelplan 03 stellt einen Kernbereich der Landesverwaltung dar, weil in ihm der nach den Lehrern größte Personalkörper des Landes, die Polizei, enthalten ist. Da 71 % des Einzelplans aus Personalkosten bestehen, ist klar, dass sich eine weitere Haushaltswirksamkeit nur über weiteres Drehen an der Stellschraube „Personal“ erzielen lässt. Schon die Haushaltsberatungen der letzten Jahre zum Etat des Ministeriums des Innern waren vorwiegend von Debatten über Polizeistrukturreformen und Personalabbau bei der Polizei gekennzeichnet, allerdings mit etwas anders verteilten Rollen. So lobte der Abgeordnete Petke noch im Dezember 2007 dieses Land Brandenburg als ein sicheres Land und die guten bis sehr guten Arbeitsmöglichkeiten bei der Polizei, während Kollege Dr. Scharfenberg den drastischen Personalabbau bei der Polizei und die Schließung von Wachen aus ausschließlich finanziellen Erwägungen geißelte.
(Senftleben [CDU]: Och!)
Das tut er jetzt nicht mehr so. Die Rollenverteilung hat sich hier geändert, die Probleme sind geblieben. Schon seit der Polizeistrukturreform 2002 sind bis zum Jahre 2009 1 312 Stellen eingespart worden. Die letzte große Umstrukturierung bei der Kriminalpolizei, datiert vom Juli 2008, liegt noch keine zwei Jahre zurück. Dabei wurden eingespielte Ermittlungsteams, die bei den Polizeipräsidien angesiedelt waren, auseinandergerissen und neu gruppiert. Die Kriminalpolizei hat diese Strukturmaßnahmen noch nicht richtig verdaut - auf mögliche Qualitätsverluste in der Ermittlungsarbeit sowie auf die Verlängerung von Ermittlungsverfahren wird warnend hingewiesen -, da steht uns mit der Einsetzung der Kommission „Polizei Brandenburg 2020“ der nächste gravierende Einschnitt ins Haus.
Die rot-rote Regierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag auf eine Personalausstattung von 45 500 bis 2014 und perspektivisch 40 000 Landesbediensteten bis 2019 festgelegt. Schon im November geisterten die ersten Hausnummern an einzusparenden Stellen bei der Polizei durch die Presse. Anfangs war von 3 000 Vollzeiteinheiten, dann von 2 500 die Rede, am 12.02.2010 verkündete dann der Innenminister seine Personalzielzahl von 7 000 Vollzeitstellen bei der Polizei bis 2019, also einer weiteren Reduzierung um ca. 1 900 Stellen.
In einem intern in Auftrag gegebenen Gutachten der Universität Potsdam zur Einschätzung des Personalbedarfs der brandenburgischen Landesverwaltung war sogar ein Zielwert von 6 380 Vollzeitstellen ermittelt worden. Problematisch an diesen Zahlenspielen ist, dass sie in keiner Weise sauber analytisch unterlegt oder aufgabenkritisch abgeleitet wurden. Die Größenordnungen der als notwendig erachteten Einsparungen und damit eine Kopfzahl werden vorgegeben, und darum basteln wir uns eine Struktur. Mit dieser Anpassungsarbeit ist die
Expertenkommission „Polizei Brandenburg 2020“ derzeit befasst.
Während der Minister auf die für den Spätsommer angekündigten Ergebnisse verweist, wird die Öffentlichkeit über gezielte Indiskretionen schon jetzt an die nächsten Grausamkeiten gewöhnt: Reduzierung auf ein Polizeipräsidium, Auflösung der Schutzbereiche, Halbierung oder gar Viertelung der Anzahl der rund um die Uhr besetzten Wachen. Naiv, wer da noch glaubt, auch diese Zielgrößen seien nicht vorgegeben! Ich möchte - wie in unseren Stellungnahmen zur inneren Sicherheit schon mehrfach geschehen - erneut betonen, dass es BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht um Fundamentalopposition geht. Wir könnten uns als kleinste Oppositionsfraktion mit großer Entfernung zur Macht - die Koalitionsangebote sind ja wohl nicht so recht ernst gemeint gewesen - zurücklehnen und die vorgesehenen Personalkürzungen in Bausch und Bogen verdammen. Wir tun dies nicht. Wir verkennen nicht die Realitäten der drastisch zurückgehenden Einnahmen und auslaufenden Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen sowie der schwierigen demografischen Entwicklung. Wir schließen Personalkürzungen im Polizeibereich nicht kategorisch aus, da der Personalbestand des Landes der Einnahmesituation mit Augenmaß angepasst werden muss.
Was wir aber strikt ablehnen, sind die Konzeptionslosigkeit des Stellenabbaus und die fehlende schlüssige Definition unseres Sicherheitsbedarfs. Polizeistrukturreformen dürfen nicht immer nur aus dem Blickwinkel der eingesparten Finanzmittel, sie müssen vielmehr unter dem Blickwinkel der zu leistenden Aufgaben durchgeführt werden. Strukturreform könnte auch bedeuten, Dinge besser zu machen und die Beschäftigten zu überzeugen oder gar zu begeistern. Von Begeisterung will ich nicht reden. Das Stadium der Ernüchterung liegt längst hinter
uns.
Wenn mehrere große Gewerkschaften einer linken Landesregierung attestieren, dass sie keinerlei Reformstrategie habe und nur Vorgaben für Einsparungen mache, ohne zu sagen, wie die Aufgaben zu erledigen seien, dann spricht dies Bände.
(Beifall GRÜNE/B90 und Einzelbeifall bei der CDU)
Meine Damen und Herren! Der augenblicklich extrem hohe Krankenstand bei der Polizei ist neben realer Überlastung doch auch Ausdruck von Frustration und Perspektivlosigkeit. Konzeptionsloses Dauerreformieren - das Wort Reform wird in unserem Land sowieso bald zum Unwort, weil es nicht mehr für Fortschritt, sondern für Verschlimmbesserung steht -, Beförderungsstau, unzureichende Fortbildung, schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Schichtdienst, fehlende Anerkennung, Übergriffe auf Polizeikräfte sowie ein katastrophales Gesundheitsmanagement lassen für die Sicherheitslage im Land nichts Gutes erwarten. Schließlich muss den Einsatzkräften bei der Polizei, den Hauptamtlichen im Brand- und Katastrophenschutz sowie den Justizvollzugsbeamten auch die unausweichliche Verlängerung der Lebensarbeitszeit vermittelt werden. Auch dabei müssen die Beschäftigten mitgenommen werden.
Zur inneren Sicherheit gehört auch die Betrachtung des Brand-und Katastrophenschutzes. Die ausgehend von der Frage nach der Finanzierung von Lkw-Führerscheinen für die freiwillige Feuerwehr und der Sinnhaftigkeit der von der Koalition beabsichtigten Feuerwehrrente anberaumte öffentliche Anhörung hat Probleme offenbart, die in ihren Auswirkungen noch gar nicht ausgelotet sind und mittelfristig große finanzielle Belastungen für Land und Kommunen mit sich bringen werden.
Der demografische Wandel bringt einen starken Rückgang gerade der für den Brand- und Katastrophenschutz aktiven Bevölkerungsgruppe der 18- bis 40-Jährigen mit sich. Zusätzlich fehlen immer mehr Arbeitsplätze vor Ort, die Zahl der Pendler steigt, und die Bereitschaft der Arbeitgeber, ihre Mitarbeiter für Einsätze der freiwilligen Feuerwehr freizustellen, sinkt. Schon heute ist die Einsatzfähigkeit der freiwilligen Feuerwehr - Herr Goetz sprach das in seiner Rede an - zu Tagzeiten weitaus schwieriger herzustellen als nachts oder an Wochenenden. Wenn nicht durch gezielte Förderung und Unterstützung die Einsatzfähigkeit aufrechterhalten werden kann, muss durch immer mehr hauptamtliche Kräfte ergänzt werden. Wer soll das bezahlen?
Doch während mit der Einrichtung der Stützpunktfeuerwehren wenigstens ein zukunftsweisendes Konzept umgesetzt wurde, ist die Zukunft des brandenburgischen Katastrophenschutzes ungewiss. Bereits 2007 hatten sich Bund und Länder auf die Eckpunkte eines neuen Ausstattungskonzepts für den Zivil- und Katastrophenschutz geeinigt, in dessen Folge sich der Bund von der Ausstattung im flächendeckenden Katastrophenschutz zurückgezogen hat.
Gemäß Landtagsbeschluss vom 13. Mai 2009 wurde die Landesregierung beauftragt, eine Konzeption vorzulegen, wie die Neuausrichtung des Bundes aufgefangen, organisiert und finanziert werden könnte. Im Ministerium des Innern wurde mit allen Beteiligten ein hochgelobtes Konzept zur Neugestaltung des Katastrophenschutzes erarbeitet, das aber offenbar in der Schublade verstaubt. Warum wird dies nicht umgesetzt? Nur die Landesregierung kann verbindliche Standards für ein koordiniertes Zusammenwirken aller Kräfte bei überörtlichen Einsätzen einführen.
Es kann und darf doch nicht sein, dass beispielsweise zu einem Großschadensereignis auf dem Flughafen BBI eine Oldtimerparade aus den umliegenden Kreisen angerollt kommt und jeder Zugführer seine eigene Einsatztaktik verfolgt. Sicherheit ist hier nicht zum Nulltarif zu haben. Auch wenn die vielen ehrenamtlichen Helfer sich noch zum Nulltarif engagieren, so müssen doch zumindest die Rahmenbedingungen stimmen und ein Minimum an Finanzmitteln auch vonseiten des Landes zur Verfügung gestellt werden.
Gerade an Polizeistrukturreformen und dem Katastrophenschutz zeigt sich erneut die Unsinnigkeit der in diesem Land verweigerten Fusionsdebatte. Der Stadtstaat Berlin liegt mitten, zentral innerhalb des Flächenlandes Brandenburg. Beide haben eine gemeinsame Geschichte. In einer Zeit, in der ganze Staaten vom Bankrott bedroht sind, können wir es uns nicht leisten, in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum Doppelstrukturen aufrechtzuerhalten. Wir bauen bis 2020 die brandenburgische Polizei um, und dann fangen wir wieder von vorn an, wenn die Länderfusion kommt?
(Zuruf des Abgeordneten Dellmann [SPD])
- Ja, und sie wird kommen; denn die dramatische Haushaltsentwicklung, die Notwendigkeit der Aufgabenbegrenzung und die Schuldenbremse werden sie erzwingen - übrigens nicht nur hier in Berlin-Brandenburg, sondern auch in anderen Bundesgebieten. Unterschiedliche Formen der Polizeiausbildung und -struktur, leerstehende Gefängnisse bei dringendem Raumbedarf im Nachbarland, sich auseinanderentwickelnde Schulsysteme, der erbitterte Kampf um junge Lehrer mit dem untauglichen Mittel der Verbeamtung -
(Unruhe)
jetzt wird die Unruhe aber sehr groß, wenn es um die Fusion geht -, Aufgabe einer gemeinsamen Repräsentanz in Brüssel - es wächst hier eben nicht zusammen, was zusammenwachsen sollte, wenn es nicht das klare Ziel und der politische Wille ist. Nun hat die Fusionsdebatte erfreulicherweise selbst in der SPD wieder ein wenig an Fahrt gewonnen, und die Gegner von überhasteten Diskussionen spüren den Gegenwind derjenigen, die sich um die Zukunftsfähigkeit berechtigte Sorgen machen. Leider erinnert das Konzept der privilegierten Kooperation so fatal an die privilegierte Partnerschaft von Frau Merkel, die auch zur Chiffre für ein Aussetzen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag geworden ist.
Der Gesamthaushalt im Einzelplan 03 beläuft sich auf 622 Millionen Euro und weist damit einen Aufwuchs von 41 Millionen Euro gegenüber 2009 aus. Trotz des kontinuierlichen und harten Personalabbaus steigern sich die Personalausgaben it 444 Millionen Euro erneut um 46 Millionen Euro, was vorwiegend auf die Tarifangleichungen zurückzuführen ist. Die Ausgaben für Versorgungsempfänger belaufen sich 2010 auf 38 Millionen Euro und steigen bis 2013 auf über 56 Millionen Euro. Die Versorgungslasten werden weiter explodieren, besonders in einem Bereich, der einen so hohen Anteil an Beamten aufweist wie das Ministerium des Innern.
Dass ein an sich vernünftiges Element wie der Versorgungsfonds unter den Bedingungen anhaltender Neuverschuldung kontraproduktiv ist, hat Ihnen Herr Vogel bereits mehrfach vorgerechnet. Dies bestätigt selbst der Bund der Steuerzahler in seiner Stellungnahme zum Haushalt 2010: „Es ist sinnvoller, wenn die 200 Millionen Euro aus vergangenen Haushaltsüberschüssen, die in den Pensionsfonds für die Landesbediensteten fließen sollen, zur sofortigen Verringerung der Neukreditaufnahme verwendet werden.“ Da trotz Personalabbaus das Haushaltsvolumen noch steigt, hat sich unsere Fraktion exemplarisch nach Einsparmöglichkeiten in den sächlichen Verwaltungsaufgaben umgesehen.
Frau von Halem hat sich schon grundsätzlich über unsere Anträge zur Energieeinsparung geäußert, die wir unter dem Titel „Mietzahlungen an den BLB“ zusammengefasst haben. Wir halten einen exemplarischen Änderungsantrag zu diesem Bereich auch im Haushaltsplan 03 aufrecht. Wir haben uns extra ein Polizeipräsidium - das Polizeipräsidium Potsdam - herausgegriffen, weil in Polizeiwachen und Dienstgebäuden die Verschwendungen besonders exorbitant waren, diese Polizeiwachen schon 1997 als verbrauchsauffällig ermittelt wurden und im Jahresbericht 2009 ebenfalls als besonders negativ aufgefallen sind.
(Minister Speer: Deshalb wird es auch neu gebaut!)
- Ja. Da unser Innenminister als ehemaliger Finanzminister Initiator des Konstruktes BLB und damit der richtige Ansprechpartner ist, Herr Speer:
(Minister Speer: Jawohl!)
Wir stimmen mit Ihnen überein, dass die Gründung des BLB die Transparenz bei den Kosten steigerte, die Regierung versäumte jedoch, die anfallenden Kosten zu reduzieren, indem sie ihre Kontrollfunktion gegenüber dem BLB vernachlässigte. Bisher beweist der BLB keine Eigeninitiative und versagt bei Initiativen zur Kostenreduzierung auf der ganzen Linie.
(Zuruf von Minister Speer)
Die Erträge aus Betriebskosten steigen zum Beispiel gegenüber 2009 um ca. 4 Millionen Euro. Das sind 10 % innerhalb eines Jahres.
(Zuruf von Minister Speer)
Wir sind davon überzeugt, dass gerade dem Land und seinem Ministerium eine ausgesprochene Vorbildfunktion im Bereich des Energie- und Ressourcenverbrauchs zukommt, und bitten um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag. Wir lassen die Polizisten auch nicht im Kalten sitzen, Herr Speer.
(Zuruf von Minister Speer)
Wir Grünen sind keine Oppositionspartei vom Stamme „Wünsch Dir was“, die marktschreierisch unbezahlbare Wohltaten vonder Regierung einfordern. Wir haben und werden in dieser Haushaltsdebatte Einsparmöglichkeiten
im dreistelligen Millionenbereich aufzeigen. Was wir nicht leiden können, ist planloses Herumstreichen ohne Konzept. Es muss schon klar definiert sein, welchen Staat wir wollen und welche Aufgaben wer wie erfüllen soll. Wenn der Etat im Innenressort trotz markigen Personalabbaus seit Jahren aufwächst, sollte man sich den Innenminister und den Finanzminister genau anschauen. Treten beide quasi in Personalunion auf, ist ein besonders kritischer Blick angezeigt.
(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [DIE LINKE])
Den Beweis, dass er nicht nur sparen, sondern auch die innere Sicherheit zukunftsfähig und verantwortlich gestalten kann, muss der Minister erst noch erbringen. Und auch den Beweis, dass er seiner Fürsorgepflicht für die ihm unterstellten Beschäftigten im öffentlichen Dienst nachkommen wird, muss er noch erbringen. - Vielen Dank.
(Beifall GRÜNE/B90)