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Rede im Landtag: Keine Änderung des Landesaufnahmegestzes

- Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Mitmenschen in Brandenburg,

ich möchte, ich muss sehr grundsätzlich werden in diesem Moment, an diesem Pult. So unmittelbar nach dem Tag der Befreiung. Heute ist der 10. Mai. Das ist der Tag, an dem vor genau 90 Jahren auf dem damaligen Opernplatz in Berlin Bücher verbrannt wurden. Auch die von Bertolt Brecht, jedenfalls die, die er bis zu diesem Zeitpunkt veröffentlicht hatte. Eines war nicht dabei, konnte nicht dabei sein. Denn er schrieb es in den frühen vierziger Jahren, mitten im Zweiten Weltkrieg, als er selbst Flüchtling war. Veröffentlicht wurden die „Flüchtlingsgespräche“ erst 1956. Zwei Männer treffen sich zufällig in einem Bahnhofslokal von Helsinki und reden. Beide sind Deutsche, geflohen aus ihrer Heimat. Der Eine, Kalle, Metallarbeiter. Der Andere, Ziffel, eher bürgerlicher Intellektueller. Der eine sagt: Immer fand ich den Namen falsch, den man uns gab. Emigranten. Das heißt doch Auswanderer. Aber wir wanderten doch nicht aus, nach freiem Entschluss. Wählend ein anderes Land Wanderten wir doch auch nicht ein in ein Land, dort zu bleiben. Womöglich für immer. Sondern wir flohen. Vertriebene sind wir, Verbannte. Zitat Ende. So läßt Brecht von seinen Erfahrungen sprechen in diesem Buch.

Man könnte sagen, es hat sich nicht viel geändert. Man könnte auch sagen: es hat sich doch eine Menge geändert. Seit diesem Menschheitsverbrechen 2. Weltkrieg. Mit Millionen Toten, Millionen Flüchtlingen. Während des Krieges und danach. Denn immerhin hat sich die Weltgemeinschaft Regeln gegeben. Die mögen unvollkommen sein, die werden auch nicht überall auf der Welt ernst genommen. Deutschland nimmt sie ernst. Noch. Und zum Glück für uns alle. Ich merke, wie wichtig es ist, auch für mich, die großen Gründe für etwas wieder, immer wieder neu ins Gedächtnis zu holen, mich daran zu erinnern, warum es heute das Recht auf Asyl gibt. Warum wir Menschen helfen, die zu uns fliehen.

Wenn man das wieder und immer wieder versteht, kann man auch konstruktiv mit den zweifellos vorhandenen Problemen umgehen, die genau dieses Recht der Menschen nun einmal mit sich bringt, wenn so viele kommen. Aus vielfach beschriebenen Gründen. Und dass wir alle von Problemen in Kommunen erfahren liegt daran, dass eben nicht stimmt, was Sie in ihrem Antrag formulieren, dass die „Interessen von gemeindeangehörigen Bürgern“, wie Sie schreiben, „derzeit weder wirksam artikuliert noch auf kommunaler Ebene durchgesetzt werden“. Zitat Ende. Ich jedenfalls bin im Gespräch mit Bürgermeistern , Integrationsbeauftragten, Landräten, Städte- und Gemeindebund, Landkreistag. Wie so viele Kolleginnen und Kollegen. Und überall erfahre ich, erfahren wir, von dem, was Sorgen bereitet. Und nun kommt der große, entscheidende Unterschied zwischen Ihnen und den meisten anderen: Sie machen daraus Abschottung. Sie machen aus den durchaus berechtigten Fragen der Bürgerinnen und Bürger Angst. Sie benutzen diese Sorgen und machen daraus Ihre aggressive Politik mit entsprechend agressiver, aufhetzender Sprache. Sie reden von ökonomischem Ausbluten der Region, von Zuwanderungswahnsinn, der im Gegensatz stünde zum Schutz der Heimat, Sie verkünden, dass eine brandenburgische Kleinstadt im Ausnahmezustand wäre. Und so weiter. Sie nutzen aus, dass Sie sehr genau wissen, was Sprache anrichten kann. Sie kann zu grausamen Taten vorbereiten. Was Heinrich Heine einst beschrieb mit dem Satz: Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen. Wir wissen inzwischen, dass er Recht hatte.

Sie wollen keine Lösungen. Ihr Vorschlag, den Sie hier einreichen mit der Änderung des Landesaufnahmegesetzes ist keiner. Er tut nur so. Kommt so einfach um die Ecke und sagt im Kern, nö, das Grundgesetz, auf das im Übrigen jeder gewählte Landrat einen Eid schwört, interessiert nicht. Das, wozu sich dieses Land verpflichtet hat aus guten Gründen, hebeln wir mal eben aus. Nein, Herrschaften, das machen wir nicht! Wir suchen nach Lösungen für ohne Frage bestehende Probleme. Das ist keine einfache Sache. Denn natürlich gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Aber einig sind sich die meisten doch, dass wir denen, die hier sind, Perspektiven aufzeigen müssen. Jahrelang in einer Gemeinschaftsunterkunft rumhängen ist nun wirklich eine Katastrophe, Betreuung hin oder her.

Wir brauchen Ideen, sowas wie den Spurwechsel zum Beispiel. Oder die kommunale Integrationsvereinbarung. Und ganz grundsätzlich die schnelle Möglichkeit derer, die hier sind, arbeiten zu dürfen. Und ja, wir brauchen Wohnungen. Sicher auch neue Unterkünfte. Und genau bei dieser Aufgabe brauchen die Leute vor Ort, die Bürgermeisterinnen, die Landräte, Unterstützung. Die vermutlich von Ort zu Ort unterschiedlich aussehen. Wie kommen wir schnell zu mehr Kita und Schulplätzen? Wie hilfreich sind die Schulämter? Zuhören, ernst nehmen, sich Diskussionen stellen – das ist die erste Aufgabe, die wir alle haben. Die die Landesregierung in besonderer Weise hat. Die Leiter von Gemeinschaftsunterkünften sagen eindeutig: es braucht mehr Leute in den Ausländerbehörden, damit es schneller geht. Wir müssen schneller werden bei der Einbürgerung. Wir müssen wirklich abspecken bei dem, was an Papieren beizubringen ist. Und wir müssen überall unsere Haltung entwickeln, vor allem in Behörden. Eben nicht abschotten, sondern die Möglichkeiten für uns alle sehen. Was ganz viel mit Sprache zu tun hat. Ich erlaube mir zur Illustration ein paar Beispiele aus meinem Leben. Meine Tochter arbeitete und lebte in Kenia. Sie hatte dort einen Freund, der unbedingt mal nach Deutschland kommen wollte, zu Besuch. Okay, ich lernte, dass ich ihm eine Einladung schicken muss, was ich tat. Dann war ich auf der Ausländerbehörde. Ich hatte alles dabei. Alle Daten. Auch, wann der junge Mann wieder ausreisen würde. Dieses Datum, so wurde mir bedeutet, solle ich auf keinen Fall eintragen. Warum? Naja, meist reisen die doch nicht aus, und dann muss ja klar sein, wer ihn finanziert, erklärte mir die Kollegin und fügte hinzu: das kennt man ja, dass die dann nicht ausreisen. Brandenburg vor wenigen Jahren. Und heute? Könnte ich Ihnen sofort weitere, ähnliche Beispiele liefern.

Stichwort Papiere. Ich wollte eines Tages versuchen, einen jungen Mann aus Kamerun auf legalem Wege nach Deutschland zu holen. Meine Tochter erwartete ein Kind von ihm. Es war unglaublich, was alles geliefert werden musste. Beglaubigt übersetzte Grundschulzeugnisse zum Beispiel. Es war ein teurer, langwieriger Vorgang. Als er endlich in Deutschland ankam war seine Tochter bereits knapp ein Jahr. Und auch hier könnten Ihnen Menschen, die gekommen sind, viele weitere Beispiele erzählen. Wir müssen arbeiten an uns, unserer Sprache, an unserer Haltung Menschen gegenüber, die zu uns kommen. Wir müssen zuhören, was Kommunen brauchen, wir müssen uns Debatten stellen. Der eindeutig rassistischen Haltung der AfD aber kann ich mich nur entgegen stellen. Denn nichts anderes steckt hinter all diesen nicht mal besonders gut getarnten Anträgen, die nur so tun, als ob sie Bürgerinnen und Bürgern was Gutes tun wollen. Abwertung von Menschen, Rassismus.

Wir sollten uns alle Mühe geben, wirklich zu integrieren. Und ich möchte erleben in Deutschland, dass wir Menschen Chancen geben. Wirkliche Chancen. Denn es wären welche für die, die kommen und für uns. In den „Flüchtlingsgesprächen“ von Brecht sagt Kalle in der Bahnhofskneipe. Der Pass muss ein Pass sein. Damit sie einen in das Land herein lassen. Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustande, wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art…..Aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er jut is. Während ein Mensch noch so jut sein kann und doch nich anerkannt wird….

Ich finde wir sollten alles tun, damit Menschen, die so jut oder schlecht sind wie Menschen es nun mal sind, überall auf der Welt, anerkannt werden, arbeiten dürfen, wirklich Teil der Gesellschaft werden. Im Moment brauchen sie uns. Und wir wissen, wenn wir es wissen wollen, dass wir sie auch brauchen. Den Antrag der AfD hingegen braucht kein Mensch.

Weiterführende Informationen

Rede zu: Gesetzentwurf "Zweites Gesetz zur Änderung des Landesaufnahmegeset-zes - Ermöglichung von Aufnahmestopps durch die Kom-munen" (TOP 7 der 85. Plenarsitzung)