- Es gilt das gesprochene Wort!
Frau Präsidentin! Sehr geehrte besondere Gäste auf der Tribüne! Liebe Menschen daheim! Werte Abgeordnete! Wir sind heute zusammengekommen, um über die Ergebnisse der gestrigen Konferenz der Regierungschefs und -chefinnen zu beraten, sie zu bewerten und der Regierung mitzugeben, was jetzt in Brandenburg zu ändern ist. Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben es schon ziemlich deutlich gesagt - ich bin ja in der ersten Runde heute der Letzte -: Es gibt Licht und Schatten.
Ich möchte mit dem anfangen, was daran gut und was schlecht ist, um dann zu sagen, was in die Verordnung aus unserer Sicht geredet werden muss, und vielleicht noch - Zeit ist ja jetzt genug wegen der Zeitüberschreitung - über die nächsten Tage hinausschauen.
Schauen wir uns also erst einmal etwas genauer an, was gestern erreicht wurde und was nicht erreicht bzw. noch nicht erreicht wurde - immer gemessen daran: Was hilft uns das dabei, die Pandemie hinter uns zu lassen, was trägt dazu bei, dass wir am Ende weniger Kranke, weniger Tote haben, aber auch weniger Folgen bei den Nebenwirkungen?
Ich beginne mit dem, was nicht erreicht wurde; denn Ehrlichkeit ist in der Debatte wichtig und wir dürfen weder uns noch den Menschen etwas vormachen.
Zwei Dinge möchte ich da herausstellen. Erstens: Wir als Landtag hatten der Landesregierung den Auftrag mitgegeben - hier im Plenum beschlossen -, sich beim Bund für eine einheitliche Öffnungsstrategie mit Stufenplan einzusetzen, der neben der lnzidenz auch andere Dinge berücksichtigt, beispielsweise, wie viele lntensivbetten belegt sind. Denn wir haben ja hier Konsens, dass wir den lnzidenzwert brauchen, aber auch, dass er alles andere als perfekt ist, und vor allem, dass er zunehmend an Bedeutung verliert, vor allem, je mehr Ältere wir impfen. Ein lnzidenzwert von 50 aus dem letzten Jahr - sagen wir mal, Mitte, Ende 2020 - ist ja mit einem lnzidenzwert von 50 Mitte 2021 kaum zu vergleichen, vor allem dann nicht, wenn zum Beispiel die Menschen über 80 durchgeimpft sind und wir Infizierte haben, die symptomfrei sind. Das wissen wir.
Deswegen haben wir darauf gedrängt und unserer Landesregierung den Auftrag mitgegeben, die anderen Bundesländer davon zu überzeugen. Das hat nicht geklappt. Sie haben sich nicht überzeugen lassen, der vorliegende Stufenplan basiert nur und einzig auf dem lnzidenzwert. Ich bin mir sicher: Unser Ministerpräsident hat nicht Candy Crush gespielt oder telefoniert, sondern jede Minute genutzt, um die anderen zu überzeugen. Es ist aber im ersten Schritt nicht gelungen und es bleibt Auftrag für die nächste Runde.
Zweitens: Was auch nicht erreicht wurde, war ausreichende Klarheit bei wichtigen Fragen.
Krankenhausfinanzierung: Hierzu gibt es - wir hier im Landtag haben alle darauf gedrängt - erfreulicherweise ein Bekenntnis des Bundes, aber die Details werden leider später geklärt. Wir wissen, wie sehr es in dieser Frage auf die Details ankommt.
Härtefallfonds: Was für eine wichtige, richtige und gute Entscheidung! Er weckt allerdings viele Erwartungen - die Details werden später geklärt.
Dass für die Beschaffung der Tests jetzt eine Taskforce gegründet wird und dennoch schon einmal geöffnet werden muss, ist so ein bisschen, wie den zweiten Schritt vor dem ersten zu machen; das kann mich nicht völlig überzeugen. Es bringt außerdem noch eine weitere Tücke gerade für unser Land, aber für andere natürlich auch: Kaufen wir jetzt noch schnell die Schnelltests oder warten wir ab, bis die Selbsttests in ausreichender Menge da sind? Wir wissen nicht, ob und wann wie viele da sind, weil die Taskforce ja erst arbeiten muss. Aber wenn sie da sind, sind sie viel einfacher und viel billiger.
Für uns in Brandenburg ist auch das Thema Ringimpfungen an Außengrenzen besonders wichtig - sprich: Was ist mit all den Menschen, die aus Polen kommen? Wir haben die längste Grenze zu Polen. Dafür soll laut MPK-Beschluss von gestern Impfstoff priorisiert werden. Das ist nicht nur eine Mammutaufgabe, es ist auch in Bezug auf das, was gestern beschlossen wurde, relativ schwammig und ich werbe deswegen an dieser Stelle schon einmal vorsorglich dafür, dass wir das Gesundheitsministerium mit Augenmaß bewerten. - Das war es aber auch schon. So viel zum Nichterreichten.
Es gibt vor allem seit gestern sehr, sehr viel Gutes. Diese Beschlüsse sind aus bündnisgrüner Sicht ein Meilenstein. Wir haben einen klaren Stufenplan. Und ja, Herr Stefke, der überzeugt natürlich nicht komplett, weil nicht alles stringent ist, aber es ist bundeseinheitlich - das ist wichtig -, und vor allem orientiert er sich an Zielen, nicht a lnzidenzwerten und nicht an einem Datum. Wir alle haben hier das ganze letzte Jahr kritisiert, dass wir uns von Datum zu Datum hangeln und es nicht an Zielen festmachen. Das ist gelungen. Was für ein Erfolg!
Zum Zweiten: Eine Notbremse ist eingezogen worden. Bei allem Verständnis für den Wunsch nach Planbarkeit - ja, auch ich werde manchmal wahnsinnig, wenn ich mit der Familie über dem Kalender brüte und versuche, irgendetwas zu planen; wir brauchen Planbarkeit - kann es eben sein, dass wir uns wieder einschränken müssen, wenn zum Beispiel die Belastung des Gesundheitssystems zunimmt, in dem Fall die lnzidenzen steigen, beispielsweise durch Mutationen. Auch das durchzusetzen - herzlichen Dank, Herr Ministerpräsident - ist gelungen.
Drittens zu den Schutzvoraussetzungen: Es gibt ein klares Bekenntnis, dass wir eine massive Ausweitung von Tests brauchen, auch für Schülerinnen und Schüler. Es gibt das klare Bekenntnis, dass wir bundesweit viel mehr impfen müssen. Unsere Gesundheitsministerin hat schon Anfang der Woche aufgezeigt, wie das Tempo jetzt, wo der Impfstoff endlich in großen Mengen da ist, hochgefahren werden kann. Der Impfzug nimmt jetzt richtig Fahrt auf, und ich lade alle, die nicht eh schon dabei sind, herzlich ein, jetzt aufzuspringen.
Ein Schlüssel dazu sind die Arztpraxen. Da hat Brandenburg, liebe Linke, liebe Freie Wähler, schon einmal angefangen - sicher ist es nur Modellprojekt -; der Bund gibt ja jetzt erst den Startschuss. Zu guter Letzt: Zu den Schutzvoraussetzungen gehört auch eine funktionierende App. Auch das haben wir hier alle gemeinschaftlich kritisiert, dass das, was da vorgelegt wurde, noch nicht ausreicht. Auch das wurde jetzt erkannt. Die Corona-App soll nun weiterentwickelt und ergänzt werden.
Gesamtfazit also: Der Stufenplan, der gesamte gestrige Beschluss ist eine wirklich gute Grundlage für Brandenburg. Wir haben eine klare Orientierung. Und auch wenn wir nicht den zweiten Schritt vor dem ersten machen sollen: Öffnungen sind immer ein Risiko; es lässt sich jedoch minimieren. Deswegen unser Plädoyer: Schaffen wir erst ein weiteres Stück die Schutzvoraussetzungen, bevor wir ins Risiko gehen.
Damit bin ich bei der Verordnung - aber nicht, ohne dem Ministerpräsidenten für seinen gestrigen Einsatz zu danken. Ich habe bis 24 Uhr durchgehalten und gestehe: Ich war e a früher im Bett als der Ministerpräsident. Und wir wissen alle, was für harte Verhandlungen das waren; wir durften ja teilweise live mitlesen. Insofern herzlichen Dank, Herr Ministerpräsident.
Was also muss in die Verordnung? Erstens Öffnung. Wann öffnen wir - und was? Lieber Herr Stefke, ich schätze gerade Ihre Art sehr. Ich kann Ihnen versichern, dass wir jeden Antrag von BVB / FREIE WÄHLER sehr genau prüfen, übrigens auch die Anträge der Linken - manchmal auch zum Leidwesen unserer Koalitionspartner, die ein Lied davon singen können. Aber an dieser Stelle hat Ihr Antrag uns nicht überzeugt. Auch das ist in einer Demokratie und in einer demokratischen Auseinandersetzung, glaube ich, wichtig und richtig, dass man nach Prüfung auch dazu kommen kann, dass es einen nicht überzeugt, ohne dass ernsthaft der Vorwurf im Raum stehen darf, man hätte es nicht geprüft. Dieses Mal ist das so.
Was öffnen wir nun? Ich plädiere noch einmal dafür, dass wir erst, so gut es geht, das Risiko minimieren, die Schutzvoraussetzungen schaffen. Wir können, wenn wir die 50 erreichen, bei niedrigen lnzidenzen, rasch öffnen, müssen es aber nicht. Deswegen bitte ich die Landesregierung, zu prüfen, wie wir es schaffen, dass erstens die Vorbereitungszeit für Öffnungen ausreicht und nichts im Chaos landet - ich weiß, die Landesregierung ist dran -, und zweitens, dass die Landesregierung beim Bund noch einmal richtig Druck macht, dass die Tests auch ordentlich gemeinschaftlich bestellt werden.
An der Stelle will ich darauf hinweisen, dass wir auch da die Erwartungen nicht zu hoch schrauben dürfen. Wenn 50 jetzt die kritische Marke für Öffnen oder nicht Öffnen ist, müssen wir uns bewusst sein, dass wir, wenn wir jetzt mehr testen, auch mehr finden werden.
Und wenn wir mehr finden, wird die lnzidenz vielleicht auch erst einmal steigen. Der Wert von 64,3, den wir heute haben, klingt erst einmal gut und ist sehr nah an 50. Es kann aber noch eine ganze Strecke sein; da dürfen wir niemandem Sand in die Augen streuen.
Das Zweite, das hinsichtlich der Notbremse in die Verordnung muss: Es gibt im MPK Papier noch eine gewisse Unschärfe. Darin steht nämlich, die Werte sollen für Länder oder Regionen gelten. Jetzt müssen wir uns hier einigen, was das heißt. Wir plädieren klar dafür, die Werte auf Landesebene zu nehmen und bei 100 eine landesweite Notbremse einzubauen, den MPK-Beschluss also so zu verstehen. Ich weiß, die Landesregierung wird das tun und ist da auch in enger Abstimmung mit Berlin.
Dritter Punkt - ich will mich auf drei begrenzen -: Bildung. Dazu wurde im MPK Beschluss wenig vereinbart, die Länder haben hier sehr viel Spielraum. Die Frage ist, wie wir ihn nutzen sollen. Zum Ersten sagen wir, dass wir auf Bildung weiterhin Priorität legen und vor allem hier vorankommen wollen, und zum Zweiten wollen wir auch dies gut organisiert und vorbereitet machen. Deswegen hoffen wir, liebe Britta Ernst, dass wir nicht nächste, aber übernächste Woche endlich den Schritt machen, auf den wir so lange warten. - So viel zur Verordnung.
Jetzt der etwas weitere Blick: Wir haben mit alldem - das müssen wir festhalten - einen viel klareren Fahrplan für die nächsten Wochen als bisher im ganzen Jahr. Aber was passiert über diese nächsten Wochen hinaus? Klar, hier gibt es große Einigkeit: Wir müssen impfen, wir müssen testen. Aber ich meine etwas ganz anderes - Jan Redmann hat es vorhin schon ins Spiel gebracht -, nämlich dass wir den Blick weiten müssen. Wir alle haben im letzten Herbst bitter festgestellt, dass bundesweit, ja sogar europaweit der Sommer nicht gut genutzt wurde. Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich appelliere an Sie, an uns alle, dass uns das dieses Jahr nicht wieder passieren darf. Denn sosehr wir uns ein schnelles Ende wünschen - die Weltgesundheitsorganisation hat gerade noch einmal betont: Diese Pandemie wird uns mindestens noch 2021 begleiten.
Also ist doch die Frage: Was müssen wir jetzt - beispielsweise im Verkehrsministerium oder im Bildungsausschuss des Landtags, im gesamten Kabinett, in der gesamten Regierung, in allen Ausschüssen - vorbereiten? Ich will das nicht überdehnen, aber ein paar Schlaglichter nennen:
Reisen - was sehnen wir uns nicht alle nach mehr Mobilität! Im Schnitt, so besagen Studienergebnisse, bewegen wir uns gerade innerhalb eines Umkreises von nur 30 Kilometern. Die große Welt wird dieses Jahr nicht drin sein, aber, mein Gott, Brandenburg ist auch schön. Schon 2020 boomten der Inlands- und der Naturtourismus. Wir müssen uns also fragen: Was müssen wir tun, damit uns das auch dieses Jahr gelingt?
Öffentlicher Nahverkehr: Sowohl durch das Virus als auch durch den Lockdown brauchen die Unternehmen viel Geld. Bisher war es so, dass der Bund und die Länder gesagt haben: Wir teilen uns die Kosten 50:50. - Davon war gestern nichts zu hören. Der Bund hat offenbar erst einmal Nein gesagt. Das müssen wir auf jeden Fall ändern, da müssen wir gemeinsam Druck machen.
Apropos Unternehmer: In unserer Fraktionsklausur in dieser Woche sind wir genau dieser Frage nachgegangen: Was müssen wir tun, wofür müssen wir den Sommer nutzen? Eine Zahl, auf die wir gestoßen sind - herzlichen Dank, Heiner Klemp -, ist: Trotz Corona werden derzeit 25 % weniger lnsolvenzen verzeichnet als in normalen Jahren. Das heißt, das dicke Ende, da dürfen wir uns nichts vormachen ...
(Zuruf: Die Insolvenzordnung ist ja auch verlängert worden!)
- Ich danke für das rege Interesse. Sie haben es erkannt: Es liegt an der verlängerten Insolvenzordnung.
Das dicke Ende kommt noch. Aber was heißt das für uns? Das heißt doch, dass wir uns darauf vorbereiten müssen. Das heißt doch, dass wir zum Beispiel das Thema Schuldner*innenberatung ganz anders in den Blick nehmen müssen.
Exemplarisch will ich eines betonen, auf das wir uns auch dringend vorbereiten müssen: Berlin hat soeben verkündet, dass es unter Jugendlichen rund 6 % mehr psychische Erkrankungen gibt. Jetzt ist Brandenburg ohne Frage viel schöner, dennoch dürften wir wahrscheinlich ähnliche Werte erreichen. Auch da gibt es viel zu tun.
Noch weiter geblickt: Sie wissen, dass auch Brandenburg an die Pandemieregeln der Bundesrepublik gebunden ist, und die hat deutliche Schwächen offenbart. Das haben wir beim Impfen ja gerade bitter feststellen müssen. Wenn wir es einmal geschafft haben, die Pandemie hinter uns zu lassen, müssen wir alle - ich appelliere an Sie, uns - das gemeinsam gründlich auswerten. Wir Bündnisgrüne zumindest werben dafür, das zu tun, und zwar vorwärtsgewandt, fraktionsübergreifend und mit der Zivilgesellschaft zusammen.
Lassen Sie mich zum Abschluss etwas betonen, gerade weil es heute hoch herging: Es ist ja schon fast eine stehende Redewendung : Die Pandemie zu bekämpfen ist kein Sprint, sondern ein Marathon. - Ich glaube, beides trifft es nicht so richtig. Wenn es überhaupt ein Sport ist, dann ein Teamsport. Ich appelliere an Sie und an u s alle: Ziehen wir - von Staatskanzlei bis demokratische Opposition, von Freien Wählern bis Linke - an einem Strang. Machen wir das! Konstruktive Kritik? Ja, unbedingt. Gute Vorschläge? Sehr gern. Aber für kleinliches Parteiengezänk, für Kompetenzstreitigkeiten oder Bundestagswahlkampf ist bei Corona kein Platz, denn diese Jahrhundertaufgabe werden wir nur gemeinsam bewältigen.
- Herzlichen Dank.