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Carla Kniestedt spricht zum Koalitionsantrag "Ein Corona-Rettungsschirm für die soziale Infrastruktur in Brandenburg!"

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Schwierigkeit, wenn man als Dritte oder Vierte drankommt und zwei davor schon sehr genau erklärt haben, Frau Fortunato, worum es in diesem Antrag geht, ist, dass man sich nicht wiederholen möchte - ich jedenfalls nicht. Insofern bieten die Vorredner eine Möglichkeit, darauf einzugehen.

Frau Bessin, ich finde atemberaubend, wie Sie versuchen, einen Bogen vom Atomausstieg zu Corona und den sozialen Trägern zu schlagen - wirklich atemberaubend -, und ich bin immer besorgter; denn Sie haben mit keinem Wort in Ihrer Rede erwähnt, was Sie eigentlich davon halten, dass wir vorhaben, einen Rettungsschirm über soziale Träger zu spannen. Frau Fortunato, Sie wissen ganz genau, dass die Themen, die Sie aufgezählt haben, bei uns sehr wohl gut aufgehoben sind und dass wir darüber reden wollen. Der Punkt ist nur: Im Moment geht es nicht darum, grundsätzlich über andere Strukturen in bestimmten Bereichen zu reden, sondern um einen Rettungsschirm für die Krisensituation. Genau darum geht es im Augenblick! Und die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege, mit der ich telefoniert habe, war in keiner Weise über diesen Antrag irritiert, sondern hat - Sie alle haben wahrscheinlich das Schreiben der LIGA zu diesem Thema gelesen - ziemlich genau das angemahnt, was wir hier jetzt aufgeschrieben haben. Genau das brauchen sie im Moment. Von der Zukunft können wir dann gerne noch reden.

Jetzt doch noch ein paar Worte zu dem, was wir wollen: Es geht um Dienstleistungen - das Wort klingt zunächst einmal irgendwie nach entbehrlichem Luxus und ist doch das genaue Gegenteil davon -, um zuverlässige soziale Dienstleistungen, von denen in unserer Gesellschaft zu einem entscheidenden Teil abhängt, dass jede und jeder zu unserer Gemeinschaft gehört, dass jede und jeder Anspruch hat auf Unterstützung, Beratung, Hilfe, darauf, wahrgenommen zu werden - damit der erste und wichtigste
Satz des Grundgesetzes Realität wird: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ „Ist sie das wirklich?“, frage ich mich manchmal. Ich glaube, wenn wir nicht aufpassen, ist nichts schneller zu verletzen als
ebendiese Würde eines Menschen, gerade in Zeiten wie diesen, wo in einem Brennspiegel ungeheuer klar und sichtbar wird, wer eigentlich sorgt, wo strukturelle Probleme in unserer Gesellschaft liegen. Es ist ja nicht so, dass wir das nicht wussten. Es wird uns nur so ungeheuer deutlich.

Und nebenbei bemerkt: Vielleicht ist das ja gut für die Zukunft, für das, wofür wir alle - nehme ich an - uns in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren starkmachen wollen. Viele bangen um ihre Zukunft und wir alle machen uns Sorgen. Wir müssen mit Unsicherheiten leben, und das zu lernen fällt uns schwer, umso schwerer aber denen, die hier schon ein paar Mal angesprochen wurden, die vielfältig anders sind, die oftmals nicht verstehen, warum sie jetzt nicht in ihre Werkstatt dürfen, warum sie nicht mal so einfach in den Arm genommen werden können und warum die Menschen, denen sie doch vertrauen, so etwas Komisches im Gesicht haben. Das macht Angst.

Und was ist mit all denen, die dringend Beratung brauchen, der jungen Frau zum Beispiel, die schwanger ist und nicht weiß, was sie tun soll, oder den Menschen, die schwer unter ihrer Depression leiden und ohnehin nur mühsam den Tag bewältigen?

Mich hat etwas wirklich erschüttert, und zwar ein Gespräch mit Michael Tsokos. Er ist Professor für Rechtsmedizin an der Charité und obduziert Leichen. Er hat in seiner Arbeit mit Fällen zu tun, die es bisher nicht gab: Suizide aus Angst vor dem Tod durch Corona. Die Menschen, die diesen Weg unwiderruflich gegangen sind, waren nicht infiziert. Aber sie hatten alle psychische Probleme, die sie nicht mehr zu ertragen in der Lage waren. Das wissen die Mediziner aus Abschiedsbriefen und Gesprächen mit
Angehörigen. Das sind - zugegeben und sicherlich zum Glück - seltene Fälle. Aber wir sollten nicht aus dem Auge verlieren, wo dramatische Situationen von Menschen, die es nicht verkraften, im Zweifel enden können.

Zum Antrag selbst, zu den beiden Bereichen: Dass in Brandenburg die Leistungen des SGB IX und des SGB XII weiter durchgängig so finanziert werden, wie sie im Haushaltsplan fixiert sind, ist - wenn Sie so wollen - eine Selbstverständlichkeit und ist es gleichermaßen nicht, weil wir immer wieder darüber streiten müssen und das auch in Zukunft tun werden: Was wird von wem finanziert? Dass wir uns entschlossen haben und dass das Land Brandenburg sich mit den Trägern entschlossen hat, das so weiterzufinanzieren, ist einerseits selbstverständlich und andererseits ein großes Glück.

Die anderen Dienstleister, die aus der Finanzierung herausfallen - es sind einige erwähnt worden, zum Beispiel die „Löwen- Kinder“ aus Frankfurt (Oder), die sind gemeint; es ist natürlich auch der Arbeitslosenverband gemeint; alle Angebote dezentral, kleinteilig, dicht an den Menschen -, dürfen wir nicht aufgeben. Die Strukturen müssen wir erhalten, soweit das irgend möglich ist; denn was einmal weggebrochen ist, ist nur ungeheuer schwer wiederaufzubauen. Darum geht es in der konkreten Situation.

Deshalb soll dieser Rettungsschirm aufgespannt werden, der genau diesen Trägern der sozialen Infrastruktur hilft, unbürokratisch und schnell. Frau Fortunato, ich bin ganz zuversichtlich, dass alle die gemeint sind, wissen, dass sie gemeint sind. Das sollten wir tun - ich komme zum Schluss -, sonst tasten wir nämlich die Würde vieler Menschen an. - Danke.

Sehen Sie hier die Rede: