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Benjamin Raschke spricht zu unserem Antrag "Entwicklung der Vogelwelt in Brandenburg"

Frau Präsidentin!Sehr geehrte Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist ja nun schon ein paar Tage her, aber vielleicht erinnert sich die eine oder der andere von Ihnen noch an die Schlagzeilen im Frühjahr zu unserem heutigen Thema. Da hieß es ich könnte jetzt die „taz" zitieren; aber ich nehme lieber einmal die konservative
„FAZ“

„Die Zahl der Vögel geht stark zurück. Nahrungs- und Lebensraum fehlen"

Oder der Mitteldeutsche Rundfunk berichtete:

„300 Millionen Brutpaare weniger. Zahl der Vögel sinkt seit Jahren“

(Frau Schade [AfD]: Obwohl die Zahl der Windräder nicht steigt!)

Wir haben das damals zum Anlass genommen, nachzufragen, was denn aus dem Vorreiter in Sachen Vogel- und Naturschutz geworden ist. Also: Was ist denn aus dem Vogelschutz in Brandenburg geworden?

Unser Fraktionsvorsitzender Axel Vogel hat hier eine Mündliche Anfrage gestellt, und die traurige Antwort war: Ja, auch bei uns in Brandenburg ist die Vogelwelt in Nöten, aber Genaueres wissen wir nicht; dazu müssten wir erst einmal die Daten auswerten.

Wir wollten es jetzt aber genauer wissen, und deswegen reden wir heute über die Antwort auf unsere Große Anfrage zur Vogelwelt in Brandenburg.

An dieser Stelle erst einmal ein herzliches Dankeschön allen, die dazu beigetragen haben: unseren MitarbeiterInnen im Hintergrund, die die Fragen zusammengetragen haben, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministers, die die Fragen beantworten mussten, und insbesondere den vielen Ehrenamtlichen draußen, die viele von den Daten zusammengetragen haben und ohne die in Brandenburg im Naturschutz gar nichts ginge.

(Beifall B90/GRÜNE)

Was kam nun heraus bei dieser Großen Anfrage? Das ist jetzt sozusagen der grüne Service für alle, die es noch nicht gelesen haben. Wenn Sie ein Vöglein wären und von oben auf Brandenburg schauen würden, würden Sie sehen: viel Wasser, viel Wald, noch mehr Ackerfläche, Siedlungen. Dementsprechend sind auch die Vögel verteilt. Schauen wir uns das einmal an: Wasservögel, 3 bis 4 % der Landesfläche, der kleinste Teil, sind Wasser, aber den Wasservögeln in Brandenburg geht es besser,

(Zuruf der Abgeordneten Schade [AfD])

die haben Glück gehabt. Zum Beispiel der Schilfrohrsänger hat sich gut vermehrt. Ein Drittel der Landesfläche ist Wald. Da ist es im Schnitt ungefähr gleich gut oder eben gleich schlecht geblieben. Der Rest, den Sie von oben sehen würden, sind Siedlungen und Agrarflächen. 50 % der Landesfläche sind Agrarflächen, und den Vögeln dort geht es richtig schlecht, sie sind richtig übel dran. Man könnte sagen: Wir haben den Rückgang der Vögel nicht gestoppt. Man könnte aber auch härter sagen: Von den 39 Arten, die wir erfasst haben, sind 30 zurückgegangen. Neun von denen haben über die Hälfte verloren. Dabei ist eine ganze Reihe von Vögeln, die noch vor wenigen Jahren als Allerweltsvögel galten. Wir haben seit den 90ern die Hälfte aller Rebhühner verloren, die Hälfte aller Kiebitze, die Hälfte aller Feldsperlinge.

Man kann das gar nicht anders sagen: Die Situation der Agrarvögel in Brandenburg ist dramatisch. Und wenn wir so weitermachen - ja, was ist, wenn wir so weiterma-chen? Die Technische Hochschule Aachen hat nach der Aufregung im Frühjahr ein Gutachten dazu erstellt, wie es ist, wenn Deutschland so weitermacht, und festge-stellt: Wenn wir so weitermachen, können in Zukunft ganze Landschaften vogelleer sein.

(Frau Schade {AfD]: Dafür haben wir doch Windräder!)

Dann ist nichts mehr mit Pfeifen, Zwitschern, Tirilieren. Wenn wir so weitermachen, wird jeder Frühling ein bisschen leiser und leiser und leiser werden. Dann sind unsere Kinder oder Enkel die letzten, die noch mit dem Rebhuhn vertraut sind.

Ich will es nicht so weit kommen lassen. Ich denke und hoffe, Sie wollen es auch nicht so weit kommen lassen. Was also können wir tun? Konzentrieren wir uns ein-mal auf die Agrarvögel, wie gesagt, 50 % der Landesfläche, und denen geht es am schlechtesten. Warum verschwinden bei uns die Agrarvögel? Das hat mehrere Ursa-chen, fangen wir mit den weniger wichtigen an: So ein Vogel hat natürliche Feinde, und wir haben viele neue invasive Arten wie den Waschbären oder den Marderh und - das kennen Sie -‚ die hier einwandern und Vogelbestände plündern.

Präsidentin Stark:

Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Frage zu?

Raschke (B90/GRUNE):

Sehr gern.

Präsidentin Stark:

Dann halten wir Ihre Redezeit mal an. - Frau Abgeordnete Schade, Sie haben die Gelegenheit, Ihre Frage zu stellen. Bitte.

Frau Kollegin, Ihre Frage zeigt mir mehrerlei. Sie zeigt erstens, Sie haben die Dramatik nicht verstanden. Es geht nicht darum, dass da ein paar Vögel nicht mehr herum-flattern. Es geht darum, dass bei einigen Vogelarten die Hälfte einfach schon verschwunden ist.

(Abgeordnete Schade [AfD]: Ja eben!)

Zweitens haben Sie nicht abgewartet, denn ich war gerade dabei, einige Ursachen aufzuzählen.

Drittens: Selbstverständlich gibt es Probleme mit Windrädern, PV-Anlagen und Bio-mais; darauf komme ich gleich noch.

Reden wir einmal darüber, welche Intensität das hat, was sozusagen die wichtigen Gründe sind. Die weniger wichtigen Gründe sind, wie gesagt, Räuberei. Wir haben hier auch schon über den Spargelanbau unter Folie diskutiert; das hätten Sie jetzt auch anbringen können. Viel wichtiger - da zitiere ich aus der Großen Anfrage sind Klimawandel oder Verschlechterung des Landeswasserhaushaltes -‚ da sind wir bei viel relevanteren Größenordnungen: Wir könnten jetzt statt über Windräder über Braunkohle reden oder darüber, was wir eigentlich beim Wassergesetz beschließen müssten, das wir beim nächsten Plenum hier behandeln.

Aber konzentrieren wir uns nicht auf die Sachen, die auch relevant, aber nicht der Hauptgrund sind, konzentrieren wir uns auf den Hauptgrund des Rückgangs der Agrarvögel, nämlich - ich zitiere aus der Großen Anfrage - die „Art und Intensität" der Landwirtschaft. Die Art und Intensität der Landwirtschaft nimmt den Vögeln einfach den Lebensraum. Zwei Beispiele aus einer sehr langen Liste: Pestizide - wir hatten das hier schon beim Thema Glyphosat. Wenn Sie sich erinnern, dass die Insektenbiomasse, also das Gewicht, wenn Sie alle Käfer auf eine Waage legen würden, bei einigen Insekten um 90 % zurückgegangen ist, dann ist klar: Wo nichts blüht, wo nichts summt und brummt, haben die Vögel nichts zu fressen, gibt es keine Vögel. Oder die von Ihnen angesprochenen Monokulturen, der Mais. Inzwischen wird auf 19 % der Agrarfläche in Brandenburg nur Mais angebaut. Also ein Fünftel der Agrarfläche besteht aus dieser einzigen Pflanze. Und viele Feldvogelarten - da zitiere ich wieder aus der Großen Anfrage - können in Mais nicht erfolgreich brüten, da Mais „spät gesetzt wird, schnell und dicht hochwächst, sehr beikraut- und insektenarm und damit nahrungsarm ist.“

(Genilke [CDU]: Dafür haben wir jede Menge Wildschweine!)

Und woran liegt es, dass wir so viel Mais haben, dass wir diese intensive Art der Landwirtschaft haben? Das liegt natürlich auch daran, dass die Bauern unter einem enormen wirtschaftlichen Druck stehen. Alles muss immer effizienter sein. Die Biogasanlagen sind manchmal das Letzte, womit der Landwirt noch Geld verdient. Diese Intensität bringt unsere Landwirte in eine Zwangslage, in der sie gar keinen Spielraum mehr haben, sich um Vogelschutz oder Umweltschutz zu kümmern.

Also was ist die Lösung? Was können wir tun, um das Verschwinden der Vögel zu stoppen oder wenigstens aufzuhalten? Wenn Sie jetzt - anders als die Kollegin der AfD - die Dramatik verstanden haben und verstanden haben, dass die Hälfte aller Rebhühner, die Hälfte aller Kiebitze schon weg ist, dann wird es nicht reichen, sich um einzelne Arten besonders zu kümmern oder sie unter Schutz zu stellen, dann wird es auch nicht reichen, wie Kollege Vogelsänger das in seiner Pressemitteilung solle verkündet hat, dass wir uns freuen, dass der Kranich in Brandenburg so erfolgreich ist, weil in der gleichen Zeit Tausende von anderen, von kleineren Vögeln verschwinden. Es ist gut, dass wir uns um den Kranich und den Seeadler kümmern, aber das reicht nicht aus, das droht Kosmetik zu werden. Nein, wir müssen die Art und Weise ändern, in der in Brandenburg Landwirtschaft betrieben wird.

(Beifall der Abgeordneten Mächtig [DIE LINKE] und Schade [AfD] - Frau Schade [AfD]: Richtig!)

Wie geht das? Wir haben hier schon einige Vorschläge diskutiert. Wir wollen keinen Ausverkauf von Land an Investoren mehr, wir wollen eine scharfe Anwendung des Umweltrechts. Und heute unterbreiten wir Ihnen noch weitere Vorschläge. Kurz ge-fasst: Wir wollen alle Landwirtinnen und Landwirte unterstützen, die willens sind. Wie machen wir das? Ich nenne drei Punkte aus unserem Entschließungsantrag. Greifen wir doch einmal einen Vorschlag aus der Landwirtschaft auf, etwa vom Bauernbund: Mehr Agrarumweltprogramme und mehr Geld für die Programme, mehr Hecken, mehr Brachflächen, mehr Blühstreifen und Fruchtfolge statt immer nur Mais. Dass unsere Betriebe das wollen, sieht man daran, dass die viel zu kleinen Töpfe, die wir dafür haben, fast schon ausgeschöpft sind; wir haben es auf der ELER-Tagung am Montag gerade gehört.

Zweiter Vorschlag: Die beste Agrarumweltmaßnahme und der beste Vogelschutz ist Ökolandbau. Im Ökodorf Brodowin, das mit der Nachbargemarkung verglichen, sind zwei- bis fünfmal so viele Agrarvögel wie nebenan, wo die konventionelle Land-wirtschaft herrscht. Auch das können Sie in der Großen Anfrage nachlesen. Also zweiter Vorschlag: Fördern wir den Ökolandbau. Brandenburg ist immer noch Schlusslicht bei der Umstellungsprämie, das müssen wir anheben.

Dritter Vorschlag, auch sehr einfach: mehr Mittel für Vertragsnaturschutz. Ein gutes Instrument, allerdings hatten wir in den Neunzigern noch 10 Millionen Euro, heute sind es 2 Millionen. Da ist die Kurve, wie das runterging, noch steiler als die Kurve der Verluste der Vögel.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser heutiger Vorschlag zusammengefasst ist relativ einfach: Geben wir den Landwirtinnen und Landwirten, die mehr Geld haben wollen und das machen wollen, mehr Geld und unterstützen wir die. Das klingt einfach, das ist es auch, Sie müssen nur zustimmen. - Vielen Dank.

(Beifall B90IGRÜNE)

Frau Präsidentin! Herzlichen Dank auch Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Debatte. Ich glaube, wir haben alle viel mitgenommen. Unser Versuch war ja, den Fokus von der Vogelwelt insgesamt auf die Agrarvögel zu richten. Ich danke besonders Anke Schwarzenberg, die das noch einmal deutlich gemacht hat.

Ja, wir haben große Erfolge bei Wald- und Wiesen- sowie bei Gewässervögeln. Da haben wir auch tolle Artenschutzprogramme, da ist richtig was passiert. Wir haben bei der Gelegenheit nur übersehen, wie groß die Dramatik im Agrarbereich ist, da nämlich die Intensität der Landwirtschaftsbetriebe so viel stärker wirkt als die paar Programme, die wir da anzubieten haben, um das aufzuhalten. Daher war es sozusagen der Versuch, in der heutigen Debatte klarzumachen, wie dramatisch es ist und dass wir etwas tun müssen. Wenn ich Bilanz zu ziehen versuche, wie gut es mir gelungen ist, bei Ihnen für Verständnis für diese Dramatik zu sorgen und ihre Bereit-schaft zum Handeln zu wecken, dann wird klar: Frau Schade hat sich auf dieser Skala um den letzten Platz beworben.

Bei der SPD habe ich jetzt vor allem herausgehört: Wir tun schon was. - Ich stelle fest: Trotzdem sind 50 % der Rebhühner weg, sind 50 % der Kiebitze weg. Und ich habe herausgehört: Wir warten wir auf die Daten 2018. - Das sind noch viele Mona-te, in denen wir Vögel verlieren! Wir aber warten auf 2018?!

Herzlichen Dank an die CDU, herzlichen Dank, Herr Dombrowski, da waren auch Punkte dabei, wo ich merke: Da ist ein bisschen was von unserer Botschaft angekommen: Blühstreifen, Vertragsnaturschutz.

Über den Haushalt wird erst nächstes Jahr beraten, und gern können wir einen gemeinsamen Antrag stellen, mehr Vertragsnaturschutz zu machen. Vielleicht überzeugen wir gemeinsam die Abgeordneten von der SPD und den Linken.

Bei der Fraktion DIE LINKE merke ich ganz klar die Bereitschaft zu handeln, das Verständnis für die Dramatik, allerdings auch ein bisschen Zögern, ob das überhaupt noch geht, vor allem bezüglich der Verhandlungen mit der EU. Ich weiß nicht, Frau Schwarzenberg. Der Minister ist tatkräftig und will in Brüssel dafür werben. Am Mon-tag hieß es auf der ELER-Tagung: Sechs bis neun Monate dauert so eine Verhandlung mit der EU. Sechs bis neun Monate braucht man, bis man so ein Programm umgestrickt hat. Wenn wir jetzt damit anfangen, haben wir in der nächsten Vogelsaison noch „richtig was gerissen".

Kurzum: Ich muss feststellen, ich bekomme heute keine Mehrheiten. Aber wir kom-men wieder, wenn nächstes Jahr Haushaltsverhandlungen sind. Wenn nächstes Jahr die Rote-Liste-Arten vorliegen, sind wir wieder da. „Alle Vögel sind schon da" - wir auch. Wir versuchen es dann wieder. - Herzlichen Dank.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt CDU)