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Heiner Klemp spricht zu: Gemeinsam mit der brandenburgischen Wirtschaft Wiedereröffnungspläne erarbeiten

Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich weiß: Die Erwartungen der Menschen in unserem Land sind so hoch wie die der Unternehmen. Das geht mir persönlich nicht anders. Wir alle wollen, dass es endlich vorbei ist und ein normales Leben wieder möglich wird. Ich wüsste zum Beispiel gern, ob meine Familie im Mai den 90. Geburtstag meiner Mutter groß feiern kann oder ob wir im Sommer in Schweden ein Familientreffen machen können. Ich weiß aber auch, dass mir das heute niemand ehrlich beantworten kann. Und würde mir heute jemand sagen: „Ja, das klappt bestimmt!“, würde ich dem vertrauen? Das würde ich nicht, denn wer weiß das schon. So ist das mit dem Vertrauen.

Wir möchten ja gerne vertrauen, aber - Hand aufs Herz - würden wir jemandem vertrauen, der uns jetzt - so wie Daniel Günther in Schleswig-Holstein oder Péter Vida in Brandenburg - große Pläne verkündet? Ich glaube nicht. Es wäre doch dem Vertrauen nicht förderlich, jetzt Pläne zu propagieren, die man später aufgrund neuer Erkenntnisse wieder über den Haufen schmeißen muss. Vertrauen braucht auch Ehrlichkeit.

Wenn Sie einen verbindlichen Wiedereröffnungsplan fordern, frage ich Sie: Wie verbindlich kann ein Plan für eine Krise sein, die es noch nie gegeben hat? Ist es nicht so, dass wir - auch in den Planungen - Schritt für Schritt vorgehen müssen?

Den ersten Schritt sind wir am Montag gegangen: Die Grundschulen sind im Wechselunterricht. Ist es nicht richtig, nun erst einmal abzuwarten, wie sich die Infektionszahlen dadurch verändern? Selbst ohne die Mutanten in die Rechnung einzubeziehen, können wir einzelne Schritte doch nur nacheinander und vorsichtig machen. Wir alle wollen Schritte machen. Aber wie wirken sich die Mutanten aus?

(Zuruf: Überhaupt nicht!)

Niemand weiß das. Wie wirken sich die Impfungen aus? Welche Bedeutungen haben die Infektionszahlen noch, wenn die vulnerablen Gruppen einmal geimpft sind? Ist die Inzidenz dann immer noch der richtige Indikator? Ist es der R-Wert? Auf jeden Fall sind es die Todeszahlen.

Vizepräsidentin Richstein: Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Herr Abg. Klemp (B90/GRÜNE): Im Moment nicht, danke. - Die Todeszahlen sind für mich der wichtigste Indikator, nur eignet sich dieser nicht sehr zum Steuern, weil er vier Wochen oder mehr hinter der Entwicklung herläuft. Sie sehen also: Wir haben es hier mit einer Gleichung mit vielen Unbekannten zu tun, bei denen aber nicht nur die Werte, sondern auch deren Wechselwirkungen unbekannt sind.

Kann es in der Situation einen verbindlichen Wiedereröffnungsfahrplan geben, wie ihn DIE LINKE fordert? Meiner Meinung nach wird jetzt nicht viel mehr möglich sein, als jeweils die nächsten geplanten Schritte und die Voraussetzungen, die man dafür sieht, zu beschreiben. Alle Öffnungsschritte bis zur Rückkehr zum Normalzustand zu beschreiben ist weder möglich noch hätte es irgendeine Verlässlichkeit.

Eigentlich ist es doch so, wie es unser Wirtschaftsminister schon mehrfach beschrieben hat: Die Öffnung wird sich weitgehend in umgekehrter Reihenfolge zu den Schließungen vollziehen. Deshalb haben wir als Erstes auch die Schulen wieder eröffnet. Und wann die nächsten Schritte folgen, wird angesichts der Infektions-, Ansteckungs-, Impf- und Todeszahlen festzulegen sein.

Ich finde es zum Beispiel sehr wichtig, dass beim Fortschreiten der Impfungen die extremen Beschränkungen in Alten- und Pflegeheimen wieder aufgehoben werden.

Natürlich müssen wir uns auch den ganzen anderen Detailfragen stellen. Kann vielleicht die Außengastronomie früher geöffnet werden als die Innenräume, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? - All diese Fragen sind wichtig und legitim. Aber sie lassen sich nicht am grünen Tisch beantworten und immer nur mit Blick auf die aktuelle epidemische Lage.

Das Wirtschaftsministerium ist mit allen Akteurinnen und Akteuren im Gespräch. Ich glaube gern, dass man sich als Verband wünscht, noch mehr Gehör zu finden; vor allem aber wünscht man sich Verlässlichkeit. Und die kann derzeit eben niemand gewährleisten. Das liegt nicht am Unwillen der Regierung, sondern an der Lage der Dinge.

Lieber Herr Walter, möglicherweise verstehe ich Ihren Antrag auch nicht ganz. Er scheint mir doch mit der heißen Nadel gestrickt zu sein. So fordern Sie, gemeinsam mit Branchenvertretern konkrete Lösungen für die entsprechenden Branchen zu erarbeiten, um einen Satz später zu fordern, wirtschaftliche Eröffnungen zu ermöglichen, die für alle Branchen und Unternehmen gleichermaßen gelten sollen. Fordern Sie da das gleichzeitige, unabgestufte Öffnen, quasi den Big Bang?

Vizepräsidentin Richstein: Herr Abgeordneter, ich habe zwei Anfragen für eine Zwischenfrage. Würden Sie die zulassen?

Herr Abg. Klemp (B90/GRÜNE): Ich würde gern noch zum Schluss kommen wollen. - Danke.

Vizepräsidentin Richstein: Also nein?

Herr Abg. Klemp (B90/GRÜNE): Also nein.

Vizepräsidentin Richstein: Nicht dass es dann heißt, Sie möchten zum Schluss noch.

Herr Abg. Klemp (B90/GRÜNE): Was das von Ihnen geforderte Programm „Neustarthilfe Brandenburg“ angeht, sehe ich durchaus Positives. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Land den Wiederanlauf der Wirtschaft mit entsprechender Förderung sinnvoll begleitet. Die Koalition diskutiert bereits darüber; das ist schon deutlich geworden. Auch ist das Programm „Neustart Berlin“ meiner Parteikollegin Ramona Pop, auf das Sie sich beziehen, bestimmt toll, aber es fällt mir schwer, unserer Landesregierung aufzugeben, sich an ein Programm anzulehnen, von dem bisher nur wenige geschriebene Sätze bekannt sind. Offenbar wird der Weg von einem Pressebericht zu einem Antragstext der Linken immer kürzer - was ich sehr schade finde. Diesem Antrag können wir so nicht zustimmen. - Vielen Dank.

Vizepräsidentin Richstein: Herr Abgeordneter, Herr Klemp hatte gesagt, dass er keine Zwischenfrage zulässt. - Aber sein Vortrag scheint bei einigen von Ihnen Widerspruch hervorgerufen zu haben. Ich habe nämlich drei Anmeldungen für Kurzinterventionen vorliegen, die ich der Reihe nach aufrufen würde, um Herrn Klemp im Anschluss die Möglichkeit zu geben, auf alle drei gleichzeitig zu antworten. Eine Kurzintervention haben angezeigt Herr Abgeordneter Stefke, Herr Abgeordneter Walter und Herr Abgeordneter Büttner. Herr Abgeordneter Stefke, Sie haben als Erster die Möglichkeit.

Herr Abg. Stefke (BVB/FW): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege Klemp, ich bin Ihrem Redebeitrag aufmerksam gefolgt: Sie haben doch im Wesentlichen dafür plädiert, auf Sicht zu fahren? Ist das richtig? - Dann möchte ich dazu Folgendes anmerken: Man kann auf Sicht fahren, aber wenn man nichts sieht und weiß, dass man zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort sein muss, muss man das Licht einschalten. Und wenn das Licht nicht ausreicht, muss man das Fernlicht einschalten.

Genau das ist es, was wir in dieser Zeit von der Landesregierung eigentlich erwarten. Wir wissen, wir können nicht ewig im Lockdown verharren. Die kleinen Lockerungen für Friseure und Gartencenter, die von der Landesregierung gerade bekannt gegeben wurden, reichen bei Weitem nicht aus. Die Problemlage ist tatsächlich so ernst - so dramatisch, kann man auch sagen -, dass hier ein Plan hermuss.

Wir haben - das hat der Kollege Zeschmann vorgetragen - einen Plan vorgelegt, Sie aber bisher noch nicht. Sie haben noch nicht erklärt, unter welchen Bedingungen und unter welchen Annahmen man weiteren Bereichen, die es dringend nötig haben, Lockerungen gewähren kann, und das ist es, worüber der Disput besteht. Da bitte ich Sie, jetzt wirklich einmal die Lampen anzumachen - wenn es sein muss, auch die Halogenscheinwerfer. - Danke schön.

Vizepräsidentin Richstein: Wir kommen zur Kurzintervention des Abgeordneten Walter.

Herr Abg. Walter (DIE LINKE): Frau Vizepräsidentin! Werter Kollege Klemp, ich versuche es jetzt noch einmal - bei Ihnen vielleicht das letzte Mal. Niemand, zumindest in der Linksfraktion, erwartet von Ihnen - das habe ich in meiner Rede auch nicht gesagt - einen Öffnungsplan mit genauem Datum, einen Öffnungsplan, in dem wir sagen: ab dem 3. März das, ab dem 10. März das. - Das haben wir nie erwartet.

Aber ich erwarte von Ihnen, dass Sie mir erklären können, warum Sie uns gerade erklären, wir können keine Öffnungsperspektiven geben, weil alles ganz schwierig ist: Wir müssten auf die Inzidenzwerte, auf die Impfquoten, auf die Krankenhausbelegung usw. schauen. Das alles teilen wir. Dann erklären Sie mir jetzt bitte ernsthaft: Warum öffnet diese Landesregierung als Allererstes Gartencenter und Blumenläden, um gleichzeitig zu sagen: Baumärkte - die einen großen Gartenanteil haben - dürfen nicht aufmachen, weil man sich da zu sehr drängen würde? - Ich weiß nicht, welche Gartencenter oder Blumenläden Sie kennen. Das können Sie mir nicht erklären. Versuchen Sie es einfach einmal.

Übrigens: Wenn Sie sagen, es gebe kein Vertrauen in diese Pläne, wir müssten aufpassen, dass das Vertrauen nicht verspielt wird, frage ich Sie ernsthaft: Viele dieser Öffnungspläne kommen aus Landesregierungen, in denen die Grünen eine Regierungsverantwortung tragen. Vertrauen Sie Ihren eigenen Parteikolleginnen und Parteikollegen nicht? - Das würde mich tatsächlich interessieren.

Ich frage mich das wirklich bei dem, was diese Landesregierung in dieser Woche abgeliefert hat. Noch am Mittwoch hat sie im Wirtschaftsausschuss gesagt, es gebe keinen Raum für Öffnungen. Noch am Mittwoch wurde im Wirtschaftsausschuss gesagt, wir müssten uns bei den Öffnungsplänen unbedingt abstimmen - und was passiert dann? Am Montag stellt sich der Ministerpräsident hin und sagt: Übrigens, wir öffnen die Gartencenter. - Am nächsten Tag erklärt die Berliner Landesregierung: Schönen Dank, dann wundert euch aber nicht über die Einkaufstouristen, die jetzt nach Brandenburg laufen. - Das hat doch nichts mit Logik zu tun, das hat nichts mit Vertrauen zu tun, das ist einfach peinlich, auch wenn man dann noch sagt, es sei wichtig, Blumen gegen den Corona-Blues zu kaufen. Na, schönen Dank, davon kann ich keine Rechnung bezahlen. - Vielen Dank.

Vizepräsidentin Richstein: Gut. - Herr Abgeordneter Büttner hat seine Anmeldung für eine Kurzintervention zurückgenommen. - Ich gebe jetzt Herrn Abgeordneten Klemp das Wort. Ich werde seine zwei Minuten Redezeit großzügig aufrunden, weil er auf zwei Kurzinterventionen antwortet.

Herr Abg. Klemp (B90/GRÜNE): Ich glaube, so lange werden wir gar nicht brauchen. - Herr Abgeordneter Stefke, ja, Sie haben das richtig verstanden. Ich plädiere weitgehend für ein Fahren auf Sicht. Wir müssen wissen, in welche Richtung wir fahren. Das ist ja beschrieben. Die Landesregierung hat beschrieben, in welche Richtung wir müssen.

Sie sagen, man muss zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort sein. Sie haben aber diesen bestimmten Zeitpunkt im Unbestimmten gelassen, und Sie haben auch den bestimmten Ort im Unbestimmten gelassen. Ich glaube, wir müssen in erster Linie unsere Bevölkerung schützen. Wir müssen unsere Wirtschaft schützen. Das sind die Maximen. Aber wir können nicht vorhersehen, wie sich die Pandemie weiterentwickelt, und deshalb sind gerade Ihr bestimmter Zeitpunkt und Ihr bestimmter Ort so unbestimmt, dass man damit nicht arbeiten kann.

Sie haben auf den Kollegen Dr. Zeschmann verwiesen, der in seiner Rede gesagt hat: Nach den Plänen, die wir vorgelegt haben, wäre heute quasi alles auf; wir haben ja eine Inzidenz von 50 bis 60. - Da möchte ich zurückfragen: Hätten wir eine Inzidenz von 50 bis 60, wenn jetzt alles auf wäre? - Vermutlich nicht. Das ist es, was ich in meiner Rede beschrieben habe: dass es zwischen allen Größen Wechselwirkungen gibt und dass man so einfach nicht vorgehen kann.

Herr Walter, Sie haben gesagt, niemand erwarte einen Öffnungsplan mit genauem Datum. Sie schreiben aber in Ihrem Antrag, dass Ihnen ein verbindlicher Öffnungsplan fehlt. Sie sagen, Sie wollen einen verbindlichen Plan: Was ist aber die Verbindlichkeit in Ihrem Plan, wenn dieser keine verbindlichen Sachen enthält? - Damit habe ich ein echtes Problem.

Zu Gartencentern und Blumenläden muss ich Ihnen sagen: Ich bin nicht der Sprecher der Landesregierung, ich bin Abgeordneter in diesem Landtag.

(Gelächter) -

Ja, bitte. - Sonst hätte ich ein falsches Namensschild. Aber ich kann mir vorstellen, dass viele Menschen in diesem Land es gerade im Frühling sehr positiv finden, dass sie sich wieder die Sachen beschaffen können, mit denen sie draußen gerne arbeiten wollen.

(Zurufe)