- Es gilt das gesprochene Wort !
Anrede!
In der Beantwortung der Großen Anfrage stellt die Landesregierung fest, das Land Brandenburg hat kein Versorgungsproblem mit freiberuflichen Hebammen! Ihre Begründung ist einfach und tautologisch!
1. "Der Landesregierung liegen keine Daten vor, die die behauptete aktuelle Unterversorgungssituation der Bevölkerung im Bereich der Hebammenhilfe konkret und detailliert belegen." (S.19)
2. Die Landesregierung kann nicht einmal exakt klären, wie viele Hebammen in Brandenburg arbeiten!
3. Es gibt aber Daten, fraglich ist nur, ob diese eineindeutig sind.
Denn nach den Daten der Gesundheitsämter sind 385 Hebammen als freiberuflich tätig gemeldet. Die Angaben der gesetzlichen Krankenversicherung weisen jedoch 448 freiberufliche Hebammen für Brandenburg aus. Immerhin 63 Hebammen mehr! Gebe es 63 Hebammen zusätzlich, könnten vermutlich einige schwangere Frauen in Brandenburg aufatmen, fänden sie doch leichter in der Zeit ihrer Schwangerschaft Schwangerschaftskurse, Geburtshilfe und Nachsorge. Vielleicht hätten sie sogar die Möglichkeit, eine Alternative zu der in Deutschland zur Regel gewordenen Klinikgeburt in Betracht zu ziehen. Aber leider wissen wir nicht - genau wie die Landesregierung - ob diese Hebammen existieren oder lediglich eine Zähl-Fiktion sind!
Denn vielleicht haben wir ja weniger Hebammen als die Gesundheitsämter zählen. Die Hebammen arbeiten nämlich angestellt, in Teilzeit oder freiberuflich oder beides. Häufig sind sie auch in zwei oder drei Landkreisen tätig und die Gesundheitsämter zählen die Hebammen doppelt. Unklar ist, wie solide Datenerhebungen erfolgen sollen.
Valide Zahlen zur Hebammenversorgung von Müttern und Neugeborenen fehlen nicht nur in Brandenburg, sondern auch bundesweit. Das belegt auch die Studie des IGES Instituts im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) zur "Versorgungs- und Vergütungssituation in der außerklinischen Hebammenhilfe", die pünktlich zum Tag der Hebamme am 5. Mai vor einem Jahr vom Ministerium veröffentlicht wurde.
Valide Daten und landeseinheitliche Zählweisen müssen in Brandenburg endlich auf den Tisch, bzw die personellen Ressourcen in den Gesundheitsämtern müssen insoweit gestärkt werden, dass vorhandenes Datenmaterial auch aufbereitet werden kann. Bereits im Juli 2010 fragte die Kollegin Schulz-Höpfner von der CDU Fraktion nach Zahlen zur Hebammenversorgung. Auch 2010 antwortete die Landesregierung, hierzu gebe es keine Daten. In der Zwischenzeit ist die Landesregierung drei Jahre untätig geblieben! Es ist nichts geschehen, um die Datenlage zu klären. Der Landesregierung liegt scheinbar die ambulante Versorgung der Jüngsten und ihrer Mütter und Väter durch Hebammen nicht sonderlich am Herzen!
Der Trend, dass Geburten fast ausschließlich Domäne einer klinischen Geburtsmedizin sind, ist selbstverständlich auch in Brandenburg ablesbar. "Mehr als 98 Prozent der Geburten erfolgt stationär im Krankenhaus." (S.18) Im Jahr 2011 wurden 14.262 Geburten von 190 Hebammen klinisch-stationär in 26 Brandenburger Krankenhausstandorten mit Geburtsstationen betreut. 223 Geburten fanden 2011 außerklinisch statt. 58 Hausgeburten und 165 Geburtshausgeburten wurden in fünf Geburtshäusern in Brandenburg von Hebammen begleitet. Die Differenz zu den 18537 Lebendgeborenen, die das Amt für Statistik für 2011 aufweist, dürften in Berliner Kliniken und zu einem geringen Prozentsatz in Berliner ambulanten Geburtseinrichtungen zur Welt gekommen sein. Aber auch das können wir nicht so genau wissen mangels Daten. Wahlfreiheit für Schwangere in der Wahl des Geburtsortes ist damit im Flächenland Brandenburg mangels Angeboten quasi nicht gegeben.
Dazu müsste auch die Einkommenssituation der Hebammen generell verbessert werden. 2012 musste ein Hebamme, die freiberuflich Geburten durchführt, eine Jahreshaftpflichtsumme von ca. 4.250,-- Euro aufbringen. Bei einem durchschnittlichen Bruttoverdienst von 24.000 Euro im Jahr sind das so viel wie zwei Monatsgehälter. Eine freiberuflich arbeitende Hebamme mit Geburtshilfe muss also mindestens zwölf Geburten im Jahr betreuen, nur um die Kosten der Berufshaftpflicht einzunehmen.
Bei den freiberuflichen Hebammen ohne Geburtshilfe erhöhten sich die Haftpflicht weniger dramatisch, nämlich auf 377,-- Euro im Jahr. Nach Vertragsverhandlungen mit dem GKV Spitzenverband konnten die Hebammenverbände zwar 2012 einen partiellen Ausgleich der gestiegenen Kosten für die Berufshaftpflicht und zum 1.1.2013 Vergütungsanpassungen zwischen 12 und 15 Prozent vereinbaren. Nach Klärung von Qualitätskriterien für die Hebammen mit Geburtshilfe sind weitere Anpassungen möglich. Trotzdem droht die Situation einen gesamten Berufsstand zum Verschwinden zu bringen. Immer höhere Haftungsrisiken, extrem geringe Einkünfte bei hoher Verantwortung, steigende Wegekosten gerade im ländlichen Raum führen dazu, dass Hebammen immer häufiger zur Existenzaufgabe gezwungen werden oder sich auf die reine Vor- und Nachsorge beschränken.
Nach dem IGES-Gutachten haben sich bundesweit zwischen 2009 und 2012 Hebammen in großer Zahl aus der Geburtshilfe zurückgezogen. Dies hat erhebliche Versorgungsrelevanz. Kritisiert wird auch, dass selbst Kliniken, die Hebammen in einem Voll- oder Teilzeitarbeitsverhältnis angestellt beschäftigen, keine Angaben machen, wer in welcher Höhe für die immensen Beiträge zu den Haftpflichtversicherungen aufkommt. Auch bei Beleghebammen ist die Beteiligung der Klinikträger an den Kosten der Berufshaftpflicht ein wohlgehütetes Geheimnis.
In Brandenburg fehlen aber vermutlich (siehe Datenlage!) nicht nur freiberuflich tätige Hebammen, die Geburtshilfe anbieten, sondern auch Familienhebammen. Wurden bisher in Kreisen und kreisfreien Städten lediglich zehn Hebammen eingesetzt und für ihre Arbeit bezahlt, so wird der Bedarf für 18 Kreise und kreisfreie Städte auf weitere 40 - 50 Familienhebammen geschätzt. Diese könnten für ihre Tätigkeit – meist wohl koordiniert durch die Jugendämter – zumindest partiell aus Mitteln des Bundeskinderschutzgesetzes bezahlt werden.
Aus der Großen Anfrage geht hervor, dass mittlerweile in Brandenburg 29 Prozent der Geburten Kaiserschnittentbindungen sind. 2002 waren es noch 19 Prozent. Damit liegt Brandenburg noch unter dem bundesweiten Durchschnitt von 32,1% im Jahr 2011. Nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes Destatis ist damit innerhalb der letzten 20 Jahre eine Verdoppelung der bundesweiten Sectiorate zu verzeichnen. Auffällig sind die sehr weiten Spannen zwischen Sachsen mit 23,2% und dem Saarland mit 38,2%, die medizinisch kaum erklärbar sind. Dass in Deutschland mittlerweile ein Drittel der Geburten Kaiserschnittgeburten sind, ist ein sehr kritischer Trend. Auf Seiten der schwangeren Frauen ist Angst eines der Hauptmotive: Angst vor Schmerzen, Inkontinenz oder körperlichen Veränderungen, oft auch Ängste vor dem Geburtsvorgang allgemein, der ja aus unserem täglichen Leben immer mehr verschwindet. Die GeburtshelferInnen dagegen wollen „auf Nummer sicher gehen“ und haben - durchaus verständlich – Ängste vor dem Haftungsrisiko.
Daneben spielen für Kaiserschnitte auch Terminwünsche, Rücksicht auf Dienstpläne und natürlich wirtschaftliche Erwägungen eine Rolle: Die Krankenkassen vergüten eine Sectio doppelt so hoch wie eine natürliche Spontangeburt.
Die WHO hält eine Kaiserschnittrate von rund 15 Prozent aus medizinischer Indikation für gerechtfertigt. Wenn Brandenburg fast 15 Prozent darüber liegt, müssten im Ministerium auch die Alarmglocken anschlagen. Die Aussage, dass die Landesregierung sich jeglicher Äußerung über die steigenden Sectioraten enthält, finden wir problematisch. Kaiserschnittentbindung werden neben den genannten Gründen auch durch schlechte Betreuung während der gesamten Schwangerschaft als auch im Kreissaal sowie durch finanzielle Fehlanreize im Gesundheitssystem begünstigt. Dies sollte das Ministerium nicht gänzlich ignorieren!
Weiterhin ist nach Untersuchungen der Krankenkassen bereits seit 2006 bekannt, dass die mittlere Verweildauer im Krankenhaus nach einem komplikationslosen Kaiserschnitt 6,3 Tage und nach einer komplikationslosen vaginalen Entbindung lediglich 3,8 Tage beträgt. Von den Risiken eines operativen Eingriffs wie Blutungen, Verletzung, Thrombose und Infektionen gar nicht zu reden.
Gerade was die Ängste der Frauen angeht hat eine hohe Sectiorate durchaus mit der kontinuierlichen Betreuung durch Hebammen zu tun. Ich bitte Sie deshalb, unserem Entschließungsantrag (pdf-Datei) zuzustimmen. Wir möchten die schlechte Datenlage verbessern – vorzugsweise koordiniert mit anderen Bundesländern – und die Hebammenversorgung optimieren. Damit heißen wir unsere Neugeborenen und ihre Eltern willkommen.