(Nr. 18) Die Brandenburger Staatskanzlei kann die von Ministerpräsident Woidke angegebene Summe von 800 Milliarden Euro Verpflichtungen durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) nicht belegen. Das ergab eine Nachfrage der energiepolitischen Sprecherin der bündnisgrünen Landtagsfraktion HEIDE SCHINOWSKY. Vielmehr handelt es sich hierbei offenbar um eine vage Schätzung der Staatskanzlei, die auch vom Bundeswirtschaftsministerium nicht geteilt wird. „Eine Projektion der noch dazu zu rechnenden künftigen Ausgaben und gesetzlichen Verpflichtungen basiert auf vielen Annahmen, die je nach Herangehensweise zu unterschiedlichen Ergebnisszenarien führt“, bekundete Martin Gorholt in Vertretung von Woidkes Chef der Staatskanzlei Thomas Kralinski.
„Das ist keine seriöse Herleitung“, kritisiert HEIDE SCHINOWSKY, energiepolitische Sprecherin der bündnisgrünen Landtagsfraktion. „Offenbar sollen die Kosten der erneuerbaren Energien groß geredet werden, um die akuten Wirtschaftlichkeitsprobleme sowie die drastischen Folgekosten der Braunkohle dahinter klein aussehen zu lassen.“
Auch der Bundesregierung seien keine wissenschaftlichen Gutachten oder Publikationen bekannt, aus denen sich die von Woidke benannten 800 Milliarden Euro ableiten ließen, antwortete das Bundeswirtschaftsministerium auf eine Anfrage der Brandenburger Bundestagsabgeordneten Annalena Baerbock. Belege für die vom Ministerpräsidenten kritisierte drastische Umverteilungswirkung gibt es laut Bundeswirtschaftsministerium auch nicht: „Zudem liegen der Bundesregierung auch keine Zahlen vor, die einen Vergleich mit den Verteilungswirkungen anderer Instrumente ermöglichen würden“.
„Die Energiewende hin zu 100 Prozent erneuerbaren Energien sozial und wirtschaftlich erfolgreich zu gestalten, ist ein sehr komplexes, aber notwendiges Unterfangen, um die Klimakrise zu begrenzen. Umso wichtiger ist es, mit tatsächlichen Fakten zu argumentieren, um die Akzeptanz nicht zu gefährden“, kritisiert SCHINOWSKY die offenbar haltlose Argumentation der Landesregierung. Mit bundesweit über 330.000 Arbeitsplätzen sind die erneuerbaren Energien ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Mit lokaler Wertschöpfung und Beschäftigung sorgt die Energiewende für Standortvorteile – insbesondere auch in strukturschwachen Regionen. „Gerade Brandenburg hat von seinem pro-aktiven Erneuerbare-Energien-Kurs stark profitiert. Dieses Pfund sollten wir nutzen und nicht kaputtreden“, sagt SCHINOWSKY.
„Das Bashing gegen das EEG ist de facto ein Pauschalangriff auf die Energiewende. Denn das EEG regelt vor allem den Ausbau der erneuerbaren Energien und deren Einspeisevorrang gegenüber der schmutzigen und klimaschädlichen Kohle“, erläutert die Bundestagsabgeordnete ANNALENA BAERBOCK.
Die vermeintliche sozialpolitische Kritik sei unredlich, so BAERBOCK weiter. Auch ohne EEG würde die vom Ministerpräsidenten angesprochene Oma Frieda die gleichen Strompreise zahlen wie ihr wohlhabender Nachbar. Würde es der Brandenburger Landesregierung wirklich um eine konstruktive Reform des EEGs gehen, müssten die teuren und ungerechten Industrieausnahmen beim EEG abgeschafft werden, fordert die Bundespolitikerin: „Eine wirkliche Entlastung für Verbraucherinnen und Verbraucher erreicht man, indem man die Industrieausnahmen auf das Nötigste reduziert und eine faire CO2-Bepreisung einführt. Dadurch würde die EEG-Umlage für alle sinken.“
Exkurs: Woher hat Woidke seine Zahlen zu den EEG-Kosten?
Recherchen der Plattform klimaretter.info zufolge stammt die Zahl von 800 Milliarden Euro aus zweifelhaften Quellen: „Woidke beziffert nämlich die gesamten Kosten durch die Verpflichtungen aus dem EEG und bereits getätigte Zahlungen auf 800 Milliarden Euro. Damit übertrifft der SPD-Mann nochmals um Längen die – bekanntermaßen unseriöse – Schätzung der Energiewende-Kosten durch die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) von 520 Milliarden Euro. Nach dem, was bisher bekannt ist, tauchen die 800 Milliarden Euro EEG-Kosten zum Beispiel in einem Blogtext des ehemaligen FAZ-Journalisten Klaus Peter Krause auf. Auf Krauses Blog dürfen auch bekennende Klimaleugner wie Michael Limburg publizieren. Krause, obgleich promovierter Volkswirt, rechnete die 800 Milliarden allerdings nicht selbst aus, sondern zitiert seinerseits aus einer Statistik von Günter Unseld vom Stromverbraucherschutzverein NAEB, einem erklärten Gegner der Energiewende. In seiner Statistik „rechnet“ Unseld die – so wörtlich – „Zwangsabgaben der Stromverbraucher an Betreiber von Ökostrom-Anlagen (Auszahlungen plus Zahlungsverpflichtungen)“ bis 2025 auf ebendiese 800 Milliarden Euro hoch.
>> Mündliche Anfrage "Datenbasis für angebliche EEG-Kosten in Höhe von 800 Mrd. Euro"
>> Schriftliche Frage an die Bundesregierung
Korrektur:
In einer ersten Version dieser Pressemitteilung hatten wir am Ende des ersten Absatzes fälschlicherweise "...bekundete Woidkes Chef der Staatskanzlei Martin Gorholt" geschrieben. Martin Gorholt ist Bevollmächtigter des Landes Brandenburg beim Bund und Beauftragter für Internationale Beziehungen. Er hat die betreffende Mündliche Anfrage in Vertretung des Chefs der Staatskanzlei, Thomas Kralinski, beantwortet. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.