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Clemens Rostock spricht zum Antrag "Die akute coronabedingte Schieflage für Menschen im Hartz-IV-Bezug abmildern - für einen Richtungswechsel in der Grundsicherung"

Sehr geehrte Vizepräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich mache mir immer nur grobe Notizen, deswegen kann ich meine Rede schlecht zu Protokoll geben.

Auch mein Dank gilt der Linken; sie macht hier eine wichtige Debatte auf. Aber auch ich stimme meinem Kollegen Rüter zu, dass der Adressat doch jemand anderes ist, dass das klar in Richtung Bundespolitik geht. Nichtsdestotrotz möchte ich mich dazu äußern.

Sie weisen bereits in der Einleitung zu Recht darauf hin, dass Armut vielschichtig ist und es nicht immer nur ums Geld geht, sondern dass ärmere Menschen zum Beispiel häufiger krank werden und eine geringere Lebenserwartung haben. Da sei mir als Bündnisgrünem der Nebensatz erlaubt: Das gilt übrigens auch bei der Umweltgerechtigkeit. Ärmere Menschen sind zum

Beispiel nicht unbedingt diejenigen, die zu Lärm- oder Schadstoffemissionen beitragen. Sie sind aber diejenigen, die aufgrund ihrer Wohnlage unter den daraus folgenden Lärm- und Schadstoffimmissionen leiden.

Aber zurück zum Antrag. In der Pandemie bzw. in der Wirtschaftskrise, die daraus folgt, zeigt sich, dass wieder mal die Ärmeren besonders betroffen sind. Wie gut Systeme aufgestellt sind, misst man oft daran, wie gut sie in der Krise funktionieren. Schauen wir doch mal auf die Grundsicherung: Die jetzt aufkommende Maskenpflicht bzw. die Pflicht, eine bestimmte Art von Masken zu nutzen, zeigt noch einmal, dass die Berechnung der Grundsicherung auf ziemlich tönernen Füßen steht. Man kann nur an die Bundesregierung appellieren, da schnell Abhilfe zu schaffen.

Aber das ist nur eine akute Feststellung. Die grundsätzliche Feststellung - die sich in der Krise gerade verfestigt -, dass die Aufstellung der Grundsicherung nicht optimal ist, ist inzwischen weit verbreitet, über viele Parteigrenzen hinweg. Die Bundesregierung hat zum Beispiel eine vereinfachte Prüfung der Anträge auf Grundsicherung ermöglicht. Auch Arbeitsminister Heil will jetzt, wie schon angesprochen, noch weiter gehen. Er will die Grundsicherung zu einem sozialen Bürgergeld weiterentwickeln und sagt, das Ziel ist, dass sich jemand, der vorübergehend in das System der Grundsicherung rutscht, nicht schämt und nicht in eine bürokratische Anspruchsprüfung gerät. Damit ist auch die Stigmatisierung angesprochen, die oft mit der Grundsicherung einhergeht.

Aus bündnisgrüner Sicht kann ich nur sagen: Das ist die richtige Richtung, nur dass es vorübergehend sein soll, stört ein bisschen; denn die Erkenntnis, dass die Verfahren stigmatisierend sind, gilt nicht nur für die, die pandemiebedingt in die Grundsicherung rutschen, sondern für alle Bezieherinnen und Bezieher von Grundsicherung, egal wann sie hineingerutscht sind und wie lange sie drinbleiben.

Wie gesagt, in der Krise zeigt sich, wie gut ein System aufgestellt ist. Heute ist es die Maskenpflicht, morgen ist es der Laptop, der für das Homeschooling gebraucht wird, übermorgen ist es die Stromrechnung, die deutlich höher ist, weil alle zu Hause sind. Wenn also etwas verbessert wird, dann, bitte, auf Dauer. Wir Grüne haben dazu viele Vorschläge gemacht. Nachdem wir das Langfristziel des Grundeinkommens in unser Grundsatzprogramm aufgenommen haben, hat unsere Bundestagsfraktion ein großes Paket vorgestellt.

Das unterscheidet sich aber auch von dem, was die Linken vorschlagen. Unterbelichtet bleiben dort zum Beispiel die mangelhaften Zuverdienstmöglichkeiten. Man muss sich das wirklich einmal vor Augen führen: Wir haben bei der Einkommensteuer einen Spitzensteuersatz von 42 %, und den Grundsicherungsbeziehern werden in bestimmten Einkommensstufen 90 % des Zuverdienstes auf die Grundsicherung angerechnet. Das steht aus unserer Sicht in keinem Verhältnis.

Ich komme zum Schluss. Die Grundsicherung ist stigmatisierend - das stellen jetzt viele fest, und das ist gut so -, und es braucht Verbesserungen. Diese Erkenntnis sollte aber zu dauerhaften Verbesserungen genutzt werden. Der vorliegende Antrag geht in die richtige Richtung, hat aber Lücken. Was die Erhöhung der Grundsicherung für den Kauf von Masken betrifft: Da gibt es viele Entwicklungen. Herr Rüter hat eine auf der Bundesebene angesprochen; auch im Bundesrat liegen mehrere Initiativen vor. Damit werden wir uns noch beschäftigen. Der Antrag hilft hier gerade nicht. Deshalb werden wir ihn ablehnen. - Vielen Dank.